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Nach Assads SturzHelft Syrien jetzt!

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Historische Beispiele zeigen: Das befreite Land steht jetzt vor einer kritischen Phase. Und braucht dringend internationale Unterstützung.

Es gibt viel zu besprechen und wieder aufzubauen in Syrien Foto: Mosa'ab Elshamy/ap/dpa

D er Hilfsbedarf ist immens. Die neue Regierung aus ehemaligen Rebellen, die nach dem Sturz der Diktatur die Macht übernommen hat, steht vor dem Nichts: Der Staatsapparat existiert weitgehend nur auf dem Papier, es gibt kaum Geld; Nahrungsmittel und Treibstoffe sind rar, die produktive Wirtschaft liegt am Boden, Strom- und Wasserversorgung sind in großen Teilen zerstört, Millionen von Menschen leben als Vertriebene völlig mittellos irgendwo im Land.

Diese Lagebeschreibung lässt sich auf jedes Land anwenden, in dem eine Guerilla mit der Waffe ein brutales Terrorregime gestürzt hat. Von Vietnam über Kambodscha, Uganda, Afghanistan, Somalia, Äthiopien, Ruanda, die Demokratische Republik Kongo, die Zentralafrikanische Republik bis Libyen wiederholt sich diese Geschichte; dazu kommen so manche anderen Bürgerkriege.

Jetzt erlebt es auch Syrien. Die Weltgemeinschaft müsste eigentlich darauf vorbereitet sein. Aber international gibt es kein Konzept zum Umgang mit Syrien außer ein „mal sehen, was da kommt“ aus der Ferne und „ich schütze meine Interessen“ vor den Nachbarn. Das ist der Lage unangemessen.

Alle genannten Beispiele haben eines gemeinsam: Der Weg vom Umsturz zum Staatszerfall ist sehr kurz und wird in der Regel unabsichtlich beschritten. Meist war der Diktator der Einzige, der den Staat zusammenhielt, seine Gegner waren vielfältig und disparat. Nach dem Umsturz muss eine neue Grundlage für ein Gemeinwesen erst noch geschaffen werden. Überlässt man das dem spontanen Spiel der Kräfte, entscheiden allein die Waffen, und am Ende gibt es entweder eine neue Autokratie oder einen neuen Bürgerkrieg.

Mindestmaß an Staatlichkeit

Es braucht viel Weitsicht, damit das anders läuft – und viel Unterstützung für die Weitsichtigen. Bisher gehört Syriens neuer Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa eindeutig zu den Weitsichtigen: Eine Übergangsregierung aus seinen eigenen Reihen soll zunächst ein Mindestmaß an Staatlichkeit gewährleisten und schon kommende Woche einen nationalen Dialog einleiten. Darin sollen alle Kräfte gemeinsam eine neue Verfassungsordnung entwerfen, die dann mit freien Wahlen Wirklichkeit wird. Vier Jahre setzt er dafür an.

Nun gibt es Kritiker, denen vier Jahre viel zu viel sind. Aber vier Jahre sind eher wenig, wenn ein Land am Nullpunkt steht. Deutschland brauchte 1945 ebenfalls vier Jahre bis zur Staatsneugründung, und das ging auch nicht ohne Hilfe. Syriens neuen Machthabern Zeit zu geben und sie auf ihrem Weg zu unterstützen und zu stabilisieren – das muss jetzt die Maßgabe für die internationalen Partner sein.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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