: Kanadas Premier Trudeau hat kein Vertrauen mehr
Regierungschef Trudeau tritt zurück, die nächste Wahl dürften die Konservativen gewinnen. Den Expansionsträumen von US-Präsident Trump erteilen auch sie eine Absage
Von Bernd Pickert
Fast ein Jahrzehnt lang hat Justin Trudeau Kanada regiert – am Montag erklärte der heute 53-Jährige seinen Rücktritt, sowohl vom Amt des Premierministers als auch vom Vorsitz der Liberalen Partei. Er führe lediglich vorübergehend die Geschäfte weiter, bis die Partei in einem nationalen Prozess eine Nachfolge bestimmt habe.
Trudeaus Rücktritt überraschte jetzt niemanden mehr. Im November hatte die linke Partei NDP (New Democratic Party) Trudeaus Minderheitsregierung im Parlament die bis dahin gewährte Unterstützung versagt. Seither bekam er keine Gesetze mehr durch, auch keinen Haushalt.
Offenbar war mit dem Abgang seiner engsten Vertrauten, Vizepremier und Finanzministerin Chrystia Freeland, Mitte Dezember der Punkt erreicht, wo das Eis für den einst so beliebten Trudeau auch in der eigenen Partei zu dünn wurde. Seither hatten sich Dutzende liberale Parlamentarier*innen für seinen Rücktritt ausgesprochen – die konservative Opposition sowieso. In den Umfragen lagen die Konservativen Ende Dezember ganze 25 Prozentpunkte vor Trudeaus Liberalen.
Und vor gut zwei Wochen erklärte die linke NDP nunmehr, sie werde in einem bevorstehenden Misstrauensvotum gegen Trudeau stimmen, sobald das Parlament Ende Januar aus der Weihnachtspause zurückkehre. Damit schloss sich die NDP den Konservativen unter ihrem Parteichef Pierre Poilievre und dem Bloc Québécois unter Yves-François Blanchet an, die ebenfalls ein Misstrauensvotum gegen Trudeau angekündigt hatten.
In seiner Pressekonferenz am Montag, zu der er bei eisigen Minusgraden die Journalist*innen vor die Tür seines Amtssitzes in Ottawa gebeten hatte, erläuterte Trudeau, er habe mit Generalgouverneurin Mary Simon, der Vertreterin von König Charles III., eine Parlamentspause bis zum 24. März abgesprochen. Bis dahin soll auch seine Nachfolge bestimmt sein.
Die erste Sitzung würde dann zunächst, ähnlich wie in Großbritannien, mit einer von der Vertreterin der britischen Monarchie verlesenen Regierungsklärung des oder der neuen Premier beginnen – mit anschließender Abstimmung darüber. Geht die verloren oder gibt es im Anschluss ein erfolgreiches Misstrauensvotum, muss es Neuwahlen deutlich vor dem eigentlich gesetzten Oktobertermin geben. Auf X schrieb der Konservative Poilievre nach Trudeaus Erklärung, der Premier wolle tricksen „indem ein anderes Gesicht der Liberalen weiter die Kanadier abzockt. Der einzige Weg, zu reparieren, was die Liberalen zerstört haben, ist die Wahl Konservativer mit gesundem Menschenverstand.“
Poilievre hat in seiner Kritik an Trudeau durchaus auch populistische Töne angeschlagen, seit er 2022 die Führung der Konservativen übernahm. Er verspricht die „härteste Bekämpfung von Kriminalität in der Geschichte Kanadas“, bezeichnet Trudeaus Regierung als „radikal“, nennt mitunter Argentiniens Präsidenten Javier Milei als Vorbild für das Zusammenkürzen der Bürokratie, will die unter Trudeau eingeführte CO2-Steuer abschaffen – immerhin Kanadas zentrales Instrument zur Reduzierung klimafeindlicher Emissionen – und die Regulierungen von Öl- und Gasförderung lockern.
Von der brutalen Rhetorik von Donald Trumps MAGA-Politik im südlichen Nachbarland ist er dennoch weit entfernt: Insbesondere eine rassistische Dämonisierung von Migrant*innen ist von ihm nicht zu hören – vielmehr versichert er, die Konservative Partei sei für Migration.
Trump seinerseits, dessen Ankündigung von Zolltarifen gegen kanadische Einfuhren in Höhe von 25 Prozent in Kanadas Politik und Wirtschaft durchaus veritable Panik ausgelöst hat, reagierte auf den Trudeaus Rückzug, indem er auf seinem eigenen Netzwerk Truth Social seine Idee wiederholte, Kanada solle doch am besten zum 51. Bundesstaat der USA werden. Dann gebe es weder Handelsdefizite noch Zölle und das sei doch für alle besser. Schon nach einem Gespräch, das Trump im November in Florida mit Trudeau über die Zölle geführt hatte, hatte er Trudeau als „Gouverneur von Kanada“ verhöhnt.
Die Idee allerdings kommt auch bei Konservativen nicht gut an: Auch Poilievre sagte, Trump scherze offenbar, das werde niemals passieren. Er allerdings könne sich vorstellen, mit Trump großartige Deals auszuhandeln.
In den Reihen der Liberalen Partei geht es jetzt um die Nachfolge Trudeaus. Allen voran gehandelt wird die im Dezember zurückgetretene Chrystia Freeland, aber auch Außenministerin Mélanie Joly, der neue Finanzminister Dominic LeBlanc oder Mark Carney, der Ex-Chef der Bank of Canada. Wie genau das Wahlverfahren läuft, soll noch in dieser Woche in Parteigremien besprochen werden. Es dürfte das Feld der Bewerber*innen durchaus beschäftigen, wie attraktiv es ist, für eine Wahl anzutreten, die kaum zu gewinnen ist.
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