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Sauer …was?

Gibt es das Sauerland eigentlich oder ist es nur eine Chiffre? Direkte Nachbarn behaupten jedenfalls, noch nie dort gewesen zu sein. Eine Sauerlandverschwörung

Von Burkhard Straßmann

Der müde Witz über die Nichtexistenz der ostwestfälischen Stadt Bielefeld („Bielefeldverschwörung“) birgt, wie jeder Witz, einen Funken Wahrheit. Dieser Funken wird zum Großbrand, wenn wir die Bielefeldverschwörung auf eine ganze Region übertragen: das Sauerland.

Die „Sauerlandverschwörung“ behauptet, dass es ausgerechnet das Land, welches der Sauerländer Friedrich Merz zur Blaupause seines Deutschlandplans verwendet, gar nicht gibt. Dann wäre ja der Merztraum nichts weniger als der Traum, dass Deutschland als Ganzes verschwindet („Deutschlandverschwörung“). Skandalös!

Wer sich näher mit der „Sauerlandverschwörung“ befasst, stößt auf Irritierendes. Es ist natürlich keineswegs trivial zu beweisen, dass das Sauerland nicht existiert. Doch es gibt Hinweise. Von Betroffenen. Also von Menschen, die von einer Existenz des Sauerlandes ebenso betroffen wären wie von der Nicht­exis­tenz.

Solche Menschen findet man in der Nachbarschaft des Sauerlandes, im Bergischen Land oder gar im Niederbergischen, in Mettmann, Neandertal oder Leichlingen. Man wird überrascht sein, wie verschwommen, ja undefiniert die Vorstellungen des Merz-Landstrichs dort sind. Die häufigste Antwort, fragt man nach dem Sauerland, wird „Häh?“ sein. Äußerstenfalls eine wirre Geste Richtung Osten, „da, wo Sibirien liegt“.

Erst Tiefeninterviews fördern zutage, dass „Sauerland“ eine Chiffre ist. Für „schwarzes Loch“, „Ende der Welt“ oder „Tor zur Hölle“. Auf die Frage: „Wann waren Sie zuletzt im Sauerland?“ hört man regelmäßig: „Ich war noch nie da.“ Und: „Dorthin geht man doch nicht.“ Oder auch, als Hinweis auf die rigide Tabuisierung des Begriffs: „Sauer …was?“

Allerdings sieht man schon am Beispiel Bielefelds, dass selbst nichtexistente Orte nützlich sein können. Als Projektionsfläche für Wünsche und Ängste zum Beispiel. Auf das Sauerland angewendet heißt das: In Hilden, Haan und Wülf­rath gilt das unbekannte Schwarze im Osten als der projektive Sündenfokus an sich. Als der Ort, der von allen sozialen Fesseln befreit.

Es ist natürlich keineswegs trivial zu beweisen, dass das Sauerland nicht existiert. Doch es gibt Hinweise

Das Sauerland als Enthemmungsmaschine! Das passende Liedgut liegt bereit: „Moin, moin, guten Tach, saufen Cola und Korn“ oder auch „Was ist mit der Fickerei-ei-ei, bist du dabei-ei-ei?“ Solcherlei Partyschlagergesänge hört man aber nur im Mittelpunkt des Sündenzentrums, den die braven Einwohner Vohwinkels, Ratingens und Gerresheims in „Willingen“ verorten.

Willingen im Hochsauerland – das steht für Brüllen und Kreischen, Wildpinkeln und Flaschenzerdeppern, Saufen bis zur Besinnungslosigkeit und insbesondere für das Versprechen, dass hier jederzeit männliche und weibliche Kegelclubs zu Paarungszwecken übereinander herfallen. Hier wird auch der „Ballermann-Award“ für Verdienste am kollektiven Ausrasten verliehen. Willingen als feucht-bürgerlicher Fiebertraum – lügt die „Sauerlandverschwörung“? Ist was dran? Ist es bloß üble Nachrede, dass es im Sauerland eine Zeitung namens Woll geben soll? „Woll“ heißt auf Hochdeutsch „Nicht wahr“. Ist das ein Kryptohinweis auf „unwahr“?

Und was ist denn eigentlich davon zu halten, dass in eben dieser Woll nicht nur Hinweise auf erotische Abenteuer zu finden sind – sondern auch geheimnisvolle Verbindungen zwischen dem Sauerland und jener fraglichen Stadt in Ostwestfalen. Schlagzeile am 29. Januar 2025: „Studium, Arbeit, Liebe: Viele Sauerländer zieht es nach Bielefeld“.

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