: China zwischen Trump und Transformation
Beim Nationalen Volkskongress gibt die Parteiführung die wirtschaftliche und politische Stoßrichtung vor. Dieses Jahr gibt es einen weißen Elefanten in der Halle: Donald Trump
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Von Fabian Kretschmer, Seoul
Auf den Brücken der Ringstraßen schieben Soldaten bereits eifrig Wachschichten. Entlang der Bürgersteige haben sich wachsame Senioren mit roten Armbinden eingefunden, um nach dem Rechten zu sehen. Und die Zugpassagiere von außerhalb der Hauptstadt müssen wieder zusätzliche Sicherheitskontrollen über sich ergehen lassen. Kurzum: Peking bereitet sich auf den Nationalen Volkskongress (NVK) vor.
2.977 Delegierte aus sämtlichen Landesteilen finden sich ab Mittwoch in der Großen Halle des Volkes am Platz des Himmlischen Friedens ein. Vor allem ist der NVK eine große Demokratiesimulation. Schließlich sind sämtliche Gesetze, die während jener Tage abgenickt werden, längst beschlossene Sache. Dennoch ist das Politereignis ein immens wichtiger Gradmesser, um zu verstehen, wo die Volksrepublik hinsteuert.
Laut der offiziellen Zahlen ist das Bruttoinlandsprodukt der Volksrepublik im Vorjahr immerhin um fünf Prozent gestiegen. Doch wurde das Wachstum noch 2018 zu zwei Dritteln durch den Binnenkonsum generiert, ist dieser mittlerweile stark eingebrochen – sehr zum Leid europäischer Firmen, deren Absatz im chinesischen Markt ebenfalls implodiert ist. Stattdessen hat Chinas Abhängigkeit von den nach wie vor boomenden Exporten deutlich zugenommen.
„Was wir wahrscheinlich sehen werden, ist ein bemerkenswertes Maß an Kontinuität“, sagt Jabob Gunther von der Denkfabrik Merics mit Sitz in Berlin. Der langjährige China-Experte ist sich sicher: Xi Jinping wird an seinem Kurs von ideologischer Strenge und flächendeckender Industriepolitik festhalten.
Tatsächlich hat der chinesische Parteichef seine Volkswirtschaft in atemberaubendem Tempo transformiert. Längst hat nämlich wieder die Parteiführung das Steuer in der Hand, während die Kräfte des freien Marktes zurückgedrängt wurden. Eine Statistik macht dies besonders deutlich: Der Anteil an chinesischen Unternehmen, die Verluste schreiben, befindet sich auf dem höchsten Stand seit rund 20 Jahren.
Dahinter steckt System: Xi verlangt von seinen Privatunternehmen, dass diese sich den nationalen Interessen unterordnen – und Profitinteressen zumindest kurzfristig in den Hintergrund rücken. Nur so ist zu erklären, dass etwa das Internetimperium Alibaba vom einst profitablen Finanzdienstleistungssektor nun in künstliche Intelligenz investiert. Oder dass Huawei sein erfolgreiches Smartphonegeschäft zurückfährt, um die Ressourcen in jene von Xi Jinping definierten Zukunftsindustrien zu stecken.
Der überzeugte Kommunist Xi Jinping dürfte sich angesichts der geopolitischen Turbulenzen zusätzlich bestärkt fühlen. Er erwartet von seiner Bevölkerung harte Opfer, um im Systemkampf gegen die USA zu bestehen. Er propagiert, dass man während der nächsten Jahre die Gürtel enger schnallen müsse, um in Zukunft die wohlverdienten Früchte des chinesischen Aufstiegs ernten zu können.
Donald Trump könnte ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Denn während der US-Präsident einen Kuschelkurs gegenüber Wladimir Putin fährt, eskaliert er den Handelskrieg gegen China.
Zuletzt erklärte US-Außenminister Marco Rubio offenherzig, dass es der US-Regierung vor allem darum gehe, einen Keil in die chinesisch-russische Partnerschaft zu treiben. „Die große Erzählung des 21. Jahrhunderts wird die Beziehung zwischen den USA und China sein“, sagte Rubio dem rechtsextremen Medium Breitbart News: „Wenn Russland auf lange Sicht zu einem dauerhaften Juniorpartner Chinas wird, dann haben wir es mit zwei Atommächten zu tun, die sich gegen die Vereinigten Staaten verbünden.“
Nun versucht Trump gewissermaßen dem historischen Vorbild Richard Nixons nachzueifern, nur unter umgekehrten Voraussetzungen. Nixon gelang es, das maoistische China von der Sowjetunion zu lösen und auf die eigene Seite zu ziehen – ein entscheidender Grundstein für Washingtons späteren Sieg gegenüber Moskau im Kalten Krieg.
Ein halbes Jahrhundert später versuchen die USA nun offenbar, im Kalten Krieg 2.0 mit der Hilfe des Kreml gegenüber Peking zu triumphieren.
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