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Allein unter Geschworenen

Sein letzter Film? Mit 94 Jahren fügt Clint Eastwood mit „Juror #2“ seinem Alterswerk eine weitere bedenkenswerte Analyse US-amerikanischer Diskurse hinzu

Der zweite vorn links: Justin Kemp (Nicholas Hoult) ist „Juror #2“ Foto: Warner Bros. Entertainment

Von Thomas Klein

Nach seinen Rollen in Sergio Leones Dollar-Trilogie wurde er mit einem überaus umstrittenen Film endgültig zum Hollywoodstar. Als „Dirty Harry“ spielte Clint Eastwood 1971 einen zynischen Inspektor des San Francisco Police Departments, der mit unkonventionellen, ja, ungesetzlichen Methoden einen Serienmörder jagt. Sein Spruch „Make my day“ („Verschönere mir den Tag“) wurde berühmt und stand für seine zwiespältige 45-er-Magnum-Coolness. „Dirty Harry“ war beim Publikum enorm erfolgreich und prägte den Action-Film der 1970er Jahre.

Es scheint, als wolle Eastwood genau diesem Film, der ihn zum Superstar machte, in seinem neuesten Werk eine andere Perspektive zur Seite stellen. Hierzu wechselt er von der Exekutive zur Judikative, von der Polizei zur Gerichtsbarkeit. „Juror #2“ handelt von einem jungen Mann, der bei einem Mordprozess als Geschworener berufen wird. Kaum sitzt Justin Kemp (Nicholas Hoult) auf der Geschworenenbank und hört, worum es bei dem Fall geht, wird ihm bewusst, dass er selber der Täter ist und nicht James Sythe (Gabriel Basso), der angeklagt ist, seine Freundin getötet zu haben.

Freilich tötete Justin, wie in Rückblenden zu sehen ist, die Frau nicht vorsätzlich. Bei strömendem Regen fuhr er sie mit seinem Auto an, weil er einen kurzen Moment unkonzentriert war. Durch den Zusammenstoß stürzte das Opfer von einer Brücke und starb am Unfallort. Der panische Justin vermutete, ein Tier angefahren zu haben, und fuhr weiter. Damit beging er Fahrerflucht. Das hätte, würde er sich stellen, keine wirklich schlimmen Konsequenzen. Wäre da nicht ein dunkler Fleck in seiner Vergangenheit: Er hatte schon einmal, unter Alkoholeinfluss, einen Unfall verursacht.

Das alles könnte ihm angelastet werden und das Strafmaß in die Höhe treiben. Geschickt macht der Film die Schuld, die Justin schon auf sich geladen hat und die er bei einer Verurteilung von James Sythe weiter auf sich laden würde, während der Diskussionen der Geschworenen sicht- und hörbar. Nicholas Hoult (aktuell auch in „Nosferatu“ als Hauptfigur Thomas Hutter zu sehen) ist perfekt in dieser Rolle, weil er wirkt, als könne er kein Wässerchen trüben, aber auf durchaus gerissene Art und Weise von seiner eigenen Schuld ablenkt.

Die von Toni Collette als überaus ehrgeizige und eiskalte Staatsanwältin verkörperte Faith Killebrew ist zunächst ohne Einschränkung von der Schuld des Angeklagten überzeugt. Und in der Tat: Alles scheint gegen ihn zu sprechen. Wiederholt ist die Szene in Rückblenden zu sehen, die der vermeintlichen Tat vorausging, als James Sythe mit seiner Freundin in der Bar und dann draußen einen heftigen Streit hatte. Doch gibt es nicht noch eine andere Erklärung dafür, dass die Frau kurz danach ums Leben kam? Auch die Geschworenen werden durch Justins Hinterfragung offenbarer Gewissheiten offen für neue Thesen. Vor allem in diesen Szenen erinnert der Film an Sidney Lumets Klassiker „Die zwölf Geschworenen“.

Faith hat natürlich einen sprechenden Namen und es wird sich zeigen, woran sie wirklich glaubt. Glaubt sie an die Aufgabe des Gerichts, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit herauszufinden und entsprechend zu urteilen? Oder glaubt sie unumstößlich an die Schuld des Angeklagten, weil den Prozess zu gewinnen ihrer Karriere als Oberstaatsanwältin dienlich wäre?

Für „Juror #2“ wechselt Clint Eastwood von der Exekutive zur Judikative, von der Polizei zur Gerichtsbarkeit

Clint Eastwood ist ein packender Gerichtsthriller gelungen, der die interessante Frage stellt, was passieren würde, wenn ein Geschworener selber Schuld in dem Fall trägt, der vor seinen Augen verhandelt wird. Wiederholt ist Justitia mit der Waage in unterschiedlichen Kompositionen im Bild zu sehen. Wird damit an das gemahnt, was vor Gericht im Zentrum steht, nämlich, dass das Recht für alle gleichermaßen gilt? Ob jemand unsympathisch wirkt oder eine dunkle Vergangenheit hat, ist nicht ausschlaggebend dabei, über seine Schuld oder Unschuld zu urteilen. Entscheidend sind Fakten und Beweise, auf deren Grundlage das Urteil der Geschworenen und schließlich des hohen Gerichts ausfallen muss.

Der einzige Polizist, der im Film vorkommt, bricht das Gesetz verglichen mit Harry Callahan in „Dirty Harry“ auf harmlose Weise, und ganz selbstverständlich wird er dafür belangt und akzeptiert diese Entscheidung auch umstandslos. Da ist eine völlig andere Männlichkeit am Werk als jene, die Eastwood zum Star machte. Und die Gerichtsbarkeit des Films ist weiblich. Die Richterin macht einen dermaßen unbestechlichen Eindruck, dass selbst Donald Trump vor ihr kapitulieren würde.

„Juror #2“. Regie: Clint Eastwood. Mit Nicholas Hoult, Toni Collette u. a. USA 2024, 114 Min.

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