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Historiker über Forschungsbehörden im NS„Handlungsspielräume wurden nur sehr eingeschränkt genutzt“

Carsten Reinhardt hat die NS-Geschichte staatlicher Forschungsbehörden untersucht. Ohne sie wäre das „Dritte Reich“ so nicht möglich gewesen, sagt er.

Hermann Göring (mit Spazierstock) besichtigt als Bevollmächtigter für den Vierjahresplan eine Kohlenanlage im Ruhrgebiet Foto: SZ Photo/picture alliance
Tobias Bachmann
Interview von Tobias Bachmann

taz: Herr Reinhardt, in den vergangenen Jahren haben Sie die NS-Vergangenheit der Vorgänger von drei Forschungsbehörden durchleuchtet, die heute dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unterstehen. Lange war solche Forschung in deutschen Behörden nicht sonderlich willkommen. Ließ man Sie gut arbeiten?

Carsten Reinhardt: Nachdem im Jahr 2016 die NS-Geschichte des BMWK aufgearbeitet worden war, wollten sich auch die angeschlossenen Forschungsbehörden ihrer Vergangenheit stellen. Inhaltlich verlief unsere Forschungsarbeit völlig unabhängig, jedoch haben die Behörden uns nach Kräften unterstützt. Wir hatten Zugang zu sämtlichen staatlichen und fachlichen Archiven.

Im Interview: Carsten Reinhardt

lehrt und forscht als Professor für Historische Wissenschaftsforschung zur Geschichte der Naturwissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert an der Universität Bielefeld. Kürzlich hat er gemeinsam mit Helmut Maier von der Uni Wuppertal und weiteren Wis­sen­schaft­le­r*in­nen eine Studie zur Geschichte der Ressortforschung im Nationalsozialismus veröffentlicht.

taz: Eine Ihrer zentralen Fragen war, wie sich die Vorgänger der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in das politische System des Nationalsozialismus hineinbewegt haben. Wie lief das ab?

Reinhardt: Das nationalsozialistische Regime hat damals direkt nach der Machtübergabe sehr radikale Gesetze erlassen. Zum Beispiel das „Gesetz zur Wiederherstellung des deutschen Berufsbeamtentums“ vom April 1933. Das hat allen staatlichen Einrichtungen auferlegt, jüdische Mitarbeitende und politisch Oppositionelle zu entlassen und zielte auf deren Vertreibung.

Die von uns erforschten Behörden haben dieses und weitere NS-Gesetze in fast allen Fällen zügig und umfassend umgesetzt. Es gab Verzögerungen, aber das waren sehr wenige. Vorhandene Handlungsspielräume wurden nur sehr eingeschränkt genutzt. Gleichzeitig, und da ähneln die Forschungsbehörden anderen staatlichen Einrichtungen, sind zu Beginn etwa 30 bis 40 Prozent und in der späteren Kriegsphase deutlich über 50 Prozent der Beamten in die NSDAP eingetreten. Das neue politische System wurde größtenteils begrüßt.

taz: Weshalb?

Reinhardt: Ein Großteil der Beamtenschaft und der höheren Angestellten dieser Einrichtungen war rechtsnational eingestellt und konnte sich mit vielen Zielen des nationalsozialistischen Staates identifizieren. Die Bestimmungen des Versailler Vertrages, also den Verlust von Gebieten des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg, empfanden viele der Beamten als ungerecht. Sie gingen davon aus, dass man einen Krieg führen musste, um das Deutsche Reich wieder in die Machtstellung zu bringen, die es vor dem Ersten Weltkrieg hatte.

Hinzu kam bei vielen das Karrierestreben. Für Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure, darunter waren wenige Frauen, entstanden in der Kriegswirtschaft viele interessante Betätigungsfelder. Zudem waren die Ressourcen vorhanden: Die Etats der Forschungsbehörden sind in dieser Zeit sehr stark gestiegen. Das Personal hat sich mehr als verdoppelt.

taz: Heute forscht die BGR beispielsweise daran, wie natürliche Ressourcen nachhaltig genutzt werden können. Woran haben die Forschungsbehörden im Nationalsozialismus gearbeitet?

Reinhardt: Eines der Hauptziele war Autarkie. Die zentrale Lehre aus dem Ersten Weltkrieg war, dass die Alliierten das Deutsche Reich durch eine Seeblockade von Einfuhren abschneiden konnten. Um den Krieg erfolgreich führen zu können, sollte das Deutsche Reich also unabhängig von kriegswichtigen Importen werden.

Die Forschungsbehörden haben Rohstoffe wie Metalle und Mineralien aber auch Erdöl und Kohle im Deutschen Reich ausfindig und verfügbar gemacht. Und sie haben sich bemüht, für viele importierte Stoffe Ersatzstoffe zu finden. Diese Forschungsergebnisse haben eine neue Materialwirtschaft möglich gemacht und sie waren ein wesentlicher Baustein für die Rüstungspolitik. Ohne die Arbeit der Forschungsbehörden hätte das NS-Regime seinen Vernichtungskrieg nicht so lange führen können.

taz: Gab es keinen Widerstand?

Reinhardt: Es gab einzelne Fälle von Spionage. Aber das waren Ausnahmen, die durch die Gestapo und die Amtsleitung mit schlimmsten Konsequenzen für die Beteiligten verfolgt wurden.

taz: Ist die staatliche Forschung davor gefeit, sich wieder den falschen Zielen zu verschreiben? Aktuell erleben wir eine Renaissance nationalistischer Denkweisen und eine massive Welle der Aufrüstung. Auch die Unabhängigkeit von Rohstoffimporten ist ein Thema.

Reinhardt: Eine gesicherte Rohstoff- und Energieversorgung ist von zentraler Bedeutung für jeden Wirtschaftsstandort, auch für einen rein zivilen. In einer Welt, in der Ressourcen als Druckmittel benutzt werden, ist eine gewisse Unabhängigkeit deshalb unerlässlich. Aber wir sollten dafür sorgen, dass prosperierende, ökonomische und ökologisch nachhaltige Wirtschaftsformen existieren. Nur so lässt sich langfristig auch eine funktionierende Gesellschaft sichern.

Dennoch müssen wir uns bewusst sein, dass Forschung immer auch politisch ist. Autarkie kann in Kriegsvorbereitung münden, muss sie aber nicht. Mit diesem Wissen gilt es verantwortlich zu handeln. Je­de*r von uns hat eine individuelle Verantwortung und einen moralischen Kompass. Es ist wichtig, beide in Einklang zu bringen. Wir sind nicht dazu verdammt, die Geschichte zu wiederholen.

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