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Passen Sie sich den Gegebenheiten an

Die Berliner Tanzszene ist von Sorgen schwer gebeutelt seit den beschlossenen Kürzungen zu vieler Förderungen. Aber sie schließt sich jetzt zusammen. Und erteilte dem Kultursenator Joe Chialo in der Akademie der Künste Nachhilfe

Von Katrin Bettina Müller

Die Liste der Verluste ist lang. Auf der Website des Freelance Dance Ensemble Berlin erzählen inzwischen 300 Beteiligte der Berliner Tanzszene, was die geplanten Kürzungen in der Kulturförderung von Berlin für sie bedeuten. Verlust des Probenraums, Verlust niedrigschwelliger Angebote, keine Bezahlung mehr für den Unterricht sozial schlecht gestellter Kinder. Die Einbeziehung von Marginalisierten, die Projekte an den Schnittstellen von sozialer und kultureller Arbeit, die Ermöglichung von Teilhabe – all das, was sich viele Akteure der Tanzszene in den letzten Jahren auf ihre Fahnen geschrieben haben, wird blockiert. Immer mehr Arbeitszeit wird gebraucht für die Suche nach finanzieller Unterstützung, immer weniger steht für die Kreativität zur Verfügung. Kontinuierliche Weiterarbeit ist nicht mehr möglich.

Verbunden sind die Statements mit Porträts und Angaben zum bisherigen Arbeitsweg. Ein Bild der vielfachen Vernetzung ergibt sich daraus – aber auch der Fragilität der Strukturen. Wenn, wie jetzt an vielen Orten Stützpfeiler eingeschlagen werden, stürzt da vieles in den Abgrund. Man schaut den Tänzer:innen, Choreograf:innen, Lehrenden und Tanzvermittelnden ins Gesicht und wünscht sich, all dies wäre nicht wahr.

Im Dezember wurde die Website von einem Kollektiv von Cho­reo­gra­f:in­nen gegründet, darunter Claire Vivianne Sobottke, Jared Gradinger, Jule Flierl, Siegmar Zacharias, Sheena McGrandles, Laurie Young, Martin Hansen und der Kulturmanagerin Silke Bake. Anfangs waren sie 200, täglich werden es mehr. Es ist eine Reaktion auf die Krise, in die die finanziellen Streichungen die Szene stürzen. Aber auch ein Akt, sich zusammenzuschließen und gegenzuhalten. Sie sorgen für ein Stück Sichtbarkeit der Tanzszene und ihrer Verwobenheit. Das erschien auch notwendig angesichts der Blindheit gegen die konkreten Arbeitsbedingungen der Künstler:innen, wie sie aus dem Kürzungsszenario sprechen.

Den Kultursenator Joe Chialo (CDU) einmal zum Hinsehen zu bewegen, zu informieren darüber, wie viel die Szene leistet, wie viel Unternehmertum, privates Engagement und Resilienz in ihrer Arbeit schon steckt, weil der Senator diese Dinge oft anführt, als wären sie der Berliner Kultur fremd, dafür war unter dem Titel „Tanz Macht Berlin“ der letzte Samstagnachmittag in der Akademie der Künste geplant. Chialo war der Adressat von 14 Statements der Tanzakteure, die für verschiedene Segmente sprachen.

Was sie zeichneten, war eine Situation des Mangels, mit dem Tanz ja schon lange lebt. 3 Prozent des Kulturetats geht in den Tanz, Spartengerechtigkeit sähe anders aus. Seit 2018 hat ein sogenannter Runder Tisch Tanz an der Ermittlung der Bedarfe gearbeitet, um mehr Nachhaltigkeit und mehr Verlässlichkeit in Förderprogramme zu bringen. Karen Kirchoff, die dabei war, erzählte davon. Nach langen Diskussionen wurden sieben neue Programme entwickelt, von denen jetzt schon wieder vier gestrichen wurden.

Zeigte der Senator Empathie mit der Situation derer, die ihm zuriefen: „Wir gehen vor ihren Augen unter!?“ Eher nicht. Er ließ in der von der Journalistin Elisabeth Nehring sehr sachkundig moderierten Diskussion nicht erkennen, verstanden zu haben, wie viel auch gesellschaftspolitische relevante Bildungsarbeit gerade zerstört wird. Was als Notwendigkeiten beschrieben worden war, überging er. Stellte sich in seinen Antworten aber vor, dass ein dem Runden Tisch Tanz ähnliches Instrument nun noch einmal von vorne beginnen sollte, aber angepasst an die „Gegebenheiten von heute“, sprich, den Streichungen. Dann könne man bis 2030 neue Förderstrukturen aufstellen.

Hoffnungsfroh stimmte diese Aussage niemanden. Sie stieß den Künst­le­r:in­nen eher bitter auf. So lange hält nicht durch, wem jetzt der Arbeitsraum, die Auftrittsmöglichkeit, die Kooperationspartner wegbrechen.

Trotzdem war der Nachmittag nicht umsonst. Wie auch auf der Website des Freelance Dance Ensembles Berlin sorgten die Künstler:innen, Pro­du­zen­t:in­nen und kulturpolitisch für den Tanz Engagierten an diesem Tag für einen Moment der sichtbaren Verbundenheit. Das braucht man in diesen Tagen.

Besonders viel Applaus hatte die Choreografin und Performerin Joana Tischkau bekommen, die ihr Statement in Hochgeschwindigkeit rappte, ihre vielen Jobs aufzählte und ihre Karriere als Schwarze Deutsche Künstlerin als ein statistisches Wunder bezeichnete. Möglich geworden auch dank diversitätsbewussten Förderungen, die jetzt wieder eingestampft werden. „Move Joe, get out of the way“, rief sie dem Kultursenator zu, der ihr im Publikum gegenüber saß. Ein in den Berichten über das Treffen mit dem Senator viel zitierter Satz.

Eva-Maria Hoerster vom HZT, der universitären Ausbildung für Choreografie in Berlin, berichtete, wie die Kürzungen die Qualität der Lehre bedrohen und die Studierenden sich sorgen, weil Einstiegsförderungen fehlen. Die Performerin Angela Alves, die sich mit den Begriffen „krank“ und „gesund“ auseinandersetzt und deren politischen Dimensionen, fürchtet in Zukunft den Verzicht auf Projekte der Inklusion.

Eingeladen war auch Christian Spuck, Intendant des Staatsballetts Berlin, mit 80 festangestellten Tänzern. Er betonte, wie wichtig auch für sein Haus die Freie Szene sei, aus der immer wieder die spannenden Choreografen kommen.

Es gab auch ein gute Nachricht: ein Junges Tanzhaus für Kinder und Jugendliche in Neukölln – für das sich Livia Patrizi, die 2005 der Projekt TanzZeit begründet hat, das seitdem in vielen Schulen Kindern den Tanz gebracht hat, einsetzt. Es stand schon auf der Streichliste, doch das wurde zurückgenommen. Die Freude darüber wurde nur durch das Wissen getrübt, das andere Projekte dafür über die Klinge springen mussten.

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