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Frieden auf Papier

Zahllose Friedenspläne waren erfolglos. Sie scheiterten an komplexen Gemengelagen oder blieben für immer in der Schublade. Beispiele aus Kolumbien, Kongo, Indien und Pakistan – und Deutschland

taz themenwoche frieden und krieg

Der Krieg ist zurück im Alltag Europas. Die Welt wird neu sortiert, und Deutschland sucht darin seine Position. Die taz beobachtet die Kämpfe. Alle Texte zum Thema finden Sie hier:

Aus Delhi Natalie Mayroth

Der damalige indische Premier Manmohan Singh von der Kongresspartei unterbreitete im März 2006 ein überraschendes Friedensangebot an Erzfeind Pakistan. Der „Vertrag über Frieden, Sicherheit und Freundschaft“ sollte die Beziehungen zwischen beiden Nachbarländern normalisieren. Der kürzlich verstorbene Singh, der auf heute pakistanischem Boden geboren wurde und 1947 die blutige Unabhängigkeit Indiens und Pakistans miterlebte, wollte als Regierungschef ein versöhnliches Erbe hinterlassen.

Doch die Mühen waren vergebens. Denn gut zwei Jahre nach seinem Vorstoß kam es in Mumbai zu Terroranschlägen. 175 Menschen starben, etwa doppelt so viele wurden schwer verletzt. Es war nicht die erste Serie töd­licher Anschläge in Mumbai, die interreligiös motiviert waren, und auch nicht die erste Einmischung Pakistans oder Indiens in das jeweils andere Land. Dennoch markierte der 26. 11.  2008 eine Zäsur in den bilateralen Beziehungen, nachdem ­bekannt wurde, dass die Attentäter mutmaßlich in Pakistan für ihre Tat ausgebildet worden waren.

Bis dahin gab es in Mumbai einen regen Austausch in der Musikszene rund um Bollywood, der heute fast unmöglich ist. Eine weitere Folge der Anschläge ist, dass Länderspiele wie im Cricket nur noch in Drittländern stattfinden. Für indische und pakistanische Staats­bür­ge­r:in­nen ist es gleichermaßen schwer, ins jeweils andere Land zu reisen. Ausnahmen gibt es nur für religiöse Pilger:innen. Das gegenseitige Vertrauen ist schwer beschädigt.

Die Erbfeindschaft geht auf die britische Kolonialzeit zurück. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zogen sich die Briten allmählich aus Südasien zurück, doch hatte die Grenzziehung der Kolonialmacht durch „Britisch-Indien“ katastrophale Auswirkungen. Pakistan sollte das Land der Muslime werden; Indien die säkulare und multireligiöse, sozialistische, demokratische Republik. Doch der blutige Beginn der Nationalstaaten wirkt bis heute nach.

Nachdem die Ländergrenzen festgelegt wurden, brach Gewalt aus. Abwanderungen und Vertreibungen begannen. Millionen von Menschen kamen zu Tode, schätzungsweise wurden 20 Millionen Menschen deportiert und umgesiedelt. Besonders betroffen waren Hindus, Muslime und Sikhs in Grenznähe. Infolgedessen gibt es die Verwaltungsgebiete Punjab und Kaschmir heute in Indien und in Pakistan. Um Kaschmir wurden zwei Kriege geführt.

Singh wollte Feindseligkeiten hinter sich lassen. „Wir haben keine Angst davor, über Jammu und Kaschmir zu diskutieren oder pragmatische, praktische Lösungen zu finden, um auch dieses Problem zu lösen“, sagte er. Der damalige pakistanische Präsident Pervez Musharraf erklärte, dass eine Normalisierung der Beziehungen ohne Lösung der „Kaschmirfrage“ unmöglich sei. Sie ist bis heute ungeklärt. Denn sowohl Delhi als auch Islamabad beanspruchen die Region Kaschmir für sich. Zudem hat Peking die Region Aksai Chin am Westrand Tibets zu seinem Territorium erklärt.

Aus Kampala Simone Schlindwein

Um Frieden in der Demokratischen Republik Kongo herzustellen, wurden in den vergangenen 30 Jahren unzählige Abkommen ausgehandelt, zum Teil unterzeichnet – und dann letztlich nicht umgesetzt.

Während der Erste Kongo-Krieg 1997 mit dem Sturz des langjährigen mächtigen Diktators Mobutu Sese Seko endete, versuchte man bei sämtlichen Folgekriegen, sie durch internationale Verhandlungen zu beenden. Doch dies war nie einfach, denn umso mehr Akteure in einen Konflikt involviert sind, desto komplexer ist die Gemengelage und desto unmöglicher wird es, durch Verhandlungen Frieden herzustellen.

Im Zweiten Kongo-Krieg, der 1998 begann, waren allein neun afrikanische Länder involviert. Der Rohstoffreichtum des gewaltigen Landes im Herzen Afrikas lockte viele Akteure an, die alle ein Stück vom Kuchen abbekommen wollten. Dementsprechend langwierig und komplex waren die Friedensverhandlungen, die 1999 mit einem vereinbarten Waffenstillstand begannen und bis 2002 vier weiterer Friedensabkommen bedurften, um den Krieg zu beenden. 2003 begann in Kongos Hauptstadt Kinshasa eine Übergangsregierung, in welcher zahlreiche Rebellengruppen mit an der Macht beteiligt und deren Kämpfer in die Armee integriert wurden.

Die Gewaltspirale beendete dies nicht. Eine Gruppe Offiziere der kongolesischen Tutsi-Minderheit verweigerte die Integration. Mit militärischer Unterstützung von Ruandas Tutsi-Regierung eroberten sie weite Teile des Ostkongo. Die frisch aus Milizen zusammengewürfelte Armee war schlicht unfähig, dagegen vorzugehen. Dies zwang Kongos Regierung, sich erneut an den Verhandlungstisch zu begeben. 2009 wurden die Tutsi-Rebellen durch ein Friedensabkommen in die Armee integriert, doch das Misstrauen innerhalb der Einheiten gegen die Tutsi blieb. Ein Großteil der Tutsi-Offiziere desertierte 2012 und zettelte einen erneuten Krieg an. Sie gründeten die Bewegung des 23. März (M23) und eroberten die Handelsmetropole Goma im Ostkongo. Damit zwangen sie die Regierung wieder einmal zu Verhandlungen.

Monatelang saßen die Rebellen in einem schicken Hotel in Uganda, wohin sich die M23 zurückgezogen hatte. Nach zähen Verhandlungen und durch internationalen Druck unterzeichneten beide Seiten Ende 2013 zähneknirschend ein Abkommen – was jedoch nie umgesetzt wurde. Die M23 weigerte sich, in ihre Heimat zurückzukehren. Letztlich verschanzten sie sich 2017 in den Vulkanbergen entlang der Grenze, wo sie 2021 einen erneuten Krieg begannen, der bis heute anhält.

Aus Bogotá Katharina Wojczenko

Manchmal ist ein Friedensschluss mit einer bewaffneten Gruppe am Ende für die Zivilbevölkerung schlimmer als keiner. Nämlich dann, wenn starke Hand und breite Führung fehlen, um diesen durchzusetzen. Das ist eine bittere Lehre aus Kolumbien.

Ende 2016, nach 50 Jahren Krieg gegen den Staat und andere bewaffnete Gruppen, unterzeichnete die linke Farc-Guerilla ein historisches Friedensabkommen mit dem Staat. Rund 13.000 Frauen und Männer legten die Waffen nieder. Die meisten von ihnen sind bis heute bei ihrem Versprechen geblieben und im zivilen Leben angekommen. Dieser Teil ist ein Riesenerfolg.

Die aktuelle linke Regierung unter Gustavo Petro trat 2022 mit dem Ziel an, Frieden mit allen verbliebenen bewaffneten Gruppen zu verhandeln. Paz total. Die größte von ihnen ist die ELN (Nationale Befreiungsarmee). Sie entstand zur selben Zeit wie die Farc. Trotz Verstrickungen der ELN in Entführungen, Schutzgelderpressung und Drogenhandel sollen ihre linksideologischen Anfänge eine Einordnung als letzte Guerilla Kolumbiens rechtfertigen.

Petros rechter Vorgänger Iván Duque war erklärtermaßen gegen das Friedensabkommen mit der Farc – und boykottierte die Umsetzung, so gut es ging. Ganz im Sinne der Eliten, die vom Krieg profitiert hatten. Der Staat baute nach dem Rückzug der Farc keine ausreichende Präsenz in den Regionen auf. So begannen die übrigen bewaffneten Gruppen und Neugründungen das Machtvakuum zu füllen. Wo unterschiedliche Gruppen um die Vorherrschaft kämpfen, ist das Leben der Zivilbevölkerung die Hölle. Wenn eine Gruppe die absolute Macht hat, per Schutzgelderpressung „Steuern“ kassiert, „Recht“ spricht, bis ins Intimleben die Regeln festlegt – dann ist das zwar keine Freiheit, kein Frieden, keine Demokratie. Aber für die Menschen immer noch sicherer, als im Kugelhagel um die Vorherrschaft zu leben.

Mittlerweile ist die Lage in Teilen des Landes ähnlich oder schlimmer als vor dem Friedensabkommen. Am Freitag legte die Regierung die Friedensgespräche mit der ELN zum zweiten Mal in vier Monaten auf Eis. Wegen des Kriegs in Catatumbo, der Grenzregion zu Venezuela. Dort kämpft die ELN mit einer Farc-Dissidentengruppe um die Vorherrschaft. In vier Tagen wurden mindestens 20.000 Menschen vertrieben. Am Montag kündigte Petro den Notstand an. Seit Freitag wurden mindestens 80 Menschen getötet, darunter zehn Demobilisierte, die das Farc-Friedensabkommen unterschrieben hatten. Laut der Ombudsfrau greift die ELN gezielt Menschen an, die sich für Frieden einsetzen. Ihnen drohen Entführung oder Tod. Die zweite bittere Lehre ist: Ein Frieden mit einer Gruppe, die keinen Frieden will, ist zwecklos.

Aus Berlin Doris Akrap

Der US-amerikanische Finanzminister Henry Morgenthau sah im August 1944 nur einen Weg zum Frieden mit Deutschland: Es müsse in einen Kartoffelacker verwandelt werden. Nur mit einem komplett demilitarisierten, deindustrialisierten Agrarland sei gesichert, dass es nicht erneut zu einem Monster wird.

Der Plan sah unter anderem vor, dass Deutsche nie wieder Luftfahrzeuge führen oder Uniformen tragen dürfen und jeglicher Großgrundbesitz unter den Bauern aufgeteilt wird.

Im September 1944 wurde das Memorandum öffentlich und von den Nazis ausgeschlachtet, die es einen „Plan des Weltjudentums zur Versklavung der Deutschen“ nannten.

Churchill und Roosevelt unterzeichneten im selben Monat ein Abkommen über die Verlängerung der US-Militär- und Wirtschaftshilfe, in dem auch die Demilitarisierung Deutschlands und ein Satz aus Morgenthaus Memorandum festgehalten wurde: „Dieses Programm zur Ausschaltung der Kriegsindustrie in Ruhr und Saar soll Deutschland in ein Land mit vorwiegend agrarischem und ländlichem Charakter verwandeln.“

Die Kritik an diesem Satz war so groß, dass sowohl Churchill als auch Roosevelt sich davon distanzierten. Im April 1945 trat Morgenthau von seinem Amt zurück, veröffentlichte das Buch „Germany is our problem“ und setzte sich weiterhin für einen „harsh peace“ ein.

Die neue amerikanische Regierung unter Harry S. Truman entschied sich für eine andere Idee, die als Marshallplan bekannt wurde: Europa und Westdeutschland wurden massiv finanziell und beim Aufbau einer blühenden Wirtschaft unterstützt.

Dahinter steckte die Überzeugung, wer genügend Unterhosen und Tupperdosen kaufen könne, werde kein Nazi, aber vor allem: kein Kommunist.

Deutschland gehörte zur Hälfte schon Stalin und die USA hatten null Interesse daran, auch noch den Rest Europas an ihn zu verlieren.

Bis heute wird der Morgenthauplan als Vorwurf gegen die amerikanische Besatzungspolitik im Nachkriegsdeutschland gerichtet – die Amis hätten die Deutschen ausbluten lassen wollen. Das Gegenteil aber war der Fall. Die Deutschen bekamen die Chance, sich zu resozialisieren. Das hat Deutschland geschafft – und ist heute eines der letzten Länder im klassischen Westen, das noch nicht von Rechtspopulisten regiert wird.

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