Immersives Theater: Über die Lüge als Instrument des Krieges
Beschädigt und betrogen sind am Ende alle. In „Trojan Horse“ spielt das Post Theater Szenarien der Manipulation in kriegerischen Zeiten durch.
Das Unglück der Sieger: Kassandra malt es in leuchtenden Farben aus. Sie erscheint vor den Augen der zwölf Menschen, die im Inneren des Trojanischen Pferdes sitzen, als Projektion hinter einer Schiebetür.
Ihr werdet euch schämen, für das Massaker, das ihr im Rausch an den Trojanern begangen haben werdet. Ihr werdet die Stadt Troja in Rauch aufgehen sehen, verkündet sie. Die Sklavinnen, die ihr als Beute nehmt, werden euch von euren Familien zuhause entzweien. An eurer Beute klebt Blut, sie ist bald nichts mehr wert. Ihr werdet zu Sklaven eurer Vergangenheit werden, zweifeln am Sinn eurer Heldentaten.
Kassandras (Ariella Hirschfeld) Auftritte gehören zu den stärksten Szenen in der Inszenierung „Trojan Horse“, die Hiroko Tanahashi und Max Schumacher vom Post Theater eingerichtet haben. Die Uraufführung fand im TD Berlin statt, danach wird das Stück im Waschhaus Potsdam und im Pathos Theater München laufen.
„Trojan Horse“: Wieder im TD Berlin, 3./4./5. Januar, jeweils um 15/16.30/18/19.30 und 21 Uhr. 10.–12. Januar im Waschhaus Potsdam
Die zwölf Menschen, die als die Krieger der Achäer angesprochen werden und die im Inneren des Trojanischen Pferdes darauf warten, in die Stadt Troja gezogen zu werden, das sind die Zuschauer*innen. Für anderthalb Stunden tauchen sie in verwirrende Erzählungen über den Krieg zwischen den Achäern (meist Griechen genannt), die die von Paris geraubte Helena aus Troja zurückholen wollen – und auf die Macht über die handelsstrategisch wichtige Stadt scharf sind – und den Trojanern ein.
Im Bauch des hölzernen Pferdes
Nun sitzt man im Bauch des hölzernen Pferdes, das vermeintlich ein Geschenk der Achäer an Troja ist, nach zehn Jahren unentschiedenem Krieg. Man hört die Reden, mit denen die Achäer ihre Krieger für die Mission, im Inneren des Pferdes versteckt in die Stadt gebracht zu werden und von dort aus zuzuschlagen, konditionieren wollen – aber da schlüpfen auch Sätze dazwischen, wie „unser Mut ist unsere Dummheit“ oder „nur das Nichtwissen macht stark“.
Man wird gewarnt, dass alle Stimmen Manipulation sein können, die ein trügerisches Szenario ausmalen. Man hört die Stimmen der Trojaner, die darüber diskutieren, ob man wirklich ein Stück der Stadtmauer einreißen soll, um dieses Geschenk des abziehenden Feindes bis zum Altar der Göttin Athene zu ziehen.
Was kann man glauben? Wie kann man Lüge von Wahrheit unterscheiden? Gibt es Instrumente, um Propaganda sicher zu erkennen und Manipulation zu entkommen? Das sind wichtige Fragen, jeden Tag, im Weltgeschehen, in den aktuellen Kriegen, in Wahlkämpfen.
Um sie ist das Stück „Trojan Horse“ gebaut. Aber nicht, um Antworten zu geben, sondern eher, um die Zuschauenden einmal durch die Erfahrung zu führen, wie raffiniert sich Täuschung und Betrug zuweilen geben. Mit wie vielen Tricks gearbeitet werden kann. Nicht zuletzt mit vielen Theatertricks. Und mit diesen, mit Bildverfremdungen und schwindelerregenden Spiegelungen kennt sich das Theater bestens aus.
Vorsicht, Doppelagenten
Meist sitzt man im Dunkeln und hört nur die Stimmen der Trojaner und Achäer. Auch unter ihnen sind einige schon markiert als Doppelagenten, Vorsicht. Oder als Prophetinnen wie Kassandra, der bekanntlich niemand glaubte, obwohl sie die Wahrheit sprach, also glauben wir ihr jetzt. Auch Helena wird zu einer Erzählerin, die am Ende eine neue Version der antiken Geschichte vom Trojanischen Pferd auftischt, die letztendlich die überlieferte Version seit Homer als propagandistisch gefärbte Lüge entlarven will.
Das immersive Theater behauptet gerne von sich, die Zuschauenden bei allen Sinnen zu packen und zu neuen Erkenntnissen zu führen. Aber nicht selten wird man dabei, wie hier beim Post Theater, einfach in die Rolle des Dummen geschubst, der dies und jenes mit sich machen lässt. Hier ist man also der mehrfach von allen Seiten getäuschte Krieger, der sich Mut, Tapferkeit, Verzicht usw. einreden ließ, um am Ende als nützlicher Idiot dazustehen.
Die Anlage des Stücks insgesamt lebt von überraschenden Effekten. Inhaltlich überzeugend sind Textpassagen vor allem dann, wenn sie allgemein über Kriege reflektieren. Kriege kann man nicht gewinnen, vielleicht strategische und militärische Ziele erreichen.
Die an ihnen teilgenommen haben aber sind alle Verlierer, auf beiden Seiten, beschädigt in ihrem Grundvertrauen in den Menschen, angefressen in ihrem Selbstbild, auf der richtigen Seite zu stehen, zerstört in ihren Möglichkeiten zu lieben. Das taucht in „Trojan Horse“ auf, das erzählen aber auch die antiken Dramen schon über diesen Krieg, die „Trojan Horse“ ein wenig dreist als alte Propaganda beiseite fegen will.
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