: Für die Perspektiven Kubas ist das ein Desaster
Der Schriftsteller Leonardo Padura hat sich zum Chronisten einer Revolution in permanenter Krise entwickelt. In seinem aktuellen Roman „Anständige Leute“ setzt er sich mit der Zensur in Kuba auseinander. Sie ist weiterhin sehr präsent. Das Buch kann auf der Insel nur als PDF-Kopie kursieren
Von Knut Henkel
Reynaldo Quevedo hat Leonardo Padura seinen Zensor genannt. Um dessen Ermordung dreht sich fast alles in seinem aktuellen Roman „Anständige Leute“ und für fast jede und jeden Kubaner/in, die oder der in den 1950er- und 1960er-Jahren auf der Insel groß wurde, trägt die literarische Figur Quevedos eindeutige Züge. Die von Luís Pavón. Der ist als „Zar der Zensur“ in die kubanische Geschichte eingegangen, leitete zwischen 1971 und 1976 den Rat der kubanischen Kultur und definierte de facto, was revolutionäre Kunst war und was nicht.
Etliche Intellektuelle und Künstler beiderlei Geschlechts belegten Pavón und sein Team mit Auftritts- und Publikationsverboten, schickten sie an entwürdigende Arbeitsplätze oder in die berüchtigten UMAP, die Umerziehungslager der Militärs. Einer der einflussreichsten Poeten der 1970er-Jahre der Insel, Anton Arrufat, verschwand im Keller einer Bibliothek. Ein anderer, Herberto Padilla, dessen Fall damals Schlagzeilen machte, durfte 1980 schließlich in die USA ausreisen – nach Jahren der Diskriminierung als vermeintlicher Konterrevolutionär. Doch es gibt andere, weniger bekannte Namen, die gedemütigt in der künstlerischen Bedeutungslosigkeit landeten, und einige, die den Freitod wählten.
An sie hat Padura in „Anständige Leute“ erinnern wollen. Gut kann sich der 69-jährige Schriftsteller noch an den Januar 2007 erinnern, als Pavón im Fernsehen ein Interview gab und an der Seite von Raúl Castro, dem damaligen Staatschef, zu sehen war. „Das hatte eine Flut von Protest-Mails von Künstlern und Intellektuellen zur Folge, die gegen Pavón und die potenzielle Rückkehr der Zensur protestierten“, so Padura. Damals war Fidel Castro krankheitsbedingt als oberster Comandante der Revolución abgetreten, hatte die politischen und ökonomischen Geschicke der Insel an einen kleinen Kreis von Verantwortlichen um seinen Bruder Raúl Castro übergeben. Die Hoffnung auf Veränderung und ökonomische Öffnung ging damals zwischen Santiago de Cuba und Havanna um. Durchaus zu Recht, denn erste Erleichterungen für kleine Privatunternehmen, aber auch mehr Flexibilität bei der Ein- wie Ausreise sorgten für ein Klima des Aufbruchs. Das hat den veritablen Shitstorm gegen Pavón und die omnipräsente Zensur begünstigt.
Wie ein bleischweres Tuch lastete die Erfahrung mit der staatlich verordneten Ausgrenzung auf der kubanischen Gesellschaft, es war ein Tabu, darüber öffentlich zu sprechen oder gar zu schreiben. 2007 begann sich das zu ändern und für Padura ist die Flut der Protest-Mails ein Beleg für einen beachtlichen Rest an Solidarität in der Kulturszene der Insel.
Die ist weltberühmt für ihre Vielfalt, für das mit viel schwarzem Humor garnierte Kommentieren der Widersprüche innerhalb der Gesellschaft, für die Codes und Doppeldeutigkeiten, die für Außenstehende nicht immer zu verstehen sind. Aus gutem Grund, denn Kultur wie Intellektuelle standen auf der Insel schon früh unter Beobachtung. Die Grundlage dafür liefert die Rede Fidel Castros vom Juni 1961 an die Intellektuellen: „Innerhalb der Revolution alles, gegen die Revolution nichts“ lautete das Credo, welches die Ikone der kubanischen Revolution damals ausgab. Die Intellektuellen bekamen de facto ein Spielfeld zugewiesen, das sie nicht verlassen sollten, erklärt Padura. Die Cancha, der enge, abgesteckte Rahmen, in dem die Kultur, die Debatte und intellektuelle Auseinandersetzung stattfinden sollte, wurde ab Beginn der 1970er-Jahre, als die kubanische Revolution mehr und mehr unter sowjetischem Einfluss stand, von Figuren wie Quevedo alias Pavón überwacht. Sie definierten de facto den kulturellen Radius.
Padura hat seine literarische Figur, Reynaldo Quevedo, mit etlichen Charakterzügen der selbsternannten Gralshüter der kubanischen Revolution ausgestattet. Die stammten zwar oft aus dem Kulturbetrieb, waren in aller Regel aber kleine Lichter, die ihre Opfer oft demütigten, manchmal sadistisch agierten, sich oft Kunstwerke unter den Nagel rissen und sich vom Apparat, der ihre Arbeit nie öffentlich infrage gestellt hat, prächtige Privatwohnungen zuschustern ließen – so wie Quevedo.
Der wird Mitte März 2016, wenige Tage vor der Visite Barack Obamas in Havanna, tot in seinem Apartment aufgefunden – mit abgesäbeltem Penis und drei abgekniffenen Fingern. Für die Aufklärung des Mordes zieht die überlastete Polizei Havannas den ehemaligen Ermittler Mario Conde, heran, der sich als verhinderter Schriftsteller und abgehalfterter Bücherhändler durch ein Havanna im Taumel des amerikanisch-kubanischen Tauwetters wurschtelt. Conde, Paduras belesener und melancholischer Polizist und Alter Ego, macht genau das sichtbar, was Padura und mit ihm viele, viele Kubaner:innen an der inquisitorischen Zensur so abstößt.
Leonardo Padura: „Anständige Leute“. Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. Unions-Verlag, Zürich 2024, 400 Seiten, 26 Euro
In deren Fokus ist Padura mindestens zweimal auch selbst geraten. Als junger Journalist wurde er wegen „ideologischer Probleme“ vom Caimán Barbudo, der offiziellen Kulturzeitschrift der Revolución, zur Juventud Rebelde, dem Blatt der kommunistischen Jugend, strafversetzt. Doch dort konnte Padura abgelegene und unbequeme Themen aufgreifen und zu Reportagen verarbeiten, die ihr Publikum fanden. Darunter auch eine über Alberto Yarini, den Zuhälter und angehenden Politiker, der 1910 im Duell mit einem Zuhälter-Rivalen starb und damals als potenzieller Präsidentschaftskandidat gegolten hat. Für derartige Fälle hat Padura bis heute ein Faible, und diesen zweiten Fall hat er in „Anständige Leute“ gleich mit verarbeitet.
Das Buch, das in Kuba unter Padura-Fans als PDF-Version kursiert, aber genauso wie die beiden letzten Kriminalromane nicht veröffentlicht wurde, ist zweifelsfrei eines der politischsten Paduras und ein Plädoyer gegen die Zensur auf der Insel.
Die ist auch weiterhin präsent, allerdings ohne derart exponierte Figuren wie Pavón. „Die Methoden und die Technologie haben sie verändert“, meint Padura lapidar. Doch der Apparat arbeitet weiter – wie Padura 2014 miterleben musste. Da wurde der Film „Regreso a Ítaca“, für den er das Drehbuch geschrieben hatte, kurz vor dem Beginn des Filmfestivals von Havanna aus dem Programm genommen.
Kein Einzelfall, und das gilt auch für den Umgang mit Alina Bárbara López und Jenny Pantoja. Die beiden Akademikerinnen aus Matanzas, rund 120 Kilometer von Havanna entfernt, sind Autorinnen von Essays und Artikeln über die kubanische Realität. Obendrein waren sie als Koordinatorinnen mitverantwortlich für das 2021 eingestellte kritische, linke Online-Portal La Joven Cuba (Das junge Cuba). Offene Analyse, deutliche Kritik hat die beiden in das Visier der politischen Polizei der Insel gebracht, die sie mehrfach vorgeladen und festgenommen haben. Das haben rund 200 Künstler und Intellektuelle von der Insel, darunter Padura und der bekannte Cineast Fernando Pérez, in einem offenen Brief im Juli kritisiert.
Padura zählt Zensur und Repression zu den Gründen, weshalb nach wie vor die Menschen in Scharen die Insel verlassen. „1,2 Millionen Menschen sind es laut den Angaben des Parlaments, die Kuba binnen drei Jahren verlassen haben. Darunter auch gute Freunde“, sagt Padura. Ein Schriftsteller verdient sein Geld nun in Miami als Koch, statt am nächsten Roman zu feilen. Für Padura wird das kulturelle Leben auf der Insel ärmer und nicht nur das. „Wir verlieren die Qualifizierten, die Kreativen, die Jungen – für die Perspektiven Kubas ist das ein Desaster“, sagt der Mann aus dem Arbeiterstadtteil Mantilla am Rande Havannas.
Die Arbeit an seinem neuen Roman hat er schon begonnen und dabei eine Gesellschaftsschicht ins Visier genommen, die am Ende der sozialen Pyramide der Insel angekommen ist – die Rentner der Revolución. Auch das könnte ein Buch werden, welches bei den Kulturoffiziellen auf wenig Gegenliebe stößen dürfte. Bei „Anständige Leute“ ist das mit Sicherheit der Fall.
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