dvdesk: Wenn es still wird auf der Tonspur
An einem Morgen wie jedem anderen tritt Frank Shaw, Kriminalbeamter, nach dem Joggen und frisch geduscht auf seinen Balkon. Das Wetter ist gut. Vom Plattenspieler läuft Jazz. Shaw blickt hinab auf die vor ihm liegende Stadt, die eine US-Großstadt darstellen soll. (In Wahrheit: Toronto.) Es ist für den Rest des Films das letzte Mal, dass Shaw etwas wie Freiheit und Ausblick genießt. Ein Anruf, ein Einsatz, eine rasante Jagd zu Fuß durch schmale Gänge zwischen Containern. Er knallt gegen einen fahrenden Wagen, mit gravierenden Folgen: Sein Gehör ist ziemlich perdu.
Die Arbeit am Genre ist die Nicht-Neuerfindung des Rades als Kunst. Oder im Regelfall eher: als Handwerk. „The Silent Hour“ ist ein Thriller und als solcher eher konservativ darin, dass alle Basics aus der langen Geschichte dieses Genres bestens vertraut sind. Worauf es schnell zuläuft: Shaw findet sich mit einer attraktiven gehörlosen Frau in einem mehrstöckigen, weitestgehend verlassenen Haus. Hinter ihm her sind Bösewichter in großer Menge. Was die Lage deutlich verschlimmert: Nicht nur wirklich üble Gangster darunter, sondern auch im eigenen Team, der Polizei, ist mehr als ein Maulwurf.
Die meiste Zeit ist „The Silent Hour“ also eine Katz-und-Maus-Jagd im Hochhaus, kürzer gesagt: eine Variation des einschlägigen Klassikers „Stirb langsam“. Wie einst John McTiernan nützt auch Regisseur Brad Anderson die räumlichen Gegebenheiten des hier allerdings eher bunkerartigen Baus durchaus geschickt. Die Feuertreppe, der Aufzug, lange, teils in Plastikplanen gehüllte Gänge, Türen und Fenster aller Art spielen tragende oder versagende Rollen.
Das alles sieht ziemlich toll aus. Kameramann Daniel Aranyó hat das Licht sehr präzise gesetzt, mit wunderbar scharfen Kanten konturiert er Hell gegen Dunkel. Der Schwede Joel Kinnaman – der seine prominenteste Rolle als Detective in der Serie „The Killing“ hier variiert – hat auf seinen knarzenden Bass, und nicht nur auf ihn, einiges an Zerquältheit drapiert. Und die gehörlose und auch etwas undurchsichtige „damsel in dress“, die aus Lebensgefahr befreit werden muss, spielt Sandra Mae Frank als keineswegs passive Figur namens Ava. Im Einsatz der Gebärdensprache ist sie dem Cop, der darin Anfänger ist, sehr überlegen.
Keine Frage, dass „The Silent Hour“ das ist, was man früher ein B-Movie nannte. Es stand nicht sehr viel Geld zur Verfügung. Es fehlen die ganz großen Stars. Das macht die Sache aber im vorgegebenen Rahmen erstaunlich beweglich. Das Genre wird entlang der Konventionen bedient, die Plot Twists sind nicht sonderlich überraschend, aber doch effektiv. Variiert wird das Muster in einem Detail: Der Cop wäre vollends generisch, wäre er nicht dabei, sein Gehör zu verlieren. Daraus saugt das Buch mit Lust am Detail immer wieder einigen Honig.
Die Karriere von Regisseur Brad Anderson hat mal Großes versprochen. Mit „The Machinist“ von 2004 mit einem schlaflos in den Irrsinn abdriftenden, ausgemergelten Christian Bale hatte er einen viel beachteten Hit, danach ging es aber zurück in die zweite Reihe für ihn. „The Silent Hour“ zeigt, dass er nach wie vor sein Handwerk versteht. Nicht nur ist das Katz-und-Maus-Spiel rasant und spannend gefilmt, mit kurzen Gebärden-Dialog-Verschnaufpausen an den richtigen Stellen. Einfallsreich ist der Sound, der an manchen Stellen die Subjektive von Ava und Shaw übernimmt und die Wahrnehmung aufs noch dazu eingeschränkte Sichtfeld beschränkt: Dann wird es bedrohlich still auf der Tonspur. Ekkehard Knörer
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