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Kritik an Volt-ParteiMitglieder werfen Vorstand undemokratisches Verhalten vor

Die Partei Volt will besonders demokratisch und transparent sein. Nun gibt es intern Kritik an der Auswahl der Spitzenkandidatin Maral Koohestanian.

Wahlplakat mit Volt-Spitzenkandidatin Maral Koohestanian in Siegen, Nordrhein-Westfalen Foto: Rene Traut/imago

Volt war das große Versprechen bei der Europawahl. Fünf Sitze holte die junge Partei, besonders gut schnitt sie in Großstädten ab. Volt wirbt mit dem Anspruch, Politik anders machen zu wollen, transparenter.

Doch im Bundestagswahlkampf läuft es nicht gut. Die Partei wollte den Sprung ins Parlament schaffen, dies scheint wenige Tage vor der Wahl unrealistisch zu sein. Der Wahlkampf ist blass und inhaltsleer, auf Plakaten sieht man nur die Spitzenkandidatin, Maral Koohestanian. Die fiel im Wahlkampf nur auf mit einem Auftritt im Video-Podcast des Journalisten Tilo Jung, bei dem sie Fragen nach dem eigenen Parteiprogramm nicht beantworten konnte.

Und nun gibt es auch interne Kritik, die nicht zum Anspruch von Volt passt, Politik transparent und anders zu machen. Der taz liegen Screenshots aus interner Kommunikation der Partei vor.

Außerdem hat die taz mit mehreren Volt-Mitgliedern gesprochen, die dem Bundesvorstand undemokratisches und intransparentes Verhalten vorwerfen – vor allem die Aufstellung der Spitzenkandidatin Maral Koohestanian steht in der Kritik. An der Person stören sich die Mitglieder nicht, wohl aber daran, wie sie zu ihrer Rolle gekommen sein soll.

Vorwurf der Scheinwahl

„Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich fühle mich bezüglich des Verfahrens um die Spitzenkandidatin verarscht“, schreibt ein Volt-Mitglied in einem parteiinternen Portal.

Das Mitglied vermutet, die Entscheidung, Koohestanian zur Spitzenkandidatin zu machen, sei schon im Vorfeld der internen Abstimmung der Spitzenkandidatin gefallen, der „Rest“ – die kurze Bewerbungsphase – diene nur zur demokratischen Legitimation. Koohestanian sei schon vor der Abstimmung parteintern durch den Bundesvorstand besonders beworben worden.

Vom 14. bis zum 17. November hatten ausschließlich FLINTA-Mitglieder die Möglichkeit, sich auf die Position zu bewerben. Das begründete die Partei damit, dass „Frauen im Bundestag immer noch unterrepräsentiert“ sind. Dieses Kriterium stellt auch für die Mitglieder, die Kritik am Vorgehen üben, kein Problem dar.

Spitzenkandidatin ohne Konkurrenz?

Es gab aber weitere Kritierien: Wie aus internen Dokumenten hervorgeht, war neben einer Person mit „rhetorischem Talent“ und Amtserfahrung auch die Repräsentation von marginalisierten Gruppen, etwa durch einen Migrationshintergrund, gewünscht. Außerdem solle die Kandidatin bereits über Sichtbarkeit und Reichweite verfügen.

Mehrere Mitglieder kritisieren, alle Kriterien zusammengenommen, sei die Wahl auf Koohestanian zugeschnitten gewesen und habe anderen möglichen Kandidatinnen kaum eine Chance gelassen.

„Es wurden mehrere Kandidatinnen zur Wahl gestellt“, sagt dagegen Parteigründer und Volt-Abgeordneter im EU-Parlament, Damian Boeselager. „Bei Spitzenkandidaturen gibt es nicht die gleichen demokratischen Ansprüche wie etwa bei Parteiprogrammen oder Listenaufstellungen. Der Vorstand hätte keine weiteren Kandidatinnen zur Wahl stellen müssen“.

Lediglich zwei Personen bewarben sich letztlich auf die Spitzenkandidatur. Die vom Parteivorstand festgelegten Kriterien erfüllte die Mitbewerberin nicht, wie aus den Bewerbungsschreiben hervorgeht, die der taz ebenfalls vorliegen. Bei der anschließenden Online-Abstimmung gewann Koohestanian. „Es wirkt, als wäre die Person entschieden und es wurde sich ein Legitimationsprozess ausgedacht, um das Ergebnis herbeizuführen, das man haben will“, schreibt ein Mitglied im internen Parteiportal.

Unzufriedenheit gehöre nunmal dazu

„Mein Hauptproblem ist das Vorspielen eines demokratischen Prozesses, den es am Ende gar nicht gibt“, ein anderes. Noch jemand: „So eine Fiktiv-Abstimmung; geht gar nicht“. Ein anderes Parteimitglied geht noch weiter: „Der Prozess, der jetzt läuft, entspricht in seiner demokratischen Legitimierung dem der freien Wahlen in der DDR und anderen pseudodemokratischen, autoritären Systemen. Das können wir nicht ernsthaft wollen“.

Parteigründer Boeselager hält die Aufregung für übertrieben: „Die Entscheidungen wurden von einem gewählten Bundesvorstand getroffen. Manchmal vergisst man, dass wir als Partei erst acht Jahre alt sind. Natürlich gibt es da auch mal Unzufriedenheit, gerade im Wahlkampf. Und wir haben mittlerweile 9.000 Mitglieder. Ich weiß nicht, wie relevant diese Kritik ist. Wenn man unzufrieden mit dem Bundesvorstand ist, kann man ihm beim nächsten mal auch wieder abwählen“.

Ein Mitglied hält gegenüber der taz dagegen: „Sie können davon ausgehen, dass ein Drittel der Mitglieder nicht hinter Maral Koohestanian steht“. Überprüfen lässt sich das nicht.

Jedoch teilen nicht alle, die das Verfahren um die Spitzenkandidatur beanstanden, die Schärfe der Kritik: „Der Auswahlprozess der bundesweiten Spitzenkandidatur ist angesichts knapper Fristen nicht so basisdemokratisch ausgefallen, wie bei Volt üblich. Dass ein Bundesvorstand über solche Prozesse entscheidet, ist aber völlig normal, genauso wie die Kritik an den Entscheidungen“, heißt es aus Parteikreisen.

Ein Schlag für den Parteizusammenhalt

Ob die Art und Weise des Verfahrens einen Einfluss auf das Ergebnis hatte, ist nicht für alle klar: „Ich gehe davon aus, dass Koohestanian auch gewonnen hätte, wenn die Wahl ordentlich abgelaufen wäre“, verrät ein Mitglied. Dennoch habe die Stimmung in der Partei Kratzer bekommen: „Das Gefühl, das hier zurückbleibt, ist, mit Verlaub, verarscht zu werden“. Das Gefühl, die eigene Stimme habe keinen Einfluss, habe einst zur Gründung von Volt geführt.

Rechtlich ist das Vorgehen der Parteiführung vollkommen in Ordnung. „Es zeigt aber, dass der Bundesvorstand nicht verstanden hat, wie wichtig das Basisdemokratische großen Teilen der Partei ist“, sagt ein Mitglied. Ob sie die Kritik der Mitglieder nachvollziehen könne, ließ die Parteiführung unbeantwortet.

Die Bewerberinnen seien einer offenen Online-Wahl gegeneinander angetreten und der Prozess habe eine „transparente und partizipative Auswahl“ gewährleistet, sagte Volt der taz. Maral Koohestanian äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu den Vorwürfen.

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16 Kommentare

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  • Bei der Auswahl der Kandidatin ist Volt voll auf die identitätspolitische Schubladenschiene eingeschwenkt. Der Vorwurf von Mitgliedern, die Kriterien seien auf Koohestian zugeschnitten, ist nicht von der Hand zu weisen. Sie wurden bisher auch nicht widerlegt.



    Ich dachte Volt sei angetreten, um sich unabhängiger von Splittergruppen wie Flinta zu machen, als Gegenentwurf zu linken Grünen. Dies aus der Erkenntnis, dass man mit Randgruppenthemen keine Europapolitik und Demokratiepolitik machen kann, die die Mehrheit abholt. Nun übernehmen Aktivisten auch dort.

    Wenn der Parteigründer sich herausredet, die Partei sei erst acht Jahre alt, ist das ein Armutszeugnis. Kann man nicht anders sagen.

  • Dass alle Entscheidungen in Bezug auf die Spitzenkandidatin letztlich von einem 7 Personen umfassenden Bundesvorstand getroffen wurden, beweist eigentlich nur, dass Volt auch nicht „jünger“ ist als etwa die Union oder die SPD. Sie ist eher alter Wein in neuen Schläuchen - und als solcher grade nicht sonderlich hilfreich.

    Dass Macht nichts macht, ist einfach nicht wahr. Wer als Alternative zu den Etablierten wahrgenommen werden will, der sollte nicht die gleichen Fehler machen. Mag ja sein, dass der Bundesvorstand gewählt wurde. Nur: Wenn nur Gewählte eine Wahl haben, ist die Unzufriedenheit derer, die keine Chance auf Mitbestimmung hatten, vorprogrammiert. Schließlich können Menschen einander nicht in die Köpfe schauen. Einzelentscheidungen sind also per se intransparent.

    Die Unzufriedenheit mit dem Prinzip Privilegierung ist noch gefährlicher als die mit eine Personalentscheidung. Wenn Volt als Partei überleben will, sollte der Vorstand das realisieren - und Abhilfe schaffen. Rechts der Mitte ist die Konkurrenten-Dichte nämlich grade erheblich. Und die schlechtesten Chancen haben immer die, die noch nicht viel Zeit hatten, Macht zu himmelhohen Haufen aufzutürmen.

  • Du liebe Zeit, Flinta steht doch nicht für Frauen. Welch übergriffiger Anspruch, das reicht als Begründung, um Die Partei implodieren zu lassen, wenn sie sich Splittergruppen unterwirft.



    Volt war mir sehr nah, aber jetzt ganz weit weg. Die Analyse des inhaltsleeren Wahlkampfs unterschreibe ich voll und ganz - die Plakate sind nichtssägend. Die ganze Straße hier hängt voll davon, scheint eine Hochburg zu sein.

  • Volt sind eben Politikanfänger, die gerade feststellen, wie Politk wirklich gemacht wird.

  • Niemand weiß, warum es diese Partei überhaupt brauchen sollte, und jetzt scheitern sie an ihren eigenen Ansprüchen und gehen auch stilistisch den Weg der etablierten Parteien. Nach der Wahl wird der Hype-Lack ab sein, wenn sich das Stimmergebnis dann doch massiv unterscheidet von den ausgegebenen Zielzahlen (7% meine ich, "weil die EU-Wahl ja so toll lief" - BTW ist aber nicht EU-Wahl...).

  • Die stellvertretende Vorsitzende, Carolin Vogt, ist auch ganz zufällig angestellte Referentin bei dem von Maral Koohestanian geführte Dezernat in Wiesbaden.



    Da werden offensichtlich viele Gefallen ausgetauscht. Schade, dass so etwas schon bei so jungen Parteien schon startet.

  • Ich finde es super das die Partei solche -- und auch genau diese -- Kriterien für das Amt aufgestellt hat. Das dann da nicht mehr soviel Auswahl bleibt, ist doch das Problem, nicht das Verfahren. Wieviel FLINTA's gibt es denn sonst so unter den Spitzenkandidat*innen der anderen Parteien? Zwei? Nee, alles richtig gemacht.

  • Macht eigentlich immer am meisten Sinn, die Mitglieder zu befragen, wenn sie denn n der Spitze sehen wollen. Dass das die meisten anderen Parteien auch nicht machen heißt ja nicht dass es richtig ist.



    Wird meine Wahlentscheidung eher nicht beeinflussen, der Umstand das Volt offenbar keine Chance hat, auch nur in die Nähe der 5%-Hürde zu kommen schon eher.

  • Volt kann allen enttäuschten Ex-FDP-Wählern eine Heimat bieten, die die neoliberale Lindner-Entsaftung nicht mehr ertragen, wenn sie ehrlich sind.



    Diese 80.000 Personenplakate ohne politische Aussage sind dabei schon kein Highlight für eine Partei, die eigentlich mit klugen Ideen punkten wollte.



    Volt sollte dem Verdacht entgegentreten, dass Boeselager einfach eine Quote erfüllen wollte (grundsätzlich in Ordnung), aber so, dass es ihn selbst am wenigsten trifft.



    Vielleicht doch bei aller Wertschätzung von Volt-Ideen gleich die Grünen o.ä.?

  • Den Eindruck, dass Volt eine hierarchische Partei ist, hatte man ja schon seit langem. Eine Spitzenkandidatin "aus dem Hut zu ziehen", passt auch wunderbar dazu. Hier hätte eine längere Bewerbungsfrist, bzw. ein öffentliches Schaulaufen, wie es bei anderen Parteien üblich ist, bestimmt geholfen. Stattdessen bekam man eine Kandidatin, die ungeschult, hilflos und amateurhaft wirkte. Das Interview mit Tilo Jung war quälend langsam, hatte aber einen fremdschämerischen Charm, wenn Frau K. anstatt Fragen zu beantworten diese ersteinmal bestätigte, dem Interviewer oder dem Podcastraum selber Fragen stellte und bei konkreten Fragen nach Inhalten des Parteiprogrammes passen musste.

  • Die Debatte gab's im November. Seitdem spricht kein Mensch bei Volt mehr darüber.



    Also topaktuell und sicher gaaaaanz unabsichtlich so kurz vor der Wahl hervorgekramt...

    • @Robert K.:

      Genau das gehört zu guter Berichterstattung dazu. Sie gibt nichts auf Geraune und Getuschel, sondern fasst die Fakten noch einmal zusammen. Zur Übersicht.

    • @Robert K.:

      Hatten wir was anderes erwartet? Für mich und auch an dieser Stelle gerade diese Form der Würdigung, wenn wir das so sagen dürfen, inzwischen ne Empfehlung an sich. Also wenn ich sonst keine bräuchte. Die taz hat mit Friedrich Merz den ersten offen homophoben und fremdenfeindlichen Kanzlerkandidaten in der Bundesrepublik seit (ich glaube?) Strauss zur (Mit)wahl empfohlen. Dass man da jetzt nicht grad auf Maral abfährt, geschenkt.^^ Ist auch völlig legitim, wie auch jede andere Empfehlung selbstredend, dafür gibt es Demokratie. Aber mehr müssen wir dazu auch nicht sagen. Alle Energie in die gedrückten Daumen für ein etwas fortschrittlicheres Deutschland.

  • Ich hätte nicht gedacht, dass mir Volt noch unsympathischer werden könnte, aber sie haben es geschafft. Wenig überraschend, dass die Partei, die sich als Kleinpartei von einem einzelnen Mitglied eine Million Euro spenden lässt, nicht das perfekte Beispiel für Basisdemokratie darstellt.

  • Ach, Maral ist ihr Vorname, das ging aus den Plakaten nicht hervor. Auch sonst nichts. Ein bisschen Inhalt hätte dem Wahlkampf von Volt wohl nicht geschadet, dieser Artikel ist das erste was ich während der BTW zu Volt lese und sorgt nicht dafür das ich sie wähle.

  • Watt vollt Ihr denn, Basisdemokratie und Erfolg ohne Spannung? Wo gibt’s denn sowas. Da wird sich auch diese Bewegung wieder entscheiden (müssen). Wie so viele rote, grüne und violette Aktivist*innen vor ihr.