Als Steinbrück Pferde kotzen sah

Spuckende Pferde, Wurst essende Senioren, Tschechen und Zechen: Unterwegs in der letzten Wahlkampfwoche mit Ministerpräsident Peer Steinbrück und CDU-Kandidat Jürgen Rüttgers

VON MARTIN TEIGELER

Die Schwarzen haben es schwer bei der CDU. Zwei junge Männer – Oberstufenschüler mit langen Haaren, schwarzen Lederkutten und dunklen Augenringen – stehen vor der Vestlandhalle in Recklinghausen. Drinnen findet eine Wahlkampfveranstaltung der CDU statt. Als die jugendlichen „Gothics“ die Halle betreten wollen, muss einer der Ordner vor dem Saal schmunzeln. „Kuck ma‘ die beiden da“, flüstert er einem Kollegen zu. „Erst rein lassen, und wenn sie einen Mucks sagen, auf die Schnauze hauen“, scherzt der dicke Sicherheitswart.

Von dissidenten Jugendlichen ist drinnen in der Vestlandhalle nichts zu sehen. Rund 1.000 CDU-Anhänger sitzen auf Festzeltbänken. Es riecht nach Turnhallenmief und Parfüm. Schwitzende Kellner servieren den Gästen heiß dampfende Bockwürste. Es sind viele Rentner im Saal. Es ist ein Nachmittag im Ruhrgebiet, vier Tage vor der Wahl. Draußen vor der Halle stehen Busse, mit denen die Senioren herangekarrt wurden. Die CDU nennt das „100 Stunden Countdown“. Noch 100 Stunden bis zur Landtagswahl.

Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers sitzt gleich vorn am ersten Tisch. Neben ihm steht Schleswig-Holsteins neuer CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen. Der Norddeutsche ist ein großer, kräftiger Mann. Er lacht mehrmals laut auf. Carstensen klopft einigen Parteifreunden zur Begrüßung bedenklich brachial auf die Schulter. Rüttgers sieht neben Carstensen müde und dünn aus. Am selben Abend wird Harald Schmidt in seiner ARD-Sendung Witze über Jürgen Rüttgers machen. Er wird Witze machen über die Art und Weise, wie Rüttgers redet. Schmidt wird „Tschechen“ und „Zechen“ sagen. Er wird „Chächen“ sagen, weil der Rheinländer Jürgen Rüttgers die beiden Worte ähnlich ausspricht.

Auf der Bühne in Recklinghausen beginnt das Showprogramm. Ein stampfender 80er-Jahre-Popsound dröhnt durch die Halle. Die alten Menschen klatschen. Rebekka Feyen singt das CDU-Wahlkampflied:Seit Jahren schon geht‘s bergabund schuld dran ist Rot-GrünDass Rüttgers es viel besser kannbeweist er jeden TagJa, NRW kommt bald wiederunser Land wird wieder stark.Dann redet Carstensen. „Lasst Euch nicht kirre machen“, ruft er den Christdemokraten zu. „Kirre“ sind die CDUler wegen der neuesten Umfragen. Der große Vorsprung von Schwarz-Gelb ist geschmolzen. „Wenn wir es diesmal nicht schaffen, dann weiß ich auch nicht mehr“, sagt eine junge Wahlkämpferin und lacht. Die CDU in NRW ist Landtagswahlniederlagen gewöhnt. 1970, 1975, 1980, 1985, 1990, 1995 und 2000. Sieben Wahlniederlagen in Folge haben die Konservativen an Rhein und Ruhr einstecken müssen. Eine achte würden sie wohl nicht verkraften. „Die CDU-Basis in NRW ist hochmotiviert. Die werden alle zur Wahl gehen“, sagen Meinungsforscher. Aber ob das reicht? „Die SPD hat Mobilisierungsreserven“, sagen Politikwissenschaftlern und Demoskopen. Das Reservoir der Christdemokraten sei ausgeschöpft. Davor hat die CDU Angst. Oder davor, dass wieder etwas passiert wie bei der Landtagswahl 1985. Damals hielt ein schweres Unwetter in einigen Regionen die CDU-Stammwählerschaft vom Urnengang ab. Als sich Gewitter und Dauerregen verzogen hatten, erreichte die SPD 52 Prozent.

Von 52 Prozent sind die Sozialdemokraten 20 Jahre später weit entfernt. Iserlohn. Parkhalle. Drei Tage vor der Wahl. SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück hat in der Stadt zwischen Ruhrgebiet und Sauerland Station gemacht auf seiner „Klarer Kurs“-Wahlkampftournee. Der große Saal ist mit einer Trennwand verkleinert worden. So hocken 300 SPD-Anhänger eng zusammen in der zugigen Halle. Steinbrück sitzt vorn auf der Bühne in einem roten Sessel. „Ich verspreche nichts“, sagt der Ministerpräsident. Keine Arbeitsplätze, keine sozialen Wohltaten, nur bei der Bildung wolle das Land mehr Geld ausgeben. Er bekommt viel Applaus.

Obwohl die SPD in den Umfragen weiter hinten liegt, sitzt Steinbrück entspannt vor den Iserlohner Parteifreunden. Er macht Späße über die rote Krawatte des Moderators, er plaudert darüber, dass Politiker damit leben müssen, abgewählt zu werden. Den Tiefpunkt seines Wahlkampfs hat Peer Steinbrück bereits hinter sich. Den erlebte er Anfang Mai. Der Ministerpräsident besucht ein ökologisches Jugendzentrum in Bottrop. „Arche Noah“ heißt das Projekt für Kinder und Jugendliche. Letztes Jahr hatte der Regierungschef 5.000 Euro gestiftet, um die Anschaffung eines Pferdes für therapeutisches Reiten zu ermöglichen. Zu Ehren des Spenders wurde das Tier auf den Namen „Michel Peer“ getauft. Jetzt besucht Steinbrück seinen Namensvetter. Doch der vierjährige Hafflinger Wallach wird nervös, als er den Ministerpräsident sieht. Beruhigend streichelt Steinbrück das Pferd. Aber „Michel Peer“ hat keinen Lust auf Wahlkampf. „Michel Peer“ scheut und bockt. Das Pferd spuckt und speit. Die Umstehenden gucken verdattert auf den Ministerpräsidenten: Steinbrücks Anzug besudelt von Pferdekotze? Anwesende Fotografen machen keine Fotos von dem peinlichen Anblick.

In Iserlohn bekommen die 300 SPD-Fans jetzt einen Wahlkampffilm vorgeführt. Der Saal wird abgedunkelt. Von einer Leinwand flimmern Bilder aus 39 Jahren SPD-Regierungszeit. Man sieht Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet, Fußballspieler auf Schalke, Johannes Rau bei einer Wahlkampfveranstaltung in den 80er Jahren. Es ist jetzt ganz still im Saal. Eine Mittvierzigerin mit blondierten Haaren trinkt Weißwein. Sie sagt leise zu einem Genossen: „Wenn das Sonntag klappt, besaufen wir uns. Und wenn nicht, dann auch.“