Nach dem Tod Manmohan Singhs: In Indien sind die Flaggen auf halbmast
Der am Donnerstag verstorbene Ex-Premier wird mit allen Ehren gewürdigt: Er habe das Leben des einfachen Volkes verändert, sagen Parteikollegen.
Der an der Universität Oxford promovierte Politiker gilt als Architekt der wirtschaftlichen Liberalisierung Indiens. Er leitete sie ein, als das Land kurz vor dem Zusammenbruch stand. Der Ökonom legte die Weichen dafür, Millionen von Menschen aus der Armut zu heben, etwa durch Wohlfahrtsprogramme für die ärmere Landbevölkerung.
„Indien trauert um eine seiner bedeutendsten Führungspersönlichkeiten“, sagte der amtierende Premier Narendra Modi (BJP). „Indien wird sich für immer an seinen Beitrag für unsere Nation erinnern“. Am Freitag kamen neben Modi zahlreiche weitere Persönlichkeiten – darunter Mitglieder der Nehru-Gandhi-Familie – zu Singhs Residenz, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Am Samstag soll Singh mit einem Staatsbegräbnis beigesetzt werden.
Ein „zufälliger“ und „stiller“ Premierminister
Geboren wurde Singh vor der Unabhängigkeit Indiens, im heutigen Pakistan. Seine Familie siedelte während der Teilung Britisch-Indiens 1947 nach Indien über. Der Halbwaise arbeitet sich hoch: So trug er auch den Beinamen „zufälliger Premierminister“. Denn keineswegs war klar, dass der aus einer bescheidenen Sikh-Familie Stammende einmal Regierungschef werden würde.
Singh teilte später gegen den nun amtierenden Modi aus: „Manche sagen, ich sei ein stiller Premierminister gewesen. [Aber] ich war nicht der Premierminister, der Angst hatte, mit der Presse zu sprechen“, sagte er im Jahr 2018. Auch der Journalist Maneesh Chhibber erinnert sich an Singh als zugänglichen Mann: „In der letzten großen, ungescripteten Pressekonferenz eines indischen Premierministers stellte ich Manmohan Singh eine Frage, die am nächsten Tag zu einer großen Schlagzeile wurde“. Singh habe die Gelassenheit und Bereitschaft gehabt, unbequeme Fragen zu beantworten. Und: „Wir werden Sie vermissen“.
Als Singh 2008 ein ziviles Atomabkommen mit den USA verhandelte, sah er sich harter Kritik ausgesetzt. Doch es ermöglichte Indien, mit Kernenergie zu handeln. „Er besaß eine stille Kraft“, sagt die Kongresspolitikerin Renuka Chowdhury nun, und eine „bemerkenswerte Intelligenz“. „Er hat das Leben des einfachen Volkes verändert“, betonen andere Parteikollegen.
Altkanzlerin Angela Merkel schreibt in ihrer Autobiografie, dass sie durch Gespräche mit Singh ein besseres Verständnis für die Vorbehalte von Schwellenländern gegenüber dem Westen gewonnen habe. „Ich glaube, dass die Geschichte gnädiger zu mir sein wird als die gegenwärtigen Medien oder die Opposition im Parlament“, hatte Singh einmal gesagt, bevor er aus dem Amt des Premiers ausschied. Und verfolgt man die zahlreichen Würdigungen seiner Person dieser Tage, sollte er damit Recht behalten.
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