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„Kein kurzer Empörungsmoment“

Die aktuellen Demonstrationen gegen rechts sind nicht nur ein Erfolg, sie werden auch bleiben, meint Protestforscherin Lisa Bogerts. Wichtig wäre jedoch, auch im ländlichen Raum zu mobilisieren

Interview Marie Frank

taz: Am Wochenende haben in Berlin und anderen Städten wieder Hunderttausende gegen rechts demonstriert. Wie entstehen solche Massendemonstrationen?

Lisa Bogerts: In der Protestforschung gibt es verschiedene Erklärungsmodelle dafür, wie so große Proteste erfolgreich mobilisiert werden. Die Menschen müssen ja nicht nur ein Problem sehen, sie müssen auch glauben, dass Protest das richtige Mittel ist, um zur Lösung dieses Problems beizutragen. Und Sie müssen glauben, dass jetzt genau der richtige Zeitpunkt ist, um dafür auf die Straße zu gehen.

taz: Und warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt?

Bogerts: Die Wahlen spielen natürlich eine Rolle. Ein anderer Erklärungsfaktor ist das, was man einen moralischen Schock nennt. Also, dass ein bestimmtes Framing eines Problems als besonders empörend empfunden wird. Das war letztes Jahr das Geheimtreffen in Potsdam und dieses Mal der Versuch der CDU, ihren Antrag mithilfe der AfD durchzubringen und das Abstimmungsverhalten im Bundestag. Das stellt in der öffentlichen Wahrnehmung einen großen Tabubruch dar.

taz: In Berlin waren es laut Polizei 160.000 Demonstrant*innen, laut Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen 300.000. Wie aussagekräftig sind Teil­neh­me­r*in­nen­zah­len überhaupt?

Bogerts: Man kann Teilnehmerzahlen bei so großen Demos nicht zählen, sondern nur schätzen. Da ist also viel Raum für Ungenauigkeiten. Die Polizei schätzt im Vergleich zu unabhängigen Forschungszahlen die Teilnehmer geringer und die Veranstalter höher. Hier kann man zur Orientierung den Mittelwert nehmen.

taz: Warum ist es in Zeiten von KI nicht möglich, exakte Zahlen zu bestimmen?

Bogerts: Es gibt auch bildbasierte Methoden, die, unterstützt von KI, die Zahl ermitteln. Das ist aber wegen des Risikos, dass solche Aufnahmen auch zur Überwachung oder gar Strafverfolgung eingesetzt werden, umstritten.

taz: Was können Massenproteste überhaupt bewirken?

Bogerts: Der Erfolg von Protest wird öffentlich sehr streng eingeschätzt. Es wird geschaut: Haben die Proteste die Politik konkret verändert? In unserer Studie haben wir herausgefunden, dass die Demonstrierenden letztes Jahr gar nicht die Absicht hatten, Wäh­le­r von rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien umzustimmen oder die Politik zum Handeln zu bewegen. Es ging darum, öffentlich ein Signal zu senden: Wir sind die Mehrheit, die Zivilgesellschaft ist wachsam.

taz: Und so ist es jetzt auch wieder?

Bogerts: Ja. Die CDU steht unter Druck, sich zu rechtfertigen.

taz: Also sind die Proteste ein Erfolg?

Bogerts: Ja. Man mag sich nicht ausdenken, was ohne diese Proteste wäre. Vielleicht wären die Umfragewerte für rechtsextreme Parteien noch besser.

Foto: privat

Lisa Bogerts ist Politikwissenschaftlerin in Berlin und forscht am Institut für Protest- und Bewegungsforschung über die Proteste gegen rechts

taz: Wie geht es jetzt weiter? War das nur ein kurzer Empörungsmoment?

Bogerts: Ein kurzer Empörungsmoment war es nicht. Wir sprechen in der Protestforschung von Wellen. Es gibt natürlich schon lange eine Bewegung gegen Rechtsextremismus in Deutschland. Aber spätestens seit Anfang letzten Jahres kann man von der ersten Welle dieser ganz gezielten prodemokratischen Proteste reden. Im Sommer hatten wir die zweite Welle im Rahmen der Europa- und Kommunalwahlen. Und jetzt haben wir eine dritte Welle.

taz: Haben die Proteste eine neue Qualität?

Bogerts: Ja. Hiaucher sind neue Bündnisse entstanden mit Akteuren, die sich vorher so in der Form nicht zusammengetan haben: Große Wirtschaftsunternehmen, Medienhäuser, sehr viele öffentliche Persönlichkeiten, auch aus dem konservativen und bürgerlichen Spektrum. Das ist keine rein linke Bewegung, die hier auf die Straße geht. Und man kann davon ausgehen, dass, falls es bei den Wahlen zu einem Erstarken der extremen Rechten kommt, es diese Bewegung auch weiter geben wird, um diese unter Druck zu setzen.

taz: Spielt Berlin hier eine besondere Rolle?

Bogerts: Berlin ist das politische Zentrum. Demos am Bundestag oder dem Konrad Adenauer Haus machen natürlich einen anderen Eindruck auf die Entscheidungsträger*innen. Es ist aber auch sehr wichtig, in ländlichen Gebieten zu mobilisieren, dort, wo demokratiefeindliche Akteure ein Klima verbreiten, das es viel schwieriger macht, für die Zivilgesellschaft öffentlich Gesicht zu zeigen.

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