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Blinken in AnkaraDie kurdische Frage

Mit seinem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan will der US-Außenminister über das weitere Vorgehen in Syrien sprechen. Thema sind die syrischen Kurden.

Gelandet: US-Außenminister Antony Blinken (r.) in Ankara, Türkei

Istanbul taz | Am heutigen Freitag trifft US-Außenminister Antony Blinken in Ankara ein, um mit seinem türkischen Kollegen Hakan Fidan die weitere Vorgehensweise in Syrien zu besprechen. Das ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert.

Bislang hat die Türkei in den letzten Jahren über die Situation in Syrien mit dem Iran und Russland im sogenannten „Astana-Format“ gesprochen, jetzt sind wieder die USA am Zug, indirekt auch Israel und danach auch die Europäische Union. EU-Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen hat sich bereits für Anfang kommender Woche in Ankara angekündigt.

Besonders heikel bei dem Treffen zwischen Blinken und Fidan wird das Thema syrische Kurden und die Ansprüche der Türkei auf eine Pufferzone entlang der Grenze zum von den Kurden kontrollierten Teil in Nordostsyrien. Präsident Recep Tayyip Erdogan, der schon jetzt als einer der Gewinner im neuen Machtspiel in Syrien gilt, hat bereits die letzten zwei Wochen, als alle Welt auf den Vormarsch der HTS nach Damaskus schaute, die mit der Türkei verbündete Miliz „Syrische Nationale Armee“ (SNA) massiv die letzten kurdisch kontrollierten Gebiete in und um Aleppo und den größten kurdischen Brückenkopf westlich des Euphrats, Manbidsch angreifen lassen.

80.000 kurdische Flüchtlinge

Nach der Flucht der kurdischen YPG-Miliz und der meisten kurdischen Zivilisten aus Aleppo – die Kurden sprechen von 80.000 Flüchtlingen die nun in das von ihnen kontrollierte Gebiet östlich des Euphrats drängen – konzentrierten sich die Kämpfe zuletzt auf Manbidsch, eine 70.000 Einwohner Stadt, die die Türkei schon seit Jahren zu erobern versucht hat. Am Dienstag dieser Woche gab die YPG offiziell bekannt, die Stadt sei von der Syrischen Nationalen Armee erobert worden und sie werde sich auf das Gebiet östlich des Euphrats zurückziehen.

Nach kurdischen Angaben versuchte die SNA mit türkischer Luftunterstützung sofort nachzusetzen und als nächstes die kurdische Stadt Kobane ins Visier zu nehmen. In diesem Moment griff die US-Armee, die nach wie vor in den kurdisch kontrollierten Gebieten Syrien mit rund 1.000 Mann präsent ist, ein und vermittelte schließlich einen Waffenstillstand zwischen der kurdischen YPG-Miliz und der von der Türkei unterstützten SNA.

Hintergrund der Kämpfe ist, dass auf der einen Seite die Türkei die kurdische YPG-Miliz in Syrien für einen unmittelbaren Ableger der türkisch-kurdischen Terrororganisation PKK hält und andererseits die US-Armee just mit dieser YPG-Miliz seit Jahren gegen den Islamischen Staat in Syrien kämpft.

Erdogan plant Pufferzone im Grenzgebiet

Immer wieder hatte Erdogan in Washington darüber geklagt, dass die USA mit einem PKK-Ableger zusammen arbeiten würden, obwohl doch die PKK auch in Washington als Terrororganisation gelistet ist. Jetzt sollen die Karten in Syrien neu gemischt werden und Erdogan will die Chance, nun in seinem Sinne Fakten zu schaffen, nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Da die politische und militärische Organisation der syrischen Kurden von Ankara als feindlich eingestuft wird, im Gegensatz zu der autonomen kurdischen Region im Nordirak, will Erdogan entlang der gesamten syrisch-türkischen Grenze, die von den Kurden kontrolliert wird, ähnlich wie Israel im Libanon, eine 30 Kilometer breite Pufferzone einrichten, in der sich keine YPG-Kämpfer aufhalten dürfen.

Kobane als Symbol kurdisch-amerikanischer Zusammenarbeit

Im Jahr 2019 hatte die türkische Armee durch einen begrenzten Einmarsch bereits einen Teil dieser Pufferzone errichtet. Nachdem die Kurden aus dem Gebiet westlich des Euphrats vertrieben wurden, liegt zwischen der bereits bestehenden Pufferzone östlich des Euphrats und dem jetzt türkisch kontrollierten Manbidsch ein relativ schmaler Streifen mit der Stadt Kobane im Zentrum, der bis vor kurzem noch von russischen Truppen überwacht wurde. Aus türkischer Sicht müsste ein Vormarsch auf Kobane folgen.

Doch die Stadt ist nicht irgendeine Stadt im syrischen Kurdengebiet. Hier hatte 2015 der Islamische Staat versucht, die Kurden zu vertreiben und die Kontrolle zu übernehmen, und war damals von der YPG mit Luftunterstützung der USA geschlagen worden. Kobane ist also ein Symbol kurdisch-amerikanischer Zusammenarbeit.

Blinken wird deshalb versuchen, die türkische Regierung von einem weiteren Vormarsch abzuhalten und sie davon zu überzeugen, dass das Gebiet östlich des Euphrats nicht weiter angegriffen wird. Ob ihm das als Außenminister einer scheidenden Regierung noch gelingt, wird die Frage der kommenden Tage sein.

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1 Kommentar

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  • Man darf gespannt sein, wie lange die US-amerikanische Solidarität mit den syrischen Kurden noch hält. Mit dem Amtsantritt Trumps dürfte es damit ohnehin vorbei sein.



    Schlechte Karten also für die Kurden, die Weltgemeinschaft wird tatenlos zusehen, wenn Erdogan Rojava mit seinen Panzern überrollt. Einen Barzani mit seinen Foltergefängnissen im nordirakischen Arbil wird sich der Westen indes problemlos weiter „halten“ - gute Kurden, schlechte Kurden.