: „Reglementierungsdrang schränkt Spielräume ein“
Zur Münchner Sicherheitskonferenz kritisiert der Rüstungsverbandschef Erwägungen der EU, mehr Waffen aus den USA zu kaufen, und findet strengere Ausfuhrkontrollen überflüssig
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Interview Cem-Odos Güler und Pascal Beucker
taz: Herr Atzpodien, Sie vertreten mit dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie die deutsche Rüstungsindustrie. Mit Russlands Überfall auf die Ukraine ist die Nachfrage nach Waffen stark gestiegen. Ist für Sie das goldene Zeitalter angebrochen?
Hans Christoph Atzpodien: Das werde ich oft gefragt. Es ist aber nicht so, denn niemand wünscht sich Krieg. Wir müssen feststellen, dass die vertragsbasierte Friedensordnung nicht mehr gilt, sondern das Recht des Stärkeren. Wir spüren eine große Verantwortung, mehr Ausrüstung schneller zu liefern. Die Unternehmen unserer Branche haben in den letzten drei Jahren ihre Kapazitäten zum Teil sehr erheblich ausgeweitet, oft auch auf eigenes wirtschaftliches Risiko.
taz: Alle Parteien der politischen Mitte, also Union, SPD, FDP und Grüne, werben im Wahlkampf mit höheren Rüstungsausgaben. Haben Sie schon den Sekt kaltgestellt?
Atzpodien: Das sind die falschen Kategorien. Die Parteien, die – in welcher Konstellation auch immer – eine nächste Bundesregierung bilden werden, sprechen aus gutem Grund von höheren Verteidigungsausgaben: Deutschland hat der Nato Zusagen für militärische Fähigkeiten gegeben. Für diese Fähigkeiten ist die Bundeswehr noch nicht entsprechend ausgerüstet.
taz: Wenn man sich die enormen Kurssteigerungen beispielsweise der Rheinmetall-Aktie anschaut, scheint die Gewinnmarge ja nicht so schlecht zu sein. Da investiert ja niemand, wenn er davon nichts hat.
Atzpodien: Wenn wir in Deutschland die Bundeswehr beliefern, dann gilt das öffentliche Preisrecht. Das gibt es seit den 1950er Jahren und limitiert den Gewinn, den ein Unternehmen machen kann, sehr stark. Der Kurs der Rheinmetall-Aktie oder anderer Anteile von Rüstungsunternehmen ergibt sich daraus, dass Anleger auf den weltweiten Rüstungsmarkt blicken und hierin ein attraktives Geschäft sehen. Da schauen sie längst nicht nur auf das deutsche Geschäft.
taz: Der grüne Spitzenkandidat Robert Habeck fordert, künftig nicht mehr nur 2, sondern 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Verteidigung auszugeben. Sehen Sie das auch so?
Atzpodien: Solche Richtwerte sind immer schwierig, obwohl sie sich eingebürgert haben. Die Nato hat das berühmte 2-Prozent-Ziel 2014 nach der russischen Annexion der Krim verabredet. Jetzt sagt der Nato-Generalsekretär, wir werden künftig in Deutschland mehr als 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Verteidigung aufwenden müssen. Klar ist, dass die Bundeswehr höhere Anforderungen hat und wir dafür mehr ausgeben müssen.
taz: Aber ist eine Orientierung an der Wirtschaftsleistung eines Landes nicht völlig untauglich, weil es doch eigentlich darum gehen müsste, zunächst den militärischen Bedarf zu bestimmen und auf dieser Basis dann den finanziellen Bedarf zu ermitteln?
Atzpodien: Es gibt eine Nato-Planung, die den einzelnen Mitgliedsstaaten genaue Bringschulden zuweist, was die beizubringenden Fähigkeiten angeht. Prozentsätze sind nur Richtwerte, die eine äußere Symbolkraft entfalten. Doch die wirklichen Bedarfe leiten sich ab aus dem, was die Nato anfordert.
taz: Sie meinen also nicht, dass die Fixierung auf das Bruttoinlandsprodukt eine Einladung an die Rüstungsindustrie ist, ihre Produkte möglichst teuer an den Staat zu verkaufen?
Atzpodien: Noch mal: Es gibt ein öffentliches Preisrecht, das die Art der Kalkulation und die Gewinnmarge vorschreibt. Wir sind überhaupt nicht in der Lage, Güter „möglichst teuer“ zu verkaufen. Im Übrigen gibt es immer Wettbewerb, an dem man sich messen lassen muss.
taz: Auch ohne die USA geben die Nato-Staaten viel mehr für die Rüstung aus als Russland. Kaufkraftbereinigt stehen 430 Milliarden Euro der europäischen Nato-Staaten 300 Milliarden Euro Russlands gegenüber. Produziert die europäische Rüstungsindustrie vielleicht zu ineffektiv?
Atzpodien: Ich glaube nicht, dass Ihre Schlussfolgerung richtig ist. Das Problem liegt eher darin, dass ein Verteidigungsbündnis wie die Nato sich auf sehr unterschiedliche Verteidigungsszenarien einstellen muss, während ein möglicher Angreifer es sich einfacher machen kann. Die Vielfalt der Bereiche, in denen wir abschreckungsfähig sein müssen, führt dazu, dass wir in Summe mehr ausgeben müssen.
taz: Die südkoreanischen Kampfpanzer K2 Black Panther hat ähnliche Eigenschaften wie der Leopard 2A7, ist aber deutlich günstiger als das deutsche Modell. Wäre es da nicht für die Bundeswehr effizienter und klüger, das Modell aus Südkorea zu kaufen?
Atzpodien: Auch das ist nicht so einfach, wie Sie es darstellen. Wir Deutschen sind bekannt dafür, dass wir besonders hohe Anforderungen an militärisches Gerät haben. Die deutschen Hersteller haben sich darauf eingestellt. Auch darf man nicht ungleiche Dinge miteinander vergleichen.
taz: Polen hat sich jetzt für den südkoreanischen Panzer entschieden.
Atzpodien: Bedauerlicherweise.
taz: Ist Ihr Bedauern ein militärisches oder ein ökonomisches?
Atzpodien: Das sage ich als Vertreter der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.
taz: Befürchten Sie eigentlich, dass Ihnen wegen Donald Trump Aufträge verloren gehen könnten, weil der US-amerikanische Präsident „Deals“ für die Rüstungsindustrie seines Landes macht?
Atzpodien: Darüber will ich nicht spekulieren. Ich sage nur, dass natürlich auch die künftige Bundesregierung gut beraten ist, aus Souveränitätsgründen darauf zu achten, dass die Lieferungen für die Bundeswehr von der eigenen Industrie kommen. Dass aktuell auch in Brüssel Denkspiele darüber angestellt werden, ob man US-Zölle vermeiden könnte, indem man mehr Rüstung für Europa in den USA einkauft, finde ich befremdlich. Es geht bei der Ausrüstung unserer Streitkräfte immer auch um Souveränität, um Kompetenzen, um Arbeitsplätze und um Steuern.
taz: Könnte die deutsche Rüstungsindustrie dann nicht sagen: Dann konzentrieren wir uns jetzt genau darauf und exportieren keine Waffen mehr ins Ausland?
Atzpodien: Der Rüstungsexport ist ohnehin kein so dominantes Thema. Wir haben ja schon in den letzten Jahren akzeptieren müssen, dass es beim Export in Drittländer, also in Länder außerhalb der EU und der Nato, relativ wenig Spielräume gab.
taz: Warum haben Sie dann gegen das Rüstungsexportkontrollgesetz lobbyiert? In der Vergangenheit war Ihre Argumentation die Binnennachfrage sei so schwach, dass die Industrie ohne die Exporte nicht wirtschaftlich arbeiten könne.
Atzpodien: Nicht alle Unternehmen haben eine ausreichend starke Binnennachfrage. Außerdem ist mit den bisherigen Regelungen nach unserer Auffassung sichergestellt, dass Waffen aus deutscher Produktion nicht in die falschen Hände geraten können. Immer schon haben wir die Entscheidungen des Bundessicherheitsrats, der über die Exportgenehmigungen zu entscheiden hat, in den jeweiligen Einzelfällen akzeptiert. Das geplante Gesetz entsprang aus unserer Sicht einem überzogenen Reglementierungsdrang, der die außen- und sicherheitspolitischen Spielräume der Bundesregierung zu stark eingeschränkt hätte.
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