Kommunistische Architektur Bulgariens: Das Ufo mit dem rubinroten Stern
Die kommunistische Zeit Bulgariens spiegelt sich in ihren Bauten. Deren Architektur steht zwischen Kunst und Totalitarismus. Ein Reisebericht.
Strahlende Sonne aus blauem Himmel, doch der Wind pfeift unangenehm kalt über die Bergspitze. Der Busludscha genannte Berg ist mit jetzt 1.432 Metern die höchste Erhebung im bulgarischen Mittelgebirge, dabei hat ihn das frühere Regime um neun Meter abtragen lassen. Es wurde ein Plateau benötigt, auf dem das Denkmal für die Bulgarische Kommunistische Partei (BKP) Platz findet.
Wie ein Ufo, das an die Welt der Irdischen angedockt hat, liegt das wulstige Rund des Denkmals samt kantigem Unterbau auf dem kahlen Berg, neben sich ein 70 Meter hoher Pylon, geziert von beleuchteten Roten Sternen aus Rubinglas. Er war als Ausguck konzipiert, von oben sollte man das Meer erblicken können. Allein, „der Aufzug hat nie funktioniert“, wie Plamen Petrov trocken bemerkt, der Direktor der Kunstgalerie im Städtchen Kazanlak zu Füßen des Denkmalsgebirges, der hier Führungen besorgt.
Die Galerie wurde gleich miterbaut vom Geld, das in den 1970er Jahren vom bulgarischen Volk gespendet wurde und durch Sonderbriefmarken zusammenkam. Eine 500 Mann starke Baubrigade der Armee planierte ab 1974 den Gipfel, tausende Arbeiter bahnten die Straße bergan und schütteten den Beton zum Bauwerk auf, das der in Moskau geschulte, bulgarische Architekt Georgi Stoilow als landesweit größtes Denkmal seiner Art entworfen hatte. Zahllose Kunsthandwerker schufen die Mosaiken, die die ruhmreiche Geschichte der BKP erzählten, samt Bildnis von Partei- und Staatschef Todor Schiwkow.
Von Denkmalstürmern geplündert
Das ist Vergangenheit; denn nachdem erste Diebe die kupferne Dacheindeckung entwendet hatten und Wind und Wetter eindrangen, hielt nichts mehr die Denkmalstürmer ab, sie zerschlugen die Mosaike und montierten die vorwiegend in der Ukraine gefertigten Dekore ab.
Das Ufo ist heute unzugänglich; auch der Kongressaal in seiner Mitte, in dem jährlich am 23. August, als dem Gründungstag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei im Jahre 1891, der Parteikongress der BKP stattfinden sollte. Nur einmal, im Einweihungsjahr des Denkmals 1981, ist das wirklich geschehen, als landesweit die 1.300-Jahr-Feier Bulgariens zelebriert wurde. Womöglich war den Funktionären die Anreise auf Dauer zu beschwerlich.
Wie mit dem Bau heute umgegangen werden soll, ist ungeklärt. Er steht mittlerweile unter Denkmalschutz, Architekt Georgi Stoilow hatte sich selbst noch kurz vor seinem Tod 2022 für die Unterschutzstellung seines Gebäudes eingesetzt. Doch es gibt keine Mittel zur Erhaltung. Demnächst solle die örtliche Bevölkerung darüber abstimmen; aber ist das nationale Denkmal nicht eine Sache des ganzen Landes?
Es wird auch mit erheblichem Einsatz kaum möglich sein, das im Volksmund nach dem Ort des (gescheiterten) anti-osmanischen Aufstands von 1868 Busludscha benannte Denkmal dauerhaft zu erhalten. Aus dem Beton treten bereits die eisernen Armierungen zutage.
Bauliche Zeugnisse der Urbanisierung
Beton hält nicht ewig, anders als die Erbauer dachten. Das gilt ebenso für die weiträumigen Plattenbausiedlungen, die an den Rändern Sofias entstanden, bauliche Zeugnisse der Urbanisierung, die mit der forcierten Umwandlung Bulgariens vom Agrar- zum Industriestaat unter der Herrschaft der BKP einherging, vor allem unter dem 35-jährigen Regime des als gütiger Landesvater inszenierten Todor Schiwkow.
In der Hauptstadt lebt mittlerweile ein Sechstel der bulgarischen Bevölkerung von sechseinhalb Millionen. Nach der Wende von 1990/91 sind die Wohnungen zumeist in den Besitz ihrer Bewohner übergegangen, heute haben viele die Balkone mit Fenstern geschlossen und in einen zusätzlichen Wohnraum verwandelt. Das buntscheckige Erscheinungsbild der von der Zeit angenagten Acht- bis Zwölfgeschosser überdeckt die prächtigen Bäume an breiten Straßenzügen.
In Sofia spiegelt sich die Geschichte der kommunistischen Epoche in ihren Bauten. Sie sind durchweg gut erhalten, werden um- und weitergenutzt. Verwaltungen haben Raumbedarf, gleich unter welchem Regime. Das Herzstück der stalinistischen Bau-Ära ist der 1947 nach den Moskauer Grundsätzen des Städtebaus geplante Largo-Platz in der Stadtmitte. Zwei gleichdimensionierte, aber nicht gleichgestaltete Blöcke stehen einander gegenüber, jeweils einen gewaltigen Innenhof umschließend, doch stadtfreundlich von Passanten zu durchqueren.
Das eine Gebäude nutzt ein Ministerium, im anderen residieren die Präsidialkanzlei mit bunt gewandeter Ehrengarde vor der Tür und nebendran ein Luxushotel. Das war von Anfang an so vorgesehen, schließlich gibt es Staatsgäste, und Funktionäre aus der Provinz sollten ebenfalls erhebend beherbergt werden.
Verschwunden ist das Mausoleum für Dimitroff
Die überbreite Straße zwischen den beiden Blöcken läuft auf die mit sechs monumentalen Säulen geschmückte einstige Parteizentrale zu. Deren Turm zierte einst ein rubinroter Stern, der wurde 1990 mit Hilfe eines Hubschraubers abmontiert; seither weht eine optisch zu klein geratene Landesfahne vom Turmmast.
Gänzlich verschwunden ist in Sofia nur ein bedeutendes Gebäude der Frühzeit des Regimes: das Mausoleum für den KP-Chef Georgi Dimitroff. Dimitroff, der in vielen sozialistischen Staaten verehrte Protagonist des europäischen Kommunismus, der 1933 im Reichstagsbrandprozess von den Nazis erfolglos angeklagt wurde, während des Zweiten Weltkriegs als Generalsekretär der Komintern in Moskau operierte und einer der führenden Köpfe der Machtergreifung der KP in Bulgarien wurde, nachdem die Rote Armee das Land im September 1944 besetzt hatte.
Binnen Tagen herrschte der „Rote Terror“. Tausende Angehörige der vormaligen Eliten von Politik, Wissenschaft und Geistlichkeit wurden sofort hingerichtet, tausende mehr nach alsbald veranstalteten Schauprozessen, und geschätzte 28.000 Menschen verschwanden spurlos.
Dimitroff wurde Ministerpräsident in Bulgarien. Er verstarb aber bereits 1949. Für den einbalsamierten Leichnam wurde ein Mausoleum nach dem Moskauer Vorbild des Lenin-Mausoleums errichtet, im Stadtgarten am Nationaltheater in Sofia. Der neoklassische, äußerlich schmucklose Pfeilerbau wurde 1989 noch vor dem offiziellen Abdanken der kommunistischen Regierung geschlossen und nach langjährigem Leerstand abgerissen, Dimitroffs konservierten Leichnam hatte man eingeäschert.
Wo einst das Mausoleum stand, ist heute ein Mahnmal für den kommunistischen Terror. Das Ensemble am Largo-Platz blieb unvollendet, belanglose Bürobauten bilden heute den Abschluss, und die dort aufragende Lenin-Statue wurde durch eine Personifikation der Freiheit ersetzt.
Vokabular des Klassizismus
Der Hang zu Säulen und Kapitellen, zu breiten Treppen und schweren Gesimsen einer Architektur der Stalinzeit, ist keine Erfindung dieser Periode. In Bulgarien wie in so vielen Staaten der Zwischenkriegszeit knüpft diese Vorliebe an die vorangehende Epoche an. (Neo-)Klassizismus ist die architektonische Währung der dreißiger Jahre.
Das „Haus der Justiz“ mit seiner überbreiten Säulenfront stammt aus dieser Zeit während des unabhängigen Königreichs Bulgarien, es wurde 1940 fertiggestellt. Zu Beginn der kommunistischen Herrschaft im September 1944 war es zeitgenössisch. Die Staatsbauten in Sofia variieren das Vokabular des Klassizismus, den kein Regime für sich allein beanspruchen kann.
Parallel zur sowjetischen Hinwendung zum industrialisierten Bauen entstanden auch vornehmlich in Sofia mehrere Großsiedlungen für bis zu 100.000 Bewohner. Der Hauptbahnhof, der auf zwei Wettbewerbe 1962 und 1963 mit Beteiligung von DDR-Architekten zurückgeht, aber erst ein Jahrzehnt später fertiggestellt war, stellt seine Stahlbetonkonstruktion ostensiv heraus.
Synthese von Architektur und künstlerischer Gestaltung
In den siebziger Jahren hatte sich die bulgarische Architektur vom klassizistischen Kanon gänzlich befreit, ohne doch auf Monumentalität zu verzichten; breite Treppenaufgänge zu symmetrisch gestalteten Bauten blieben bevorzugt. Ein schönes Beispiel ist der 1981 eröffnete Nationale Kulturpalast in Sofias Süden.
Vor dem annähernd viereckigen Bauwerk tut sich ein weiträumiges Untergeschoss auf, das die Besucher aus der angrenzenden Metrostation aufnimmt und eine reiche Gestaltung an Wasserspielen und Wandreliefs zeigt, Beispiel für die Synthese von Architektur und künstlerischer Gestaltung, die für die Spätzeit des Sozialismus kennzeichnend ist. Die Foyers mit ihren Kaskaden an Deckenlampen rufen den DDR-Palast der Republik in Erinnerung; gleiche Zeit, gleiche Haltung – und tadellos erhalten und genutzt.
Es sind unscheinbare Bauten oder vielmehr deren Reste, die ungeschönt von der kommunistischen Herrschaft sprechen. Im ehemaligen Straflager Belene, gelegen auf einer schwer zugänglichen Donauinsel, stehen nur noch die steinernen Bauten der Verwaltung; die elf hölzernen Baracken für jeweils drei- bis vierhundert Häftlinge sind verschwunden.
Das Eingangstor zum Lager ist wiederaufgerichtet. Mindestens 15.000 Häftlinge gingen hindurch, manche sprechen von bis zu 23.000; die meisten kamen ohne Gerichtsurteil. Wer nach Jahren der Tortur entlassen wurde, blieb für sein Leben gezeichnet. Den Prachtbau und das Lager muss zusammendenken, wer die sozialistischen Jahrzehnte Bulgariens in einem architektonischen Bild fassen will.
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