Entscheid zum Antisemitismusbeauftragten: Hamburg darf liberale Juden nicht ignoriern
Das Verwaltungsgericht hat die Bestellung des Antisemitismusbeauftragten Stefan Hensel für rechtswidrig erklärt. Im Amt darf er vorerst trotzdem bleiben.

Hinter der Auseinandersetzung vor Gericht steht der Streit der beiden jüdischen Gemeinden in Hamburg. Die Einheitsgemeinde hatte den Amtsinhaber Stefan Hensel für eine weitere Amtszeit vorgeschlagen. Die Israelitische Tempelgemeinde – die Liberale Jüdische Gemeinde Hamburg – dagegen war mit Hensels Amtsführung unzufrieden und machte in Gestalt ihres zweiten Vorsitzenden Eike Steinig im Sommer vergangenen Jahres einen Gegenvorschlag für die Besetzung des Ehrenamtes. Im November bestellte der Senat jedoch Hensel für eine zweite Amtszeit von drei Jahren.
Steinig hatte beim Verwaltungsgericht beantragt, dass über seine Bewerbung für das Amt erneut entschieden werde – dem gab das Gericht statt. Die Forderung, den aktuellen Beauftragten sofort seines Amtes zu entheben, wies das Gericht dagegen ab.
Der Senat hält das Amt für politisch
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts müssen öffentliche Ämter wie das des Antisemitismusbeauftragten laut dem Grundgesetz „nach Eignung, Leistung und Befähigung vergeben werden“. Damit habe jeder Bewerber ein Recht darauf, in das Auswahlverfahren einbezogen zu werden. Dass sich Steinig beworben habe, sei durch dessen öffentliche Nominierung durch den Israelitischen Tempelverband offensichtlich gewesen.
Dem hatte der rot-grüne Senat entgegengehalten, beim Antisemitsmusbeauftragten handele es sich um ein politisches Amt. Eignung und Leistung hätten als Auswahlkriterien hinter eine politische Erwägung zurückzutreten. Der Senat als demokratisch legitimiertes Gremium könne daher freihändig entscheiden, ohne dass er sich dafür vor Gericht rechtfertigen müsse.
Im Übrigen nimmt der Senat laut der paraphrasierenden Wiedergabe des Gerichts für sich in Anspruch, „sachorientiert und unter Einhaltung des hierfür vorgesehenen Verfahrens“ gehandelt zu haben. Das vorgesehene Vorschlagsrecht der jüdischen Gemeinden sei beachtet worden. Hensels Leistungen im Amt könnten den Mitteilungen des Senats an die Bürgerschaft entnommen werden.
Das Gericht hält das Amt für ein Dienstverältnis
Das Gericht hält dem entgegen, dass es sich beim Antisemitismusbeauftragten eben nicht um ein politisches Wahlamt handele, sondern um ein normales, öffentliches Dienstverhältnis. Denn der Senat, der den Beauftragten bestimmt habe, sei nur indirekt demokratisch legitimiert. Selbst wenn es sich um ein Wahlamt handeln sollte, so das Gericht, müsse bei der Auswahl der Bewerber das Prinzip der Bestenauslese berücksichtigt werden.
Dass sich der rot-grüne Senat unter Federführung der grünen Senatorin Katharina Fegebank einfach für eine erneute Amtszeit Hensels entschieden hat, erstaunt, weil er damit einen Teil des organisierten Judentums in der Stadt ausgebootet hat, wenn auch den weitaus kleineren. 340 Mitglieder hat der Israelitische Tempelverband, 2.400 die Jüdische Gemeinde, die sich als Einheitsgemeinde versteht, in der auch Reformierte ihren Platz haben sollen.
Hensel war für seine erste Amtszeit von der Jüdischen Gemeinde und der Liberalen Gemeinde gemeinsam nominiert worden und am 1. Juli 2021 ins Amt gekommen. Vom Kredit bei den Liberalen scheint aber nicht mehr viel übrig zu sein. „Es ist so, dass wir schon kurz nach der offiziellen Benennung von Stefan Hensel im Amt des Antisemitismusbeauftragten verwundert waren über seine Haltung“, sagte Steinig im vergangenen Sommer der taz. Hensel fühle sich der größeren, orthodox dominierten Gemeinde zugehörig, sagte Steinig. Daraus folge eine Befangenheit zuungunsten der Liberalen.
Liberale Gemeinde fordert Ämtertrennung
Das aktuelle Urteil bezeichnete Steinig als Weckruf, endlich die Ungleichbehandlung der Gemeinden zu beenden. Als Beispiele nennt er, dass seine Gemeinde bei der Dunkelfeldstudie zum Antisemitismus ignoriert worden sei.
Das Amt des Antisemitismusbeauftragten zu schaffen, hatten SPD, Grün, CDU, Linke und FDP 2019 unter dem Eindruck des Anschlags auf die Synagoge in Halle beschlossen. Aus Steinigs Sicht wäre die von ihm wahrgenommene Parteilichkeit Hensels kein Problem, wenn dieser nur Antisemitismusbeauftragter und nicht zugleich auch Beauftragter für jüdisches Leben wäre. Damit müsse er allen Juden in der Stadt gerecht werden. Steinig plädiert deshalb dafür, die Ämter zu trennen. Der Senat und die Jüdische Gemeinde kommentierten den Vorgang bis Redaktionsschluss nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!