Album „Stark reduziert“: Untertourig statt großspurig
Neue Direktheit: Der Berliner Künstler Alexander Winkelmann überzeugt mit dem versponnenen Sound seines Albums „Stark reduziert“.
Wer die Musik von Alexander Winkelmann hört, dem flößen Leute, die mit dem Kiefer mahlen, keine Angst mehr ein. Das Glück auf Erden, es ruht an einer anderen Körperstelle: Beim Berliner Künstler liegt es in der Kehle.
„Augen auf, Augen zu / Das Leben ist ein Traum / Und was träumst Du?“, heißt es in dem Song „Traum“. Winkelmann kommuniziert mit seinen Texten immer nach außen, bezieht seine Umwelt in Überlegungen mit ein, und man hört dabei gerne zu, weil er Existenzielles ankratzt ohne Überfrachtung.
Falls noch jemand die Stimme der Handpuppe „Hase Cäsar“ aus der TV-Serie „Spaß muss sein“ kennt: Winkelmanns Stimme klingt ihr verblüffend ähnlich. Sie mutet kindlich an, aber nicht infantil. Sie spricht sich und anderen Mut zu, spendet Trost, indem sie im Gewöhnlichen nach tieferem Sinn sucht. Oder sie zählt Farbtöne auf und reimt: „Ultramarin hab ich verzieh’n.“
Gerade, weil der Sänger nicht sehr sangestrunken zu Werke geht, verschafft sich Winkelmann Gehör, wohltuende Abwechslung von sonoren Gewissheiten oder schrill vorgetragenen Emotionen. Dazu spielen Piano, Bass und akustische Gitarre mit einem rudimentären Schlagzeug als impressionistische Signatur. Die minimalistische Instrumentierung schafft einen passenden Rahmen, manchmal auch dadurch, dass sie unisono zu Winkelmanns Gesang begleitet. Trotzdem fällt der Sound des Albums „Stark reduziert“ so magisch aus wie diesseits des versponnensten Songwritings von Erlend Øye.
Alexander Winkelmann: „Stark reduziert“ (Martin Hossbach Records). Konzerte sind für den Sommer geplant.
Unfertig und spontan
Die 13 Songs des Albums haben etwas an sich, was manchen mit Businessplan und Blisspoints ausgeheckten Werken fehlt: Sie klingen spontan. Der Berliner Musikmanager Martin Hossbach war von den Aufnahmen so begeistert, dass er sein stillgelegtes Indielabel dafür wieder reaktiviert hat.
Das Unfertige in den Arrangements ist nicht kaputt inszeniert, sondern fußt auf First Takes. Die Idee war, „Stark reduziert“ live im Studio einzuspielen. Und das hat den Beteiligten so behagt, dass die ersten Demoaufnahmen beibehalten wurden, inklusive Schlenkern und kleinen Wacklern.
Dass das Ambiente im Aufnahmeraum durch Closemiking hervorgehoben wird, hat der Brite Mark Hollis mit seiner Band Talk Talk Ende der 80er perfektioniert. In den 13 Songs von „Stark reduziert“ taucht diese Raumphilosophie wieder auf, aber Produzent Max Rieger (Die Nerven) lässt sie eher flüchtig, ja sogar schüchtern stehen, anstatt konzeptionelle Strenge walten zu lassen.
Winkelmann und seine Band (Marvin Holley, Garagen Uwe, Sebastian Gieck und Max Gruber) sind auch daher eine wichtige Addition zum überschaubaren deutschsprachigen Indiekanon. Ihre Musik mäandert zwischen den Genres, weder regiert die Befindlichkeitsschiene des Rock, noch werden privatistische Singer-Songwriter-Konventionen bedient oder Plotpoints von „großen“ Popsongs abgerufen. Im Dayjob verdient Winkelmann sein Geld als Grafiker von Tegel Media, dem Internetuniversum der Schriftsteller Leif Randt und Jakob Nolte. Dort habe er die Genauigkeit beim Textverarbeiten und Lektorieren schätzen gelernt, erklärt er der taz.
Der Rest ist genüssliches Schweigen
Wo Popmusik und ihre medial vermittelte Künstlichkeit oft nur noch den Willen zur Macht ausstellt, nach möglichst großer Reichweite lechzt und geilen Karrierismus vorgaukelt, um damit letztlich stumpf die Disziplinierungsbehauptungen der Gesellschaft mit Glamour nachzuexerzieren, fährt Winkelmann lieber untertourig und entdeckt im kleineren Maßstab des Alltags eine Möglichkeit zur Intervention. „Das haben wir schon immer so gemacht“, heißt es im Song „Aber“. Der Refrain beschränkt sich auf das titelgebende Wort. Die Lösung liegt in der Lust am Zusammenspiel. Der Rest ist genüssliches Schweigen.
Der „Fallschirm“, ohne den das Textich im gleichnamigen Song von einem Hochhaus springt, wird durch die brasilianische Anmutung der Musik als Sicherheitsnetz erzeugt. Die Musik bettet Freundlichkeit und Simplizität der Textwelten aber nie zu selbstbequem ein. Manchmal genügt ein einzelner Ton wie das Synthesizerwabern in „Gartenphase“ oder eine nervige Flötenmelodie wie in „Kein Schmerz im Metaverse“, um Verwunderung hervorzurufen.
Der Albumtitel „Stark reduziert“ winkt eher sachte mit dem Zaunpfahl: Die Reduktion der musikalischen Mittel ist gemeint, nicht der Wühltisch, auf dem Wasserschadenware feilgeboten wird. Bei Winkelmann führen Reduktion und Selbstbeschränkung zu einer dringend benötigten neuen Direktheit.
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