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Bewältigungsstrategien Modus Ost

Eine Gruppenausstellung in der Galerie Adlershof untersucht die Auswirkungen der Wende auf ostdeutsch sozialisierte Künst­le­r*in­nen

Von Tom Mustroph

In einem der noch immer frisch renoviert wirkenden Räume der Galerie Adlershof sind orangefarbene Sitzkissen verteilt. Zwischen ihnen liegen Kopien von eng beschriebenen Zetteln. Sie enthalten die „Ansätze zur Basisdemokratie“, mit der die Bürgerbewegung Neues Forum im Oktober 1989 für eine Umgestaltung der DDR warb. Sätze wie „Werde Dir über Deine eigenen Interessen klar“ oder „Versuche herauszubekommen, wo Gefühle und wo rationale Überlegungen Deine Haltungen bestimmen“ taugen auch heute noch zur Etablierung einer soliden Gesprächskultur.

Zu finden ist all das in der Ausstellung „Die Kids sind nicht alright“, die Positionen ostdeutsch sozialisierter Künst­le­r*in­nen zeigt, die familiäre Traumata bearbeiten, sich für eine Neubewertung des 89er Aufbruchs starkmachen und vor allem zu Differenzierung auffordern.

Eine davon ist die Autorin und Filmemacherin Anna Zett, in deren Raum sich die eingangs beschriebene Installation befindet und die am vergangenen Donnerstag mit dem Künstler und Musiker Manuel Sékou ein Künstlergespräch in der Ausstellung führte. Sékou, Jahrgang 1991 und aus Dresden stammend, legte vor zwei Jahren mit dem Collage-Buch „I Lost My Gems“ einen sehens- und lesenswerten Erinnerungsritt in so konträre wie sich manchmal doch überschneidende Dresdner Subkulturen zwischen HipHop, Rave und rechtsextremer Militanz vor. Sein Credo dabei: sich in die Gewänder der Feinde zu kleiden, um sich aus Erlebtem wie Erlittenem zu befreien.

Das Thema Bewältigung ist auch für viele Positionen in der Ausstellung zentral. Susan Donath (Jahrgang 1979) beschriftete eine Urne mit „Stasiakten der Familie Donath“ – als Zeichen dafür, dass sie an mutmaßlich vorhandene Stasiakten ihrer Familie erst nach dem Tod der Betreffenden herankommt. Sophia Hirsch (1987) bedeckt eine Wand des Raums mit einer Graphic Novel über das Leben ihres Vaters, der als schwuler Mann in der DDR seine Neigungen nur sehr versteckt ausleben konnte. Anna Zett (1983) verwebt in ihrem Film „Es gibt keine Angst“ Aufnahmen vom sorglosen Kinderfasching in der DDR mit Szenen des Aufbruchs und der Selbstermächtigung, vor allem in Verbindung mit der zweiten Besetzung der Stasizentrale 1990. Berührend sind Momente, in denen Menschen erstmals in der Öffentlichkeit das Wort ergreifen, um über ihre Verfolgung und Unterdrückung durch die Staatssicherheit zu sprechen.

Zett war bei der Sichtung der Dokumente im Archiv der DDR-Opposition von der Radikalität der damaligen Protagonisten beeindruckt. „Man spürt ein unglaubliches Wissen und auch eine Wut, die aus der starken Überzeugung kommt, dass Demokratie von unten erlernt wird und so erlernt werden muss. Es ist traurig, dass genau das nicht passieren konnte beim Ende der DDR, dass sie vielmehr von oben als neues System installiert wurde“, sagt sie der taz.

Das erklärt zwar noch nicht vollumfänglich den Zulauf zu Pegida und AfD im Osten. Aber warum die Distanz zu den Eliten, zu denen, die einem auch noch das eigene Leben erklären wollen, mittlerweile sehr groß geworden ist, liegt auch in diesem Überstülpen der neuen Passformen begründet, mit dem mittlerweile Teile von gleich drei Ostgenerationen fremdeln. „Die Kids sind nicht alright“ hinterfragt dabei die DDR-Gesellschaft kritisch wie auch den Modus ihrer Abwicklung.

Hoffnung vermitteln ausgerechnet die kopierten Blätter und überlieferten Bilder aus der Hochzeit des Neuen Forums. Als eine Art Anknüpfung daran kann man das Ossi / Wessi Nähcafé der Künstlerin Nadja Buttendorf (nächster Termine 16. und 30. November 15 Uhr) werten. Dieses Gesprächsformat mit manueller Betätigung ist eine Einladung zur Reflexion darüber, was im Prozess der Transformation schiefgelaufen ist. Mittlerweile sind schließlich nicht mehr nur die Kids nicht alright.

„Die Kids sind nicht alright“: Galerie Adlershof, bis 31. Januar 2025

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