: Erst Vogelscheuche, dann Designklassiker
Totgesagte leben länger. Das gilt auch für die CD. Plädoyer für einen Silberling
Von Lars Fleischmann
Dieser Text beginnt mit einem Geständnis: Ich habe mich in den vergangenen 18 Monaten von meiner Plattensammlung verabschiedet. Habe ausgemistet, einige 12-Zoll-Maxis und Collector’s Boxen verkauft, manche verschenkt, die Cheapos biete ich hiermit als Altvinyl zum Recycling feil. Es war an der Zeit, sich von den alten Scheiben zu trennen, selbst wenn mein Vinyl-verliebter Freundeskreis mit Unverständnis reagierte. Seitdem ich meinen DJ-Kopfhörer an den Nagel gehängt habe, standen meine Platten nur noch lästig auf ihrer Seite, im für Vinylsammler*innen nachgerade unumgänglichen Regal eines schwedischen Möbelhauses.
Die Alben wurden das, was sie partout nicht sein sollten, nicht sein dürfen: Staubfänger. Mit der Abkehr von der Kulturform DJing fiel auch der Druck weg, den immer neuen heißen Scheiß spielen zu müssen. Stattdessen machte ich mich auf die Suche nach Musik, die – zumindest für mich – wirklich von Belang war. Eine dort einsetzende Renaissance, von der gleich noch die Rede sein wird, führt mich also zurück in die Zeit meiner ersten Besuche bei WOM, Saturn-Hansa und beim kleinen CD-Laden, der auf meinem Schulweg lag. Als Schüler raffte ich einmal im Jahr das Taschengeld zusammen, um meinem Vater die Lieblingsalben seiner Jugend, frisch digitalisiert, neu gemastert und auf einen Silberling gebannt, zu schenken.
„Samba Pa Ti“ von Santana, Ten Years After, Queen, so was halt; dazu gesellte sich aus mir heute schleierhaften Gründen „We’ll Never Stop Living This Way“ von Westbam. So um 1995 war die Zeit, als Alben – neu und alt – in Massen in die Läden gebracht wurden, damit Jungs ihren Vätern Musik schenken konnten und die Majors (aber auch die Indies) die höchsten Umsätze ihrer Firmengeschichte einfahren durften. Später nahm ich für noch mehr CDs – aber auch für Baggypants und Skate-Shirts – einen Schülerjob auf: Ich fuhr jeden Donnerstag Zeitschriften an Senior*innen aus, damit ich auch irgendwann eine Sammlung, so groß wie jene meines Großvaters, mein Eigen nennen dürfte. Dieser hatte bis zu seinem Tod einen ganzen Raum mit mehreren tausend Alben und entsprechender Hi-Fi-Anlage gepflegt.
Der Drang, sein Geld in Musik zu investieren, ob als Monteur oder als Zeitungsausträger verdient, ist anscheinend familiär veranlagt. Rund um die Jahrtausendwende war eine Entwicklung in Gange, die unterdessen alles verändern sollte: Die Musikindustrie geriet in eine Krise. Für die Labels waren in Napster und eMule illegale Tauschbörsen und deren Nutzer*innen als die Schuldigen schnell ausgemacht. Dass man selbst mit der konstanten Ausbeutung des eigenen Backkatalogs zwei Jahrzehnte Reibach gemacht hatte, verschwieg die Musikindustrie an der Stelle gerne.
Der Sündenbock Filesharing täuschte darüber hinweg, dass man „Samba Pa Ti“ eben nur ein einziges Mal verschenken kann. Die Folgen der Krise waren jedenfalls deutlich in der Brieftasche zu spüren: Abgesehen von den Rabattinseln, von denen es im Saturn in Köln so etwa zehn Stück gab, wurden CDs sukzessive unerschwinglicher. Die Lösung kam in Form von Vinyl, dessen erfolgreiches Revival in den Nullerjahren seinen Anfang nahm: Indierock, Punk und Electronica-Platten waren lange Jahre ein gutes Stück billiger als ihre Pendants im quietschigen Jewelcase oder dem ungeliebten Digipak. Es wuchs unerwarteterweise eine Plattensammlung, während die CD aus den heimischen Gefilden verschwand.
2015 habe ich selbst einen Großteil meiner CDs in die Gelbe Tonne getan; einen Player besaß ich da schon länger nicht mehr. Selbst Laptops haben in der Zwischenzeit kein CD-/DVD-Laufwerk mehr. Freunde meinten scherzhaft, dass man aus den CDs noch Untersetzer machen könne – oder Lichtspiel-Vogelscheuchen für den heimischen Balkon. Die CD war zu einem müden Witz verkommen.
Heute, zehn Jahre später, ist der „full circle“ fast beschritten: CD-Inseln in Kaufhäusern sind komplett verschwunden; auch die Tonträgerabteilung von Saturn am Kölner Hansaring, einst Deutschlands größtes Musikfachgeschäft, ist der Rede nicht mehr wert und sieht nun so aus wie Nudel- und Toilettenpapierregale im Supermarkt während des Lockdowns. Streaming und Download, die digitalen Distributionswege, bestimmen mit über 80 Prozent Marktanteil Erlöse, Charterfolge und Bekanntheitsgrad aller Künstler*innen. Dabei gibt es genug Kritikpunkte an Streamingplattformen und ihren Machenschaften.
Vinyl hat in den USA und Großbritannien bereits 2022, nach genau 40 Jahren, die CD als wichtigsten physischen Tonträger verdrängt, in Deutschland dürfte es 2025 so weit sein. Zuletzt verzeichnete die CD jährliche Umsatzrückgänge von 20 Prozent im Durchschnitt. Doch wie Ton Steine Scherben schon richtig erkannten, ist immer dann der Tag am nächsten, wenn die Nacht am tiefsten ist. Woher ich das weiß? Ich habe mir das entsprechende Album gerade erst secondhand bestellt – natürlich als CD. Der Preis war läppisch: 5 Euro. Damit ist „Wenn die Nacht am tiefsten …“ einer von vielen kleinen Bausteinen einer sich gerade neu entfachenden Liebe für das Albumformat, für Soundvergnügen in High Fidelity, für präzisen, klaren Klang, kurzum: für eine neue CD-Sammlung.
Die Preise sind im Keller, die Mouse-on-Mars-Diskografie bekommt man für 50 Euro all together auf CD, ganz zu schweigen von den Schnäppchen bei Jazz und Klassischer/Neuer Musik. Jahrhundertwerke für den Preis eines halben Pfunds Butter.
Am Horizont ein Raunen, mehrere Musiker*innen und Labelmacher*innen verraten hinter vorgehaltener Hand, dass sie bald auch wieder auf CDs setzen werden. Für die Produktion von 300 Stück Vinyl zahlt man circa 2.000 Euro, für 300 CDs muss man nur 500 Euro berappen. Für kleinere Labels ein gehöriger Unterschied. Mal ehrlich, eigentlich seien CDs ja eben auch ein cooles Medium, höre ich am Rande einer Party. Eben! Meine Rede.
Selbst Gen-Zler erkennen das inzwischen an: Nicht nur bei Insta und Tiktok ist ein kleiner Hype um Discmans entbrannt, auf dem Kölner Designfestival Passagen hatte im Januar eine Gruppe Frühzwanziger einige Entwürfe für ein längst ausrangiertes Möbelstück vorgestellt. Es handelte sich um futuristisch anmutende CD-Regale. Ich beschwöre einen neuen Hype an dieser Stelle gerne herauf und möchte mein Plädoyer mit einem guten Tipp abschließen: Passt auf, dass die Dinger nicht verkratzen. Das nervt noch genauso wie 1999.
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