piwik no script img

Roman über Gewalt gegen FrauenWenn Serienmörder zu gut aussehen

Aus der Sicht der Frauen: In „Bright Young Women“ schreibt Jessica Knoll wütend gegen die Mythisierung von Gewalttätern an.

„Sind wir die Nächsten? Junge Frauen marschieren beim „March for Our Lives“-Protest in San Francisco am 24. März 2018 Foto: Mychelle Vincent/imago

Kein einziges Mal wird in „Bright Young Women“ der Name des Serienmörders genannt, der in den USA der siebziger Jahre mindestens dreißig Frauen tötete und dessen Bluttaten Vorlage geworden sind für zahlreiche Filme, Serien und Romane.

Auch Jessica Knolls Roman gäbe es nicht ohne die Morde, die jener Mann beging. Aber die Autorin geht bewusst nicht in die Falle, die in der Faszination für das Böse liegt, und ändert radikal sowohl die Perspektive als auch die Blickrichtung der Erzählung: Nicht der Gewalttäter steht im Zentrum ihres Buches, auch nicht die Gewalt.

Es geht im Gegenteil darum, den jungen Frauen, die jener Mann verletzte und tötete, Stimme und Gesicht zu geben. Knoll stützt sich auf die reale Geschichte einer Überlebenden; wie viel fiktionalisiert ist, bleibt unklar und spielt auch keine Rolle.

Durch die Hauptfigur Pamela und ihre Erfahrungen wird exemplarisch nicht nur die Ausnahmesituation erlebbar, in die Menschen geraten, die Opfer oder Zeugen einer Gewalttat werden, sondern wird auch die sexistische US-amerikanische Gesellschaft der siebziger Jahre vorgeführt.

Das Buch

Jessica Knoll: „Bright Young Women“. Aus dem Englischen von Jasmin Humburg. Eichborn Verlag, Köln 2024, 464 Seiten, 18 Euro

Der Mörder läuft frei herum

Im Sommer 1978 bricht am College von Tallahassee in Florida ein unbekannter Mann in ein Wohnheim für Studentinnen ein und greift die jungen Frauen brutal an. Vier Personen werden schwer verletzt, zwei von ihnen sterben. Zufällig sieht die Ich-Erzählerin Pamela den Täter, als er das Haus verlässt, weiß zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, was geschehen ist. Später wird sie zu einer Hauptbelastungszeugin.

Vorerst aber läuft der Gewalttäter noch eine Weile frei herum und begeht einen weiteren Mord, bevor die Polizei ihn verhaften kann. Die Studentinnen leben derweil unter großer Anspannung; denn zwar wird ihnen von allen Seiten geraten, extrem vorsichtig zu sein, doch die offizielle Unter­stützung bleibt extrem überschaubar. Weder finanzielle Hilfe noch psychologische Betreuung wird ihnen angeboten, und auch die blutbesudelten Zimmer der Opfer müssen die traumatisierten jungen Frauen ganz allein putzen.

Diese hauptsächliche Handlung wird ergänzt durch eine Rahmenhandlung, die im Jahr 2021 spielt, und durch eine weitere Erzählung, die zurückführt ins Jahr 1974 und ebenfalls in Ich-Perspektive gehalten ist, was man formal aus mehreren Gründen fragwürdig finden kann. Generell ist Knoll keine große Stilistin; aber der Spannungsaufbau stimmt, und tatsächlich erweitert und verdichtet sich durch diese Ich-Erzählung eines früheren Opfers desselben Mörders das gesellschaftliche Gesamtbild auf überzeugende Weise.

Für US-amerikanische LeserInnen (oder auch Menschen, die gern Serienmörder-Serien gucken), die mit den realen Details der historischen Fälle besser vertraut sein dürften, wird die Lektüre vermutlich den einen oder anderen Wiedererkennungseffekt bieten – oder die eine oder andere überraschende neue Erkenntnis.

Nicht überdurchschnittlich intelligent

Jedenfalls schreibt Jessica Knoll geradezu wütend gegen eine Mythisierung des Serientäters an, dessen gutes Aussehen und überdurchschnittliche Intelligenz in den Medien stets so her­vorgehoben worden seien. Dabei seien seine ­akademischen Leistungen absolut unterdurchschnittlich gewesen, und auch sonst lasse sich keine besondere Intelligenz aus seinem Verhalten herauslesen.

Dass dieser Punkt im Roman immer wieder betont wird, wirkt fast ein bisschen komisch, weist aber deutlich darauf hin, dass es in der Tat eine Mythisierung gibt oder gegeben haben muss. Man will sich nur sehr ungern vorstellen, dass der Richter, der ihn verurteilte, jenen frauenhassenden Serienmörder „Kumpel“ genannt hat, aber vielleicht ist ja sogar das wirklich ­passiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!