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Cheers to the Queers, die Abstinenz feiern

Nüchtern feiern? Dafür gibt es im Schwuz eine eigene Partyreihe. Dass es Räume gibt, in denen weder Alkohol noch andere Drogen konsumiert werden, ist für queere Menschen besonders wichtig

Nüchtern und Spaß dabei: Die Lemonade Queers Crew im Schwuz Foto: Claudia Hammer

Von Katharina Wulff

Welcome to Lemonade Queers!“ Vlady Schklover tritt in pinker Fransenjacke, schwarzem Bandana und einer Menge Energie auf die kleine Bühne im Schwuz. „Let’s get ready to celebrate sobriety“, ruft Schklover ins Publikum. Die Pepsi Boston Bar im Untergeschoss des Schwuz ist rappelvoll, heute findet hier eine sogenannte Sober Party namens Lemonade Queers statt. Viele sind gekommen, weil andere queere Partys in Berlin, bei denen viel konsumiert wird, nicht ihr Ding sind. Oder weil sie wegen einer Suchterkrankung klassische Partykontexte meiden. Auf die Frage, wie viele hier dauerhaft nüchtern leben, recken sich etwa die Hälfte der Hände nach oben. Kurz darauf erklingt ein schiefes, aber herzliches „Happy Birthday“ für ein:e Gäst:in, die seit 17 Jahren abstinent lebt.

Die Abstinenz feiern, das sieht bei den Lemonade Queers im Schwuz so aus: Drag, Comedy, Lip Sync, Rap- und Popmusik. Aber die Lemonade Queers ist auch für alle, die eher für die Gemeinschaft und nicht für eine laute und ausgelassene Party hier sind. Darum springt Momo Strödecke in glitzernden Leggings und durchscheinenden Flügeln durch die Party und verbindet alle, die Lust auf Verbindung haben – „Connection Fairy“ nennt Strödecke sich. Vor der eigentlichen Party und dem Bühnenprogramm initiiert Strödecke eine Kennenlernrunde für alle, die allein gekommen sind oder Lust auf neue Kontakte haben.

Hier können sich abstinente Queers untereinander vernetzen, ohne dass sie sich dafür Mut antrinken müssen. Denn Alkohol schenkt die Bar heute keinen aus. Der „Drink of the night“ ist stattdessen „Winter is Coming“, eine Winterbowle aus Apfelsaft, Rosmarin, Cranberry und Zimt. Auch ohne Verlegenheitsbier kommen die Menschen schnell ins Gespräch: Smalltalk, aber auch Geschichten über Wege aus der Sucht entstehen dabei.

Vlady Schklover und Momo Strödecke sind die beiden Grün­de­r:in­nen der Lemonade Queers. Die zwei sind in vielerlei Hinsicht wie Yin und Yang. Schklover ist extrovertiert, steht gern auf der Bühne, flitzt während der Veranstaltungen oft von A nach B, war schon immer gern lang und exzessiv feiern. Strödecke sorgt sich während der Partys eher um die leisen Töne, bringt Menschen zueinander, betreut einen Ruhebereich für alle, die etwas Pause von der Enge und der Lautstärke der Party brauchen.

Beide verbindet aber vergangene Konsumgewohnheiten, die sie auf Dauer ändern wollten. „Ich komme aus einem Dorf in Bayern – da war Alkohol einfach eine normale Freizeitbeschäftigung“, sagt Momo Strödecke. Alkohol sei immer ganz normal und vermeintlich unproblematisch gewesen, bis sie sich schließlich betrunken im Urlaub im Dschungel verlief und merkte: „Ich muss etwas ändern.“ Aufzuhören sei ein schleichender Prozess gewesen. Auch Vlady Schklover kennt diese Art von Rausch, allerdings nicht als einmaliges Erlebnis. „Irgendwann habe ich auf 15 Jahre voller Filmrisse zurückgeblickt“, sagt er. Schwule Ravekultur und die Lust steigernde Wirkung von Drogen beim Sex seien regelmäßig Anlässe für Konsum gewesen.

Aber auch die hohe Arbeitsbelastung als freier Künstler und der Druck, sich im Beruf zu etablieren, hätten eine Rolle gespielt. „Ich war immer nervös im Umgang mit anderen Menschen“, sagt er. Der Konsum habe geholfen, sich frei zu fühlen und Mauern einzureißen – besonders in der queeren Szene. „Als queerer Jugendlicher muss man sich oft verstecken“, sagt Schklover, „das ist ja kein normales Erwachsenwerden, was wir queere Menschen erleben.“ Konsum habe ihm dabei geholfen, mit sich klarzukommen und ihm Zuneigung und Liebe versprochen.

Eine Erfahrung, mit der Vlady Schklover nicht allein ist. „Queere Menschen entwickeln oftmals eine gewissen Scham im Laufe der Identitätsentwicklung. Denn sie wachsen auch heute noch in einer Gesellschaft auf, die ihnen gegenüber negativ eingestellt ist“, sagt Stefan Timmermanns. Timmermanns ist Professor für Sexualpädagogik an der Frankfurt University und forscht zur psychosozialen Gesundheit von queeren Menschen. Dabei beschäftigt er sich auch mit dem Thema Sucht.

Ein Befund, der sich in der allgemeinen Forschung, aber auch in Timmermanns’ Arbeit immer wieder zeigt: Queere Menschen erleben mehr Belastung, in der Forschung Minderheitenstress genannt. Auch Menschen, die Rassismus oder Ableismus, Diskriminierung aufgrund einer Behinderung, erfahren, sind stärker psychisch belastet.

„Irgendwann habe ich auf 15 Jahre voller Filmrisse zurückgeblickt“

Vlady Schklover, Veranstalter

Der Minderheitenstress entsteht durch Herabwürdigungen im Alltag, aber auch durch strukturelle Diskriminierung und die Befürchtung, in bestimmten Räumen auf Ablehnung zu stoßen. Genauso spielen bei queeren Menschen verinnerlichte negative Überzeugungen über die eigene Sexualität eine Rolle. „Diese negativen Ansichten über die eigene Queerness sind oft tief in der Identität verwurzelt“, sagt Timmermanns.

Dieser Stress prallt nicht einfach an queeren Menschen ab, sondern kann dazu führen, dass sie psychische Erkrankungen entwickeln. Doch nicht nur das: „Drogen- und Alkoholkonsum können ein Mittel sein, mit den Diskriminierungserfahrungen und der verinnerlichten Scham umzugehen und sie zu vergessen“, sagt Stefan Timmermanns. Feiern zu gehen und dabei zu konsumieren – ein Mechanismus, um Sorgen hinter sich zu lassen.

Gleichzeitig seien in der queeren Community weniger Orte verfügbar, an denen sich Menschen und ihre Verbündete treffen können. Auch in Großstädten ist die Finanzierung von Rückzugsräumen oft unsicher. Sogar in der vermeintlichen „Regenbogenhauptstadt“ Berlin wollte der schwarz-rote Senat im Zuge der Kürzungswelle queeren Jugendklubs die Finanzierung streichen. Erst nach lauten Protesten nahm er das Vorhaben schließlich zurück. Sollten irgendwann nur noch kommerzielle Partys als Treffpunkt für Queers übrigbleiben, könnte das ein Problem werden: „Denn in klassischen Partystrukturen sind Drogen eben auch leicht verfügbar“, sagt Stefan Timmermanns. „Queere Menschen sind auf Räume außerhalb dieser Partykontexte angewiesen, um Verbündete zu treffen“, resümiert er. Darum lautet Timmermanns’ Empfehlung für alle, die mit Konsum hadern: Vernetzt euch untereinander.

Bieten einen Safe Space ohne Konsum: Vlady Schklover und Momo Strödecke Foto: Claudia Hammer

Genau das hat Vlady Schklover getan, als er 2023 beschloss, nüchtern zu werden. Denn mit dem Entschluss kam vor allem eines: Einsamkeit. Also vernetzte er sich auf Facebook mit anderen abstinenten Menschen aus der queeren Community und lernte bei einem Treffen im Südblock Momo Strödecke kennen. Aus einigen unregelmäßigen Veranstaltungen entstand schließlich das Konzept für die erste und einzige queere Party für alle, die nüchtern bleiben wollen.

Und tatsächlich scheint die Lemonade Queers einen Nerv zu treffen. Als die erste Party im Juli 2023 stattfand, war der Raum im Schwuz vollkommen überfüllt. Das könnte auch daran liegen, dass sie anders als ein Großteil der Berliner Clubkultur kostenlos ist. Eine Tatsache, die auch Stefan Timmermanns mit Blick auf seine Forschung begrüßt. „Menschen mit niedrigen sozioökonomischen Status berichten häufiger von Einsamkeit. Auch queere Orte besuchen sie weniger, weil sie sich das schlicht nicht leisten können.“ Darum sei es besonders wichtig, kostenlose Angebote zu schaffen.

Obwohl die Berliner Kulturszene für 2025 auf harte Zeiten eingestellt ist, ist das Jahr mit guten Neuigkeiten für die Lemonade Queers gestartet: Momo Strödecke und Vlady Schklover werden ihre Party­reihe im Schwuz weiterführen können. Der nächste Termin ist am 19. März – dann heißt es wieder: „Let’s get ready to celebrate Sobriety!“

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