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Für freie Feeds

Um der Macht der Tech-Bosse etwas entgegenzusetzen, arbeiten Entwickler an alternativen sozialen Medien. Ihr Ziel: die Feeds verschiedener Plattformen kombinierbar zu machen. Wie kann das gelingen?

Die Chefin der Mozilla- Stiftung, Nabiha Syed, unterstützt den Aufruf für alternative soziale Medien Foto: Emily Lytle/imago

Von Christian Jakob

Eigentlich wollten sie nur Geld. Der Sound aber glich einem Manifest: Nachdem auch Meta-Chef Mark Zuckerberg sich „zum Musk gemacht hat“, könnten „wir nicht länger zulassen, dass Milliardäre unsere digitale Öffentlichkeit kontrollieren“, heißt es in einem in der vergangenen Woche veröffentlichten, viel beachteten Aufruf alternativer Tech-Größen. „Free Our Feeds“ hatten sie ihn überschrieben, frei übersetzt also: „Freiheit für die sozialen Medien“. Die Zeit sei gekommen für ein Netzwerk „verbundener Apps und Unternehmen, denen die Interessen der Menschen am Herzen liegen“, heißt es darin weiter: Ein „offenes und gesundes Social-Media-Ökosystem, das nicht von einem Unternehmen oder Milliardär kontrolliert werden kann“.

Der Gedanke ist nicht erst seit Elon Musks unheilvollem Einstieg bei Twitter 2023 vielen gekommen. Doch wie soll ein solches Ökosystem gegen die Markt-, Reichweiten-, Technologie-, Kapital- und nun wohl auch unmittelbar politische Macht der Tech-Konzerne entstehen können? Zuletzt machte Meta von sich reden, weil Instagram offenbar Ergebnisse mit dem Suchwort „Demokraten“ verbarg, während Facebook es anscheinend erschwerte, Trump zu entfolgen.

Was lange eher ein Thema für Nerds war, ist nun gleichermaßen eine Frage für Millionen Nut­ze­r:in­nen wie auch für die große Politik: Wie lässt sich die globale Kommunikation im Netz anders organisieren? Die Szene, die seit Jahren an Antworten tüftelt, ist in Aufregung.

Eine dieser Antworten steckt in dem „Free Our Feeds“-Aufruf. Hinter diesem stehen alternative Tech-Größen wie der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales und Nabiha Syed, die Chefin der Mozilla-Stiftung. Die hat unter anderem den nicht kommerziellen, aber höchst erfolgreichen Browser Firefox und das Mail-Programm Thunderbird geschaffen. Die technische Grundlage für beide ist Open Source, also vereinfacht gesagt, für alle offen einsehbar und transparent. So bleibt sie kollektiv verbesser- und leichter demokratisch kontrollierbar.

Diesem Gedanken folgt auch Bluesky, eine seit 2024 öffentlich zugängliche Alternative zu Twitter/X. Die Bluesky-Macher entwickelten einen Standard, AT genannt. Der ermöglicht eigenständigen sozialen Netzwerken, miteinander Daten auszutauschen – also etwa Posts anzuzeigen. Das Prinzip ist dabei ähnlich wie jenes der E-Mail: Ihr Standard erlaubt heute allen Servern weltweit, einander Mails zu senden.

Der Hintergedanke: Statt große Monopole entstehen zu lassen, sollen so verschiedene Plattformen aufgebaut und betrieben werden können, die aber zu einem großen kommunikativen Raum zusammenfließen. So können sie reichweitenmäßig immer größer und damit interessanter werden. Denn solange die alternativen Plattformen mit ihren bisher kümmerlichen Nutzerzahlen nebeneinanderher vor sich hin dümpeln, sind sie keine Konkurrenz für Giganten wie Facebook.

Um das zu ändern, könnte das AT genannte Protokoll, an dem bisher nur die Bluesky-Macher arbeiten, zu einer breiten, universellen Software-Basis weiterentwickelt werden. Dafür wollen die „Free Our Feeds“-Macherinnen eine neue Stiftung gründen – wozu sie nun Geld einsammeln. In Deutschland schlug der Autor Yves Venedy vor, einen Verein zum Aufbau kollektiver, technischer Infrastruktur für Bluesky – das bisher in US-Rechenzentren gehostet wird – aufzubauen. Er wolle Bluesky damit keine Konkurrenz machen, „sondern eine echte Föderation aufzubauen, die nicht von einem Milliardär dominiert werden kann und resilient gegenüber Autokraten ist“, schrieb Venedy.

Praktisch zeitgleich mit Bluesky ging eine zweite große Hoffnung auf eine demokratische Social-Media-Welt an die Öffentlichkeit: Mastodon. ­„Warum den Menschen der Marktplatz gehören sollte“ stand über einer Erklärung des Gründers Eugen Rochko, einem russlanddeutschen Software-Entwickler. Er kündigte an, das bisher als GmbH geführte Mastodon in eine gemeinnützige, spendenfinanzierte Organisation zu überführen, ähnlich wie etwa der Messengerdienst Signal.

Grob gesagt bietet Mastodon einen ähnlichen Dienst wie einst Twitter. Rund 15 Millionen Menschen haben sich seit 2016 bei Mastodon angemeldet, die Daten sind auf über 11.000 dezentrale Server verteilt. Privatpersonen, Unis, NGOs oder Regierungen – jeder kann einen solchen Server einrichten. Auch hier ist die technische Basis Open Source, der zugrunde liegende Standard heißt Activity Pub. Seit Jahren arbeiten Entwickler daran, auf dieser Grundlage soziale Netzwerke zum sogenannten „Fediverse“ zusammenzuführen: „Ein Nutzer soll auf einer beliebigen Plattform ein Konto erstellen können und sich darüber mit allen Nutzern auf allen anderen Plattformen austauschen können“ – diesen Zustand streben die Fediverse-Macher:innen an.

Um dem näherzukommen, will jetzt auch Rochko, mit Mastodon einer der größten Fediverse-Player, Geld für die Expansion einsammeln. Er verspricht, mit „allen zusammenzuarbeiten, um widerstandsfähige, ­regierbare, offene und sichere digitale Räume zu schaffen.“

Ob bei Videos, Fotos oder Mikroblogging: „Bisher heißt es: The Winner takes it all, der Rest stirbt“, sagt der Experte für demokratische Öffentlichkeit, Kai Unzicker, von der Bertelsmann-Stiftung. Auf diese Form der Konzentration sei die Geschäftspolitik der großen Tech-Konzerne angelegt. Kompatibilität stört da nur. Deshalb sei Dezentralität „das Gegenmodell zu den dominanten einzelnen Plattformen“.

Wenn sich die Devise „Protokolle statt Plattformen“ durchsetze, könnten Tech-Unternehmen Menschen nicht länger zwingen, ihre eigene Plattform zu nutzen, um bestimmte Inhalte zu sehen oder bestimmten Personen zu folgen, sagt auch Oliver Marsh, Forschungsleiter der NGO Algorithm Watch der taz. Und technisch sei die Ausweitung der Protokolle AT und Activity Pub „relativ einfach“. Allerdings: Bisher sind die beiden unabhängig voneinander entstandenen Protokolle nicht miteinander kompatibel.

Doch das müsse nicht so bleiben, meint Cathleen Berger, die bei der Bertelsmann-Stiftung für Demokratie und Zukunftstechnologien zuständig ist. In Zukunft könnten etwa Feeds auch protokollübergreifend wechselseitig sichtbar werden. Es gebe heute viele denkbare Formen, um kombinierbare digitale Räume und damit eine „globale Wissensbasis“ zu schaffen, sagt Berger.

Möglich sei etwa ein Gebührenmodell, bei dem Nutzerinnen monatlich einen kleinen Obolus zahlen. Entscheidungen könnten von Gremien getroffen werden, die demokratisch mit interessierten Nut­ze­r:in­nen und Fachleuten besetzt seien. Über solche Modelle konkreter nachzudenken, „haben wir zu lange hinten an gestellt, weil es komfortabel war, nicht bezahlen zu müssen“, so Berger.

Wenn von neuen Formen der Kontrolle des Internets die Rede ist, fällt immer wieder ein Name: Wikimedia. Die Stiftung betreibt seit 2001 mit großem Erfolg die bekannte Online-Enzyklopädie – gemeinnützig, demokratisch kontrolliert, stiftungsbasiert, staatsfrei. Die Wikipedia ist der Beweis, wie gut das Netz sein kann, wenn Konzerne ihre Finger nicht im Spiel haben. Es kommt nicht von ungefähr, dass unter anderem Elon Musk Anfang Januar das Projekt heftig attackierte und zum Wikipedia-Spendenboykott aufrief.

Es werden verschiedene Plattformen aufgebaut, die zu einem großen kommunikativen Raum zusammen- fließen

Was können Initiativen, die Social-Media-Plattformen nach ähnlichen Prinzipien aufbauen wollen, von Wikimedia lernen?

Ein entscheidender Faktor sei das Engagement der Freiwilligen, sagt Franziska Heine, die Vorständin der deutschen Wiki­media. Das Ziel, das „Wissen der Welt allen zugänglich zu machen, treibt die an“. Die Wikipedia gehöre niemandem, aber sie folge Regeln, auf die sich die Nut­ze­r:in­nen verständigt hätten. Jeder kann Inhalte erstellen, eine Community wacht, unter anderem mit Administrator:innen, Sichter:innen und Check-User:innen, über die Einhaltung der Regeln für das Schreiben. Stiftung und Verein, die vor allem die Infrastruktur stellen, seien davon strikt getrennt. „Ich als Vorständin könnte nie hingehen und Inhalte ändern“, sagt Heine. Bisher habe sich gezeigt, dass die Strukturen funktionieren – und sie so auch Versuchen der Unterwanderung und anderen Angriffen von außen „gut was entgegensetzen können“, sagt Heine. „Auch weil wir das immer aktiv mitdenken.“

Wikimedia versuche, eine immer aktuelle Antwort auf die Frage zu finden, „wie das Wissen am besten zu den Menschen kommt“, sagt Heine. Und heute, da Jugendliche oft nur auf Tiktok nachschauen, statt etwa zu googeln, könnten dies auch andere Wege als eine Browser-Enzyklopädie sein. Es sei deshalb sinnvoll, etwa Mastodon und das Fediverse mit ihrer freien Infrastruktur zu unterstützen, sagt Heine. Gute Erfahrungen gesammelt habe Wikipedia auch bei der Zusammenarbeit mit der Open Street Map, einer konzernfreien Alternative zu Google Maps. „Deshalb versuchen wir, uns gegenseitig Bausteine zu einer nicht kommerziellen Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, die wir gut zusammenbringen können – und dabei den anderen zu helfen“, so Heine.

Die große Frage ist, welche Aussichten all diese Projekte auf nennenswertes Wachstum haben. Für Kai Unzicker von der Bertelsmann-Stiftung hängt dies auch davon ab, wie sensibel Nut­ze­r:in­nen auf Entwicklungen bei den großen Plattformen reagieren. „Gehen sie bei manchen Sachen nicht mehr mit? Schrecken gewisse Nutzungsbedingungen sie ab?“, sagt er. Wenn Nut­ze­r:in­nen von Verschlechterungen mitbekommen und deshalb wechseln, hätten andere Geschäftsmodelle eine Zukunft. „Wenn die Nut­ze­r:in­nen aber sich an alles gewöhnen und die Veränderungen für normal halten, dann wird es schwierig.“ Unzicker erinnert an X: Trotz der enormen Veränderungen nach Musks Übernahme sei der große Exodus bisher ausgeblieben, die Nutzerzahlen liegen weiter bei rund einer halben Milliarde. Und doch: „Erfolgreiche Plattformen können auch wieder verschwinden“, sagt ­Unzicker.

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