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taz-Tagebücher zum Ukraine-KriegFäden über die Ländergrenzen hinweg

In der taz-Kolumne „Krieg und Frieden“ erzählten Au­to­r:in­nen aus dem postsowjetischen Raum einander vom Alltag. So bekamen ihre Weltbilder Risse.

Kyjiw, Ukraine, 13. Dezember: Menschen suchen in einem U-Bahnhof Schutz vor russischen Angriffen Foto: Alina Smutko/reuters

Wladikawkas taz | Seit dem Ende der Kolumne „Krieg und Frieden, ein Tagebuch“ in der taz ist mehr als ein Jahr vergangen. Es fehlt schmerzlich. Denn für uns Jour­na­lis­t*in­nen im postso­wje­tischen Raum ist es schwer, zu erfahren, wie unsere Nachbarn leben. Dafür erwies sich das Tagebuchformat dieser Kolumne als besonders gut. Als ich zum Beispiel über Alltäglichkeiten aus meiner Umgebung schrieb, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass das für meine Kol­le­g*in­nen aus anderen Ländern fast wie eine Offenbarung war. Umgekehrt ging es mir übrigens genauso.

Das zeigt gut, dass die offizielle Medienberichterstattung eines jeden Landes nicht einmal einen Bruchteil der dortigen Realität widerspiegelt. Und so wurden unsere Texte zu Fäden über Ländergrenzen hinweg, die dazu beitrugen, Hass und Falschbehauptungen zu überwinden, und das Wichtigste hervorbrachten: Wir sind alle Menschen – und wir brauchen eigentlich nur wenig. Einen friedlichen Himmel, die Möglichkeit zu ehrlicher Arbeit und ein Leben ohne Angst vor der nächsten Bombe oder Drohne. Um dies zu verstehen, muss man leider den ganzen Horror erleben, mit dem wir jetzt leben müssen.

Ich selbst konnte hier zum Beispiel auch einmal über Dinge schreiben, über die man in meiner Heimat, die ich sehr liebe, nicht zu sprechen pflegt. Weder über den Kriegshass noch den Wunsch nach Frieden. Nicht über die Weigerung, das eigene Volk als das beste der Welt zu betrachten, und auch nicht über die Forderung, in Harmonie mit den Nachbarn zu leben. Und jetzt, wo alle über das mögliche Ende des Krieges sprechen, kommt man nicht umhin, sich zu sorgen, wie es danach wohl weitergeht.

Zwischen März 2022 und Dezember 2023 schrieben in knapp 160 Texten 26 Jour­na­lis­t*in­nen aus dem postsowjetischen Raum Tagebuch. Finanziert wurde das Projekt von der taz Panter Stiftung.

Die Gesichter der anderen sehen

Ich weiß nicht, ob eine Fortsetzung dieses „Tagebuchs“ möglich wäre, denke aber, es sollte so etwas in der Art wieder geben. Damit wir, ganz gewöhnliche Menschen aus Ländern, deren Regierungen sich gegenseitig zu Todfeinden erklärt haben, die Gesichter der jeweils anderen sehen können und keine Minute lang vergessen, dass es irgendwo da draußen Menschen gibt wie uns. Lassen wir es nicht zu, dass die Politik diesen Menschen das Menschsein abspricht, sie zu einer gesichtslosen Masse macht.

Zu Beginn verstand ich die Idee dieses Projekts überhaupt nicht. Niemand von uns könne doch irgendetwas Neues, Unbekanntes schreiben, dachte ich. Wir hatten feste Weltbilder in den Köpfen – doch die bekamen nach den ersten Texten Risse. Plötzlich konnte man Dinge neu sehen, besser begreifen, mitfühlen, aber auch: selber Gehör finden. Das Konzept ging auf.

Natürlich war es in den zwei Jahren des Projekts nicht möglich, alle Missverständnisse selbst unter den teilnehmenden Au­to­r*in­nen auszuräumen. Vor allem nicht zwischen Jour­na­lis­t*in­nen aus Russland und der Ukraine. Aber schon allein, dass jede/r von uns die anderen lesen, hören und spüren konnte, zeigt, wie sinnvoll und hilfreich dieses Projekt war. Vielleicht, weil der Mensch dazu verdammt ist, Mensch zu bleiben, und Hass kein normales Gefühl ist. Im Gegensatz zu Liebe und Verständnis füreinander. Egal, wie man auch versucht, uns vom Gegenteil zu überzeugen.

Übersetzung aus dem Russischen: Gaby Coldewey

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