Bob-Dylan-Film „Like a Complete Unknown“: Der ewig Rätselhafte
Kein typisches Biopic: „Like a Complete Unknown“ mit Timothée Chalamet erzählt an der Oberfläche, fängt aber die Faszination der Musik ein.
Hollywood hat Hunger auf große Musiklegenden: Freddie Mercury, Elton John, Elvis Presley – über ihrer aller Leben wurden in den vergangenen Jahren hochbudgetierte Filmbiografien gedreht. Die Logik dahinter liegt auf der Hand: Überlebensgroße Weltstars, deren Alben sich Hunderte Millionen Mal verkauften, lassen sehr wahrscheinlich auch die Kinokassen klingeln.
Große Filmkunst sind diese Werke in der Regel nicht, aber die Rechnung geht auf. Und so dehnt sich der Kreis der Künstler, die für ein solches Unterfangen infrage kommen, immer weiter aus: auf jüngere und noch lebende Sänger wie Robbie Williams („Better Man“) oder vor nicht allzu langer Zeit jung verstorbene Musikerinnen wie Amy Winehouse („Back to Black“).
Umso erstaunlicher ist es, dass sich erst jetzt eine große Produktion dem legendären Bob Dylan widmet. Vielleicht, weil der letzte Film über ihn gar nicht so weit zurückliegt: „I’m Not There“ musste zwar noch mit einem deutlich geringeren Budget auskommen als nun „Like a Complete Unknown“. Allerdings wurde Todd Haynes' im Jahr 2007 erschienenes Biopic von der Kritik hoch gelobt und ist durch seine ungewöhnliche Annäherung an den Künstler gut in Erinnerung geblieben.
Gleich sechs Schauspielerinnen und Schauspieler verkörperten darin Bob Dylan, darunter Heath Ledger, Cate Blanchett und Richard Gere. Statt sich eines einfachen Spannungsbogens zu bedienen, ließ der Filmemacher die vielen verschiedenen Facetten des unangepassten Singer-Songwriters in einer fragmentarischen Collage aus surrealen Erzählsequenzen und den bekannten Stationen seines Lebens aufblitzen.
„Like a Complete Unknown“. Regie: James Mangold. Mit Timothée Chalamet, Edward Norton u. a. USA 2024, 141 Min.
Weshalb, das nahm Todd Haynes’ Film damals direkt im Auftakt vorweg: „Poet, Prophet, Outlaw, Fake – elektrisierender Star: Selbst der Geist ist mehr als ein Mensch“, hieß es da.
Und womöglich ist das ein weiterer Grund dafür, dass bisher noch kein massentauglicher Blockbuster über den Meister der Metamorphose für das Mainstreamkino produziert wurde: Die Vita des Bob Dylan, der als bislang einziger Musiker den Nobelpreis für Literatur erhielt, ist wie sein Schaffen zu vielseitig, um es in ein marktkonformes Biopic im Geiste von „Bohemian Rhapsody“, „Rocketman“ oder „Elvis“ zu zwängen – Filme, die auf erstaunlich gleichförmige Weise von eigentlich gänzlich verschiedenen Persönlichkeiten erzählen und dabei (meist) ihren gesamten Lebensweg in eine immer ähnliche Geschichte pressen.
Auf das anfängliche Außenseitertum folgt ein kometenhafter Aufstieg, dann die Krise am Höhepunkt der Karriere – meist in Form von Drogen-, Tabletten- und/oder Alkoholsucht. Und nach der augenöffnenden Läuterung kommt das große Comeback, das triumphale Finale oder zumindest die versöhnliche Schlussnote.
Der Anfang seiner Karriere
Regisseur James Mangold („Indiana Jones und das Rad des Schicksals“), der zusammen mit Jay Cocks („Silence“) auch das Drehbuch schrieb, versucht erfreulicherweise erst gar nicht, mit „Like a Complete Unknown“ eine ganzheitliche Filmbiografie über Bob Dylan vorzulegen. Stattdessen konzentriert sich die Handlung auf einen vergleichsweise kleinen Ausschnitt aus der langen Karriere des bis heute auftretenden 83-jährigen Musikers.
In den frühen 1960er Jahren wird von seinen musikalischen Anfängen erzählt, den ersten Erfolgen in der Folkszene, seiner Entwicklung zur Stimme der Protestbewegung in den USA – bis hin zu seinem berühmt-berüchtigten Auftritt beim Newport Folk Festival 1965. Dort stand Bob Dylan erstmals mit einer Band, elektrische Musikinstrumente inklusive, auf der Bühne und wandte sich damit vom politischen Folk ab und dem Rock zu.
Der Titel des Films, dem Song „Like a Rolling Stone“ entlehnt, spricht durchaus für sich: Durch seinen Erzählfokus macht „Like a Complete Unknown“ begreiflich, warum der Künstler bis heute als Wandler zwischen den Welten, als großer Einzelgänger gilt, der sich nie lange in einer Szene zu Hause fühlte oder sich einer dezidierten politischen Strömung zuordnen lassen will.
Reputation des Mythischen
James Mangold zeigt Bob Dylan als den ewig Rätselhaften, was ganz im Einklang mit seinem öffentlichen Ruf steht. Diese Reputation des Mythischen trägt maßgeblich zur anhaltenden Faszination für den Künstler bei – und auch der Film profitiert zweifellos davon. Bob Dylan auf diese Weise zu porträtieren, bedeutet jedoch gleichzeitig, ihm weder näherzukommen noch neue Perspektiven auf die bekannten Etappen seines Lebens zu eröffnen.
Was den zu Beginn des Filmes erst 19-jährigen Bob Dylan (Timothée Chalamet) antreibt, wird somit auch in „Like a Complete Unknown“ nicht näher thematisiert oder interpretiert. Mit Schiebermütze, Gitarrenkoffer und Leinenrucksack kommt er in New York an, um sein großes Vorbild, den an der Huntington-Krankheit leidenden Musiker Woody Guthrie (Scoot McNairy) im Krankenhaus zu besuchen.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Like a Complete Unknown“
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Er spielt ihm und dem Künstlerkollegen Pete Seeger (Edward Norton) einen eigens geschriebenen Song vor. Die beiden Größen der Folkmusik sind umgehend begeistert und Bob Dylans großes Genie ist einfach da. Dank Seegers Unterstützung, der in der Arbeiter- und Bürgerrechtsbewegung aktiv ist, ist der Weg zum ersten Auftritt und Plattenvertrag dann nicht mehr weit.
Vom schlichten Coversänger steigt Dylan mit Songs wie „Blowin’ in the Wind“ und „Masters of War“ im Handumdrehen zum Helden der sozialkritischen Folkszene auf. Was ihn an dieser Entwicklung wirklich reizt, wird im Film ebenfalls nur angedeutet: Immer wieder sind Fernsehbilder großer politischer Ereignisse zu sehen, der Vietnamkrieg flirrt bisweilen über die Mattscheibe, und seine Freundin Sylvie erinnert ihn daran, dass die ernste politische Lage dringend nach einer entschlosseneren Musik verlangt – statt der immer gleichen Gassenhauer.
Ein Hauch von Eifersuchtsdrama
Der Versuch, Bob Dylan in die gesellschaftspolitische Aufbruchstimmung der Zeit einzubetten, bleibt letztlich ebenso bruchstückhaft wie die Beziehung zu Suze Rotolo, die im Film Sylvie Russo (Elle Fanning) heißt. Das komplexe Verhältnis zu Joan Baez (Monica Barbaro), die bereits vor Bob Dylan in der Folkszene aktiv war, und – unfähig, eigene Songs zu schreiben – bald die seinen interpretiert, wird im Film wiederum vor allem als weiterer Beweis seines Genies angeführt.
Ein Hauch von Eifersuchtsdrama schleicht sich ein, als Baez und Dylan schließlich gemeinsam auf der Bühne stehen und Partnerin Sylvie mit der elektrisierenden Bühnenpräsenz der beiden hadert. Doch auch dieser Konflikt wird nicht ausreichend vertieft, um eine echte emotionale Fallhöhe aufzubauen.
Dass „Like a Complete Unknown“ als gediegener Unterhaltungsfilm dennoch fesselt, liegt weniger an der Handlung als an der Art, wie Bob Dylans Musik zum Leben erweckt wird. Regisseur James Mangold lässt deutlich mehr Originalsongs als viele andere Musikerbiografien mit einfließen und lässt Klassiker wie „Like a Rolling Stone“, „It Ain’t Me, Babe“ und „It’s All Over Now, Baby Blue“ nahezu in voller Länge erklingen.
Timothée Chalamet sang während der Dreharbeiten 40 Songs selbst ein, spielte dazu Gitarre und Mundharmonika. Obwohl seine Züge doch deutlich weicher sind als die Bob Dylans, ist seine äußerliche Ähnlichkeit samt wilder Lockenfrisur im Film frappierend – und auch Chalamets androgynes Charisma, die leicht entrückte jugendliche Hybris, die fest zu seinem Image gehört, fügt sich nahtlos in die Figur ein. Seine Oscarnominierung ist ebenso verdient wie jene in den Nebendarstellerkategorien für Edward Norton und Monica Barbaro, die aus einer leidlich ausgearbeiteten Rolle noch das Maximum herausholt.
Dass es letztlich stolze acht Oscarnominierungen geworden sind, ist ein wenig viel der Auszeichnungseuphorie, überrascht aber kaum: Nicht nur die Hollywoodstudios haben Hunger auf Filmbiografien, auch die Academy liebt sie. Und in diesem Fall trifft diese Anerkennung bei allen erzählerischen Schwächen auch nicht den gänzlich falschen Film. „Like a Complete Unknown“ kann die Begeisterung für Bob Dylan (neu) entfachen – und das ist immerhin mehr, als dem Gros vergleichbarer Filmbiografien gelingt.
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