: Die Menschheit ist anpassungsfähig
Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt unter Beteiligung der Kieler Uni untersucht die Klimaresilienz menschlicher Gemeinschaften der vergangenen 5.000 Jahre und entwirft Perspektiven der Widerständigkeit durch nachhaltige und sozial gerechte Innovation
Von Belinda Grace Gardner
Die globale Temperatur ist gefährlich angestiegen. 2024 war nicht nur das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Erstmals lag die Temperatur weltweit 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Durchschnitt und sprengte somit die im Pariser Klimaabkommen festgelegte Grenze. Dürren, verheerende Fluten und Waldbrände haben zugenommen: Der Klimawandel spitzt sich mit potenziell fatalen Konsequenzen für Menschen auf der ganzen Welt zu.
Vor diesem Hintergrund befassen sich Wissenschaftler*innen des Exzellenzclusters „Roots“ an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel, der Ludwigs-Maximilians-Universität München (LMU), der Universität Heidelberg und der Universität Cambridge (UK) mit Überlebensstrategien und -techniken, die menschliche Gesellschaften in den vergangenen 5.000 Jahren als Praxis der Klimaresilienz mobilisierten.
Die Fachleute aus Geowissenschaften und Archäologie, die das neue Gebiet der Klimaresilienz-Forschung auf den Weg gebracht haben, sind der Frage nachgegangen, wie es menschlichen Gemeinschaften gelang, die Auswirkungen von einschneidenden Naturkatastrophen und Klimaereignissen zu überwinden und daraus sogar gestärkt hervorzugehen: ein Blick zurück, der Aufschlüsse über Handlungsoptionen in Gegenwart und Zukunft geben soll.
Eine Übersicht ihrer bisherigen Untersuchungsergebnisse zur Klimaresilienz in der Menschheitsgeschichte von frühen Jäger-und-Sammler-Kulturen bis zu industriellen Gesellschaften erschien kürzlich in der internationalen Zeitschrift Environmental Research Letters.
Das interdisziplinäre Forscher*innen-Team arbeitet daran zu „verstehen, wie Gesellschaften trotz Risiken stabil, widerstandsfähig oder sogar prosperierend bleiben konnten“, so Erstautor Liang Emlyn Yang, Senior Researcher für Mensch-Umwelt-Beziehungen in der geowissenschaftlichen Fakultät der LMU München sowie ehemaliges Mitglied der Kieler Graduiertenschule „Human Development in Landscapes“ und des Exzellenzclusters „Roots“.
Es habe sich gezeigt, „dass mit zunehmender Technologisierung der Gesellschaften auch die Anpassungsfähigkeit der Menschen zunimmt“, wie Co-Autorin und Spezialistin für Paläoklimatologie, Mara Weinelt vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU Kiel, wissenschaftliche Koordinatorin von „Roots“, erläutert.
Zwar bewirkte der Klimawandel in der Vergangenheit Veränderungen in der landwirtschaftlichen Produktion aus und führte zu Konjunkturschwankungen, Migrationsbewegungen, sozialen Unruhen und Kriegen. Gleichzeitig aber stellte sich bei der historischen Datenanalyse heraus, dass gesellschaftliche Krisen offenbar in erster Linie sozioökonomische Ursachen hatten und nur indirekt durch Umweltbedingen ausgelöst wurden.
Die vor der industriellen Revolution durch Agrarwirtschaft und Tierhaltung bestimmten menschlichen Gesellschaften, so ein Fazit der Studie, entwickelten immer wieder kreative Methoden, um auf veränderte Klimabedingungen zu reagieren. So passten landwirtschaftliche Gemeinschaften von Südwestasien bis Westeuropa etwa die Wahl von Getreidesorten auf wechselnde Umweltbedingungen an, schufen Bewässerungssysteme, optimierten die Wasserverwaltung, die Weidelandnutzung und die Landgewinnung.
Diese und weitere Innovationen gewährleisteten deren Überdauern über Not- und Krisenzeiten hinweg. Auch wenn technologischer Fortschritt die Klimakrise verschärft hat, ist dieser für Resilienz-Forscher*innen weiterhin ein essenzieller Faktor für die Überwindung der aktuellen Herausforderungen, vor denen wir als Menschheit stehen.
„Obwohl die Klimarisiken ernst sind, ist die Welt im Jahr 2050 nicht dazu verdammt, unbewohnbar zu sein“, sagt Yang. „Tatsächlich könnte sie trotz höherer Temperaturen widerstandsfähiger sein als heute, wenn proaktive Anpassung, gerechte Politik und technologische Lösungen weiter voranschreiten.“ Dazu ist für ihn neben der Ausrichtung „technologischer Innovationen auf Nachhaltigkeit“ der „soziale Einsatz von Technologie“ entscheidend.
„Wir müssen die Dringlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen anerkennen, aber auch die Chance erkennen, eine widerstandsfähigere und nachhaltigere Zukunft zu gestalten“, sagt er. „Basierend auf unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen und historischen Fakten betonen wir die Idee, dass Resilienz nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch ein erreichbares Ziel ist.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen