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Nickerchen gegen den Klimawandel

Im Theaterstück „Der lange Schlaf“ der Landesbühne Nord geht es ums Wegdösen angesichts der globalen Krise. Die Umsetzung überzeugt nicht

Funktioniert beides nicht: kollektives Schlafen und das Stück darüber Foto: Volker Beinhorn/Landesbühne

Von Jens Fischer

Den Klimawandel verlangsamen, stoppen, umkehren? Na klar! Auto verkaufen, nur noch vegetarisch essen, Konsum reduzieren, aufs Recyceln und Reparieren setzen, gegen hemmungsloses Wirtschaftswachstum demonstrieren, Fahrrad- statt Flugreisen machen … oder einfach gar nichts tun. Wie bitte? Sich zu Hause einschließen, ins Bett legen und Lebensfunktionen auf Sparflamme schalten, ja, die gesamte Menschheit sollte ein Jahr lang schlummern, damit die Erde sich mal erholen und unsere Lebensressourcen regenerieren kann. Diese Idee stellt der australische Dramatiker Finegan Kruckemeyer in seinem Stück „Der lange Schlaf“ vor. Inspiration lieferte der erste harte ­Corona-Lockdown, dank dem die Treibhausgasemissionen weltweit um einen Rekordwert sanken, der aber mit wenigen Wochen zu kurz war, um nachhaltig zu wirken.

Dringlichkeit behauptend lässt Kruckemeyer die Handlung 2030 spielen, bietet Science-Fiction – leider ohne Science. Das Stück ist nicht als wissenschaftlich fundiertes Gedankenexperiment angelegt, sondern aller Unwahrscheinlichkeit zum Trotz um Realismus bemüht und zur leichteren Verkostung des eigentlich existenziellen Themas mit Boulevardtheater-Personal ausgestattet. Philipp Stölzls deutschsprachige Erstaufführung am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg blähte die Szenen zu pompösen Kinobildern auf und entlarvte dabei eher unfreiwillig die Klischees der Vorlage. Führt die Landesbühne Niedersachsen Nord mit deutlich weniger Produktionsmitteln eine intensivere Auseinandersetzung?

In Wilhelmshaven versucht Angelika Zacek, vor allem das große Gefühlspanorama auf die Bühne zu bringen, drückt sich aber auch nicht vor der bereits stückimmanenten Kritik am globalen Nickerchen. Eine ehrgeizige Wissenschaftlerin (Emily: Aida-Ira El-Eslambouly) bewirbt ein von ihr entwickeltes Nervengas, das die komplette Menschheit zwangsweise einschläfern kann. Ein eitler Politiker will mit dem Projekt seine Karriere fördern. Immerhin sagt Emilys Freund, das verstoße „gegen echt zentrale menschliche Regeln“ und „zu viele Menschen werden sterben“.

In einer parlamentarischen Fragestunde empören sich auch Darsteller aus dem Parkett. Wie die Schlafkur dann doch politisch durchgesetzt und weltweit realisiert wird, bleibt unerwähnt. Also auf zum kollektiven Hinlegen. Was ziemlich bedenkenlos geschieht. Das Publikum lernt dabei ein nettes PoC-Paar in Lagos kennen, ein nettes schwules Paar in Bogotá, eine nette Vater-Tochter-Beziehung in Seoul und nett umeinander bekümmerte Freundinnen in Los Angeles sowie den nett von Emily angeschwärmten Mark in Canberra.

„Der lange Schlaf“: Fr, 21. 2., 19.30 Uhr, Theater am Dannhalm Jever; Mo, 24. 2., 20 Uhr, Metropol-Theater Vechta; Mi, 26. 2., 20 Uhr, Buxtehude; Fr, 28. 2., 20 Uhr, Theater an der Blinke, Leer; Sa, 26. 4., 20 Uhr, Stadttheater Wilhelms­haven

Für alle hat Ausstatter Tom Unthan gleich schäbige Spielorte gebaut und nebeneinander auf der Bühne platziert. Diese ist also ziemlich voll gestellt. Ein bemerkenswert hässliches und hinderliches Bühnenbild, das die unterschiedlichen sozialen Kontexte auf mehreren Kontinenten genauso wenig verdeutlicht wie der Text, die Inszenierung und das zehnköpfige Ensemble. Es changiert zwischen lockerem Comedy-Gestus und häufig lauten Betroffenheitsausbrüchen.

Alle kriegen einen eigenen Spielort – bis die Bühne übervoll ist Foto: Volker Beinhorn/Landesbühne

Ihm beim Schlafen zuzusehen, erspart uns der Autor, nutzt die Ruhepause aber auch nicht zur Reflexion, sondern hat sich dafür Pete (Jean-Philippe Kodjo Adabra) und Maggie (Steffi Baur) als Mo­de­ra­to­r:in­nen ausgedacht, bei denen das Gas nicht wirkt. Wie von einer Erlösung erzählen sie, wie Pflanzen und Tiere, die Städte zurückerobern. Es trübt ihre naive Naturbegeisterung auch kaum, dass das anarchisch-brutale Gesetz des Stärkeren herrscht, ehemals kuschelige Haushunde zu reißenden Bestien werden und hier wie dort mal Schlafende verspeisen, die auch von Unwettern weggespült oder von Feuersbrünsten verkohlt werden. Die Be­ob­ach­te­r:in­nen klauen sich derweil reich und glücklich, genießen 600 Dollar teuren Wein und umschlingen einander gierig. Zeit für ein bisschen Liebeskitsch und den Kleinbürgertraum, sich überall kostenlos zu bedienen, ohne bestraft zu werden.

Im dritten Akt werden dann Zahlen der gar nicht mehr oder schwerst gestört Erwachten sowie weitere Kollateralschäden erwähnt, aber nicht diskutiert. Das Stück zeigt nur, was von vornherein klar war: Die Rettung der Welt durch Massennarkose – technisch und politisch nicht machbar, ethisch nicht akzeptabel – funktioniert nicht. Die Probleme wurden nur kurzfristig gelindert, nichts reformiert oder revolutioniert. Anschließend geht es eh weiter wie zuvor. Und die Regie findet wie in Hamburg keinen Ansatz, mit der Vorlage einen Diskurs zur Öko-Apokalypse zu initiieren. Im Schauspielhaus waren immerhin Bühnenbild und Schauspielkunst von handwerklich überragender Qualität …

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