: Das Militär drängt an die Unis
Vor der Bundestagswahl wird der Ruf nach mehr militärischer Forschung lauter. Habeck stellt die Zivilklausel infrage. In Bayern müssen Hochschulen bereits mit der Bundeswehr kooperieren. Protest dagegen gibt es kaum
Von Ralf Pauli
Für Studierende der Technischen Universität München (TUM) hat das Wintersemester bedrohlich begonnen. Beim Forschungsreaktor der Uni in Garching fielen an einem Mittwoch Mitte Oktober Schüsse, Soldaten patrouillierten über den Campus, mehrere Personen wurden überwältigt. Eine Übung der Bundeswehr, auf die die TUM vorab per Mail hingewiesen hat: „Seien Sie bitte nicht überrascht, wenn in dieser Zeit Soldatinnen und Soldaten verstärkt im Straßenbild präsent sein werden“, heißt es darin. Ziel des Manövers: einen Angriff auf kritische Infrastruktur zu simulieren und abzuwehren. Auf Fotos im Netz ist zu sehen, wie Bundeswehr-Jeeps mit montierten Maschinengewehren neben Unigebäuden stehen.
Militär auf dem Campus – noch ist das ein seltener Anblick. Doch das könnte sich ändern. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine im Februar 2022 und die danach von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufene Zeitenwende haben eine jahrzehntealte Debatte an Hochschulen neu entfacht: Und zwar darüber, ob sich Unis für militärische Interessen öffnen – und ihre Forschungsergebnisse für entsprechende Zwecke freigeben sollten. Rund 70 Hochschulen bundesweit – also knapp jede fünfte – lehnen dies grundsätzlich ab.
In sogenannten Zivilklauseln verpflichten sie sich dazu, Forschung nur für friedliche Ziele zu betreiben. In wenigen Bundesländern wie Hessen, Bremen und Thüringen sind diese sogar gesetzlich festgeschrieben. In anderen wie Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen gab es sie mal – bis die Landesregierungen sie wieder gestrichen haben.
Mit der Bedrohung Europas durch Putins Imperialismus ist das politische Lager, das Zivilklauseln für nicht mehr zeitgemäß hält, größer geworden. Der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck findet, man müsse „die strikte Trennung von militärischer und ziviler Nutzung und Entwicklung überdenken“ – auch wenn das für die Partei so heikle Thema im Entwurf des grünen Programms zur Bundestagswahl ebenso ausgespart wird wie im Programm der SPD. Anders ist das bei Union und FDP: Sie fordern in ihren Programmentwürfen eine hochschulpolitische Neuausrichtung. Die Union verspricht, die „Einschränkungen für militärische Forschung“ aufzuheben und unter anderem eine Drohnenarmee aufzubauen – inklusive Investitionen „in die Drohnenforschung“.
Die Liberalen wollen neben der „Streichung der Zivilklauseln aus den Landeshochschulgesetzen“ eine „agile Verteidigungsforschungsanstalt nach amerikanischem Vorbild, die sich auf den Technologietransfer zwischen Militär und Wissenschaft sowie auf die Förderung von Forschungsprojekten mit militärischen oder Dual-Use-Anwendungen konzentriert“. Also Forschung, die sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich eingesetzt werden kann.
In diesem Punkt macht auch die EU-Kommission Druck: Im Januar 2024 schlug sie in einem Weißbuch vor, das europaweite Forschungsprogramm „Horizon Europe“ nach 2027 für Dual-Use-Projekte zu öffnen oder alternativ mit einem eigenen Förderinstrument auszustatten. Ähnliche Ideen hat kurz darauf das Bildungsministerium von Bettina Stark-Watzinger (FDP) veröffentlicht.
Auch in den Forschungseinrichtungen wird intensiv debattiert. Zum Beispiel am Deutschen Elektronen-Synchrotron in Hamburg, kurz: Desy. Das 1959 gegründete Forschungszentrum ist renommiert für seine Arbeit zu Elementarteilchen. Seit 2013 hat es sich in seinem Leitbild dazu verpflichtet, nur zu „zivilen und friedlichen Zwecken“ zu forschen. In der Vergangenheit hat das Desy deshalb Anfragen von Rüstungskonzernen abgelehnt. Etwa für die Testung eines Materials, das auch für Atomwaffen verwendet wird. Doch nun möchte das Direktorium auch solche Aufträge zulassen. Laut eines Rundbriefs an die 3.000 Beschäftigen soll sich das Labor „für Zwecke im Rahmen der Sicherheit, Wehrhaftigkeit und Verteidigungsbereitschaft“ öffnen.
Der Krieg ist zurück im Alltag Europas. Die Welt wird neu sortiert und Deutschland sucht darin seine Position. Die taz beobachtet die Kämpfe. Alle Texte zum Thema finden Sie hier:
Für den langjährigen Desy-Mitarbeiter Hannes Jung wäre das fatal. Seit 1985 forscht der mittlerweile emeritierte Experimentalphysiker am Zentrum, an dem Leitbild für zivile Forschung hat er mitgeschrieben. „Viele von uns arbeiten hier, weil das Desy militärische Forschung ausschließt“, erzählt Jung am Telefon. Er und viele andere Mitarbeiter:innen sehen die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr und fürchten eine Umverteilung von Ressourcen. Eine Petition, die sich gegen Pläne des Direktoriums stemmt, haben rund 300 Desy-Angestellte unterschrieben.
Wohin der Kriegs-Zeitgeist führen kann, lässt sich in Bayern beobachten. Dort hat der Landtag im Juli 2024 mit den Stimmen von CSU und Freien Wählern das „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr“ verabschiedet. Durch eine Änderung im Bayerischen Hochschulinnovationsgesetz müssen die Hochschulen ab sofort mit der Bundeswehr zusammenarbeiten, „wenn und soweit das Staatsministerium auf Antrag der Bundeswehr feststellt, dass dies im Interesse der nationalen Sicherheit erforderlich ist“. Zivilklauseln sind den Unis damit ausdrücklich untersagt.
Bayern hat so den Spieß umgedreht: Nicht die Hochschulen im Land entscheiden mehr darüber, ob und in welchen Fällen sie Rüstungsforschung zulassen – sondern Militär und Politik. Ob dieser Fall bereits eingetreten ist, ließen Bundeswehr und Bayerische Staatskanzlei auf Anfrage der taz bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Auch die beiden großen bayerischen Universitäten – TUM und LMU – wollten sich zum „Bundeswehrgesetz“ nicht äußern.
Luisa Haas, Studentin der Elektrotechnik in Regensburg
Aus Sicht von Gewerkschaften verstößt die Regelung gegen die Hochschulautonomie und die Freiheit von Forschung und Lehre. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat deshalb im Dezember Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgericht eingereicht. Selbst die bayerischen Hochschulen, die in einer gemeinsamen Stellungnahme vor Verabschiedung des Gesetzes dem akuten „Bedarf zur Steigerung der Verteidigungsfähigkeit“ sowie einer „kooperativen Haltung der Hochschulen zur Bundeswehr“ beigepflichtet haben, betonen: „Die Universitäten beharren darauf, dass jegliche Kooperation mit der Bundeswehr die grundgesetzlich verankerte Wissenschaftsfreiheit nicht untergraben darf.“ Es dürfte keine Verpflichtung eingeführt werden, die individuelle Forscher:innnen in ihrer Freiheit beschränke.
Studierende wie Luisa Haas befürchten jedoch genau das. Die 25-Jährige studiert Elektrotechnik an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg und überlegt, später weiter an der Uni zu forschen. Aber das neue bayerische Gesetz schreckt sie ab: „Für mich ist es komplett inakzeptabel, dass Forschung, an der ich beteiligt bin, zur Entwicklung von Waffensystemen beiträgt“, sagt Haas, die auch in der DGB-Hochschulgruppe aktiv ist. Dass die Hochschulen in Bayern nicht stärker gegen die Pläne der Landesregierung protestiert haben, sieht sie kritisch. Sie hofft nun darauf, dass das Bayerische Verfassungsgericht das „Bundeswehrgesetz“ stoppt.
Ob Bayern mit dem Gesetz andere Länder und den Bund inspiriert wie bei den weitgehenden Polizeibefugnissen, ist offen. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Walter Rosenthal, jedenfalls sähe das kritisch: „Eine politisch gewünschte Stärkung explizit militärischer oder sogenannter Dual-Use-Forschung kann im Sinne der Wissenschaftsfreiheit auch nicht mit einer Verpflichtung zu militärischer Forschung einhergehen.“
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