Strukturwandel in Brandenburg: Wenn nur die Bockwurst bleibt
In der Lausitz naht der Kohleausstieg. Viele Menschen fühlen sich abgehängt. Ein Verein möchte mehr Bürger an der Zukunftsgestaltung beteiligen.
![Menschen vor einem ausgemusterten Schaufelrad eines Kohlebaggers. Menschen vor einem ausgemusterten Schaufelrad eines Kohlebaggers.](https://taz.de/picture/7524296/14/37651394-1.jpeg)
„Gott schuf die Lausitz und der Teufel die Kohle darunter“, besagt ein altes sorbisches Sprichwort. Seit über zweihundert Jahren wird in der Lausitz Kohle abgebaut – mitsamt all den viel diskutierten Folgen für Landschaft, Bevölkerung, Wasserhaushalt und Klima.
Ab 2038 ist damit Schluss. Allein in meiner Straße kenne ich zwei Frauen, die ihr ganzes Leben lang in der Kohle gearbeitet haben. Ein Knochenjob, den sie trotzdem gern gemacht haben: „Das kann man sich heute vielleicht nicht mehr vorstellen, aber wir waren hier das Rückgrat der DDR“, erklärte mir eine von ihnen nicht ohne Stolz.
Die Identifikation mit der Kohle ist in der Region nach wie vor hoch. Trotzdem haben sich viele Menschen damit abgefunden, dass der Ausstieg kommen wird. Nur über das Wie herrscht noch Diskussionsbedarf. Mit dem Kohleausstieg steht die Lausitz vor enormen Herausforderungen. Einer der letzten großen Industriezweige in einer ansonsten vergleichsweise strukturschwachen und überalterten Region fällt weg.
Um den nötigen Umbau zu unterstützen, wurde 2020 das Investitionsgesetz für Kohleregionen verabschiedet. Allein auf die sächsischen Landkreise Bautzen und Görlitz entfallen damit bis 2038 knapp 7 Milliarden Euro.
Dies ist der fünfte von sechs Texten der Reihe „Geschichten aus der Lausitz“. Sie erscheinen wöchentlich bis zur Bundestagswahl am 23. 2.
Der sogenannte Strukturwandel ist in vollem Gange. Dabei ist es nicht selbstverständlich, dass derartige Summen in betroffene Regionen investiert werden.
Umso bemerkenswerter fand ich, dass ich vor Ort bisher kaum jemandem begegnet bin, der den Strukturwandel und die damit einhergehenden Investitionen mit sich in Verbindung bringt. Ein Nachbar hat es auf den Punkt gebracht: „Ich bin in der DDR aufgewachsen – mein ganzes Leben ist ein einziger Strukturwandel!“
Auf offene Arme gestoßen
Handelt es sich um ein politisches Problem, weil dieser Region – schon wieder – ein Umbruch von oben übergestülpt wird oder ist es vielmehr ein Kommunikationsproblem, weil die Menschen schlichtweg zu wenig von den Prozessen mitbekommen?
Das habe ich meine Bekannten Jan und Franzi gefragt, die sich an verschiedenen Stellen für einen ganzheitlichen Strukturwandel engagieren. Spoiler: Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Jan arbeitet seit Jahren im Bereich Bürgerbeteiligung und macht sich als Gründungsmitglied der Lausitzer Perspektiven für mehr Partizipation im Strukturwandel stark.
„In Brandenburg sind wir mit dem Thema auf offene Arme gestoßen, in Sachsen eher gegen Wände gelaufen“, erklärte er mir. Er hat den Eindruck, die sächsische Politik fühle sich beinahe bedroht von dem Gedanken der Beteiligung ihr Bürger*innen. Bestehende Beteiligungsformate hätten dabei häufig eher symbolischen Charakter als echte Gestaltungsmacht.
Beispielsweise gibt es einen Regionalen Begleitausschuss, in welchem betroffene Landkreise und ausgewählte Gemeinden über kommunale Strukturwandelprojekte abstimmen.
Dieser Ausschuss steht in der Prozesskette jedoch so gut wie am Ende, sodass in den meisten Fällen lediglich die Projekte durchgewunken werden, die bereits ministeriell bestätigt worden sind. Zudem sind Interessenvertretungen aus dem Bereich Wirtschaft, Zivilgesellschaft oder Ökologie involviert – nur haben diese kein Stimmrecht.
Die echten Entscheidungen werden vornehmlich da gefällt, wo die Betroffenen keinen Zugang haben. Dabei sendet die Kommunikation der Beschlüsse und Zuwendungen zudem oft an den Menschen vor Ort vorbei: „Wir brauchen nicht noch mehr riesige Aufstelltafeln oder Anzugträger, die mit Flipcharts irgendwelche Investitionsströme erklären“, so Franzi. Vielmehr gehe es darum, die Leute da abzuholen, wo sie sind. So zieht eben doch das Fest mit Bockwurst und Bier am besten, bei dem der ansässige Bäcker vom gelungenen Umbau seiner Filiale berichten kann.
Neben dem Wie liegt das Problem auch im Was: „Der Strukturwandel in der Oberlausitz ist am Ende des Tages eine business as usual Wirtschaftsförderung“, so Jan. Für ihn ist zumindest fraglich, ob die alte Logik noch gilt, man müsse einfach genügend Arbeitsplätze schaffen und dann kämen die Leute von ganz allein.
Natürlich sind beim Strukturwandel wirtschaftliche Veränderungen zentral. Doch wenn es darum geht, diesen Wandel auszugestalten, geht es um mehr als nur die Kompensation von Wirtschaftsfaktoren.
Hier wird nicht weniger verhandelt als die Frage, in was für einer Region die Menschen künftig arbeiten und leben wollen. Im Umkehrschluss liegt für Franzi und Jan die Vision darin, den Strukturwandel ganzheitlich zu betrachten – wirtschaftlich, ökologisch und zivilgesellschaftlich. Das geht nur gemeinsam.
Einmalige Chance
So einleuchtend dieser Ansatz klingt, räumt Jan nach langen Jahren der Arbeit in verschiedenen Beteiligungsformaten ein:
„Das Problem liegt nicht nur auf der Seite der Politik, sondern ist auch ein gesellschaftliches. Ganz oft haben die Leute zwar viel zu meckern, wollen sich aber gar nicht einbringen.“ Auf Kompetenzen der Selbstwirksamkeit in einer gelebten Demokratie können viele nicht zurückgreifen. Der Glaubenssatz, man könne ohnehin nichts bewirken, sitzt tief. Zeit für Engagement muss man sich zudem auch erst mal leisten können.
Was ich aus den Gesprächen auch mitgenommen habe: Bei aller berechtigen Kritik sind der Strukturwandel und die Milliardensummen eine einmalige Chance für die Lausitz. Es gibt durchaus Leuchtturmprojekte, wie die Ansiedlung des Deutschen Zentrums für Astrophysik in Görlitz, die eine Strahlkraft auf die ganze Region ausüben können.
An machen Stellen braucht es vielleicht auch einfach noch Zeit, bis die Leute merken, dass hier wirklich was passiert. Dass sich das Ganze positiv auf ihr Leben auswirkt.
Umso wertvoller ist die Arbeit all der Initiativen, Vereine oder Einzelpersonen, die sich in den betroffenen Regionen unermüdlich mittels soziokultureller Zentren, Beteiligungsformaten oder auch Gewerkschaftsarbeit für einen erfahr- und gestaltbaren sozial-ökologischen Wandel starkmachen. Davon gibt es zum Glück so einige.
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