: Gut geplant ist halb geheizt
Ein digitaler Atlas und ein neues Beratungszentrum sollen Schleswig-Holsteins Gemeinden bei der Wärmeplanung helfen: Ziel ist die Unabhängigkeit von Gas und Öl

Von Esther Geißlinger
Rund 848.000 Wohngebäude stehen in Schleswig-Holstein, die meisten werden mit fossilen Brennstoffen beheizt. Das soll sich in den kommenden Jahren ändern, schließlich „wollen wir das Klima schützen und uns bis 2040 unabhängig von Gas und Öl machen“, sagt Umwelt- und Energiewendeminister Tobias Goldschmidt (Grüne). Gemeinsam mit Jörg Bülow vom Schleswig-Holsteinischen Gemeindetag stellte der Grünen-Politiker neue Angebote für Gemeinden vor, damit die schnell mit einer Wärmeplanung starten können. Denn die ist die Voraussetzung für konkrete Maßnahmen.
Lohnt sich der Bau eines Fernwärmenetzes? Wo sind Hausbesitzer:innen besser beraten, sich Gedanken um eine eigene Wärmepumpe oder ein Solardach zu machen? Solche Fragen müssen Gemeinden, Energieversorger wie Stadtwerke und Privatleute in den kommenden Jahren entscheiden. Leitlinie sind die Gesetze des Bundes, die Klimaneutralität bis 2045 vorschreiben. Schleswig-Holstein strebe zwar an, schneller, nämlich bis 2040, klimaneutral zu sein. „Das wünschen wir uns und arbeiten auch dafür, aber werden das nicht vorschreiben“, sagt Joschka Knuth (Grüne), Staatssekretär im Umweltministerium. Doch das Land wolle helfen, die Ehrenamtlichen in den Gemeinden von zu viel Bürokratie und Aufwand zu entlasten.
Dafür eröffneten Minister Goldschmidt und Jörg Bülow in Kiel nun ein Wärmekompetenzzentrum. Das soll Gemeinden bei deren Wärmeplanung zur Seite stehen. Das neue Angebot wird beim Breitbandkompetenzzentrum angesiedelt, das schon vor 15 Jahren eingerichtet wurde. Das sei ein Wunsch der kommunalen Landesverbände gewesen, also des Städteverbandes Schleswig-Holstein, des Gemeinde- und des Landkreistags, sagt Jörg Bülow: „Wir wollen Synergien heben.“ Das Breitbandkompetenzzentrum sei ein fester Bestandteil der kommunalen Familie. Außerdem habe es beste Kontakte zu den Stadt- und Gemeindewerken. Diese bezeichnete Bülow als „essenzielle Player der Wärmewende auf kommunaler Ebene“. Das neue Wärmekompetenzzentrum ermögliche es, die Kommunen bestmöglich auf dem Weg zur Klimaneutralität zu begleiten. Das Land stellt dafür rund 450.000 Euro pro Jahr für Personalkosten zur Verfügung.
Grundsätzlich müssen alle Gemeinden eine ausführliche Wärmeplanung vorlegen. Aber es gibt Ausnahmen. Die betreffen in Schleswig-Holstein zahlreiche kleine Orte. Denn in rund 43 Prozent der 1.104 Gemeinden des Landes leben nur wenige Menschen, insgesamt nur sechs Prozent der Gesamtbevölkerung, deren Häuser sich über weite Flächen verteilen. In diesen Orten lohnt sich ein Wärmenetz meist allein aus physikalischen Gründen schon nicht: Der Energieverlust in den Leitungen wäre zu groß.
Anhand des heutigen Wärmebedarfs und statistischer Daten hat das Umweltministerium einen „digitalen Atlas“ erstellt, in dem das ganze Land als Flickenteppich aus hell- und dunkelgrünen Orten dargestellt ist. Die 487 Gemeinden, die dort dunkelgrün erscheinen, können ein verkürztes Verfahren starten. Für die Bevölkerung dieser Orte bedeute das Klarheit, sagt Joschka Knuth: „Sie wissen dann, dass sie eine individuelle Lösung suchen müssen.“ Das könne eine Wärmepumpe sein oder ein kleines Netz für einen Straßenzug, aber das sei nichts, was die Gemeinde organisiert.
Tobias Goldschmidt (Grüne), Energiewendeminister
Auch wenn die Gemeinderäte in vielen Dörfern gerade erst anfangen, sich mit der Wärmeplanung zu befassen, sind andere schon weiter. Das Land hatte die einwohnerstärksten Orte verpflichtet, vorzeitig mit dem Prozess zu starten. 31 der größten Städte im Land haben ihre Hausaufgaben gemacht. Dazu zählen Kiel und Lübeck, aber auch Mittelzentren wie Rendsburg. Insgesamt leben rund 40 Prozent der Schleswig-Holsteiner:innen in diesen Orten. Damit steht man im Bundesvergleich hinter Baden-Württemberg auf dem zweiten Platz bei der Wärmeplanung. „Daher wünschen wir uns und stellen auch die Forderung an den Bund, dass es in diesem Bereich keine neuen Gesetze gibt“, sagt Knuth.
Nur eine Nachbesserung will die schwarz-grüne Landesregierung durchsetzen: Zurzeit ist – „unter dem Deckmantel der Technologieoffenheit“ – die Prüfung vorgeschrieben, ob die Gemeinde als Wasserstoffpotenzialgebiet infrage kommt. Zu viel Aufwand, findet Knuth: „Wir ärgern uns darüber und versuchen, es zu ändern.“ Statt auf Wasserstoff, der in der Produktion noch aufwendig und teuer ist, setzt Schleswig-Holstein vor allem auf Strom aus Wind und Sonne sowie auf Biogas. Hier gab es zuletzt Unsicherheiten, weil Fördergeld auszulaufen drohte. Aber der Bundestag hat jüngst mit Stimmen der CDU ein Paket zugesagt, das bis 2026 gilt und auch Anlagen in Schleswig-Holstein zugutekommen wird. „Es gibt wieder einen sicheren Pfad“, so Knuth.
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