piwik no script img

Demokratisch das Recht brechen

Die Juristin Samira Akbarian bringt analytische Klarheit in die Debatte über zivilen Ungehorsam

Von Till Schmidt

Was für eine billige, würdelose Aktion. Ihr scheißt auf die Grundrechte, zerstört Kunst ähnlich wie die Taliban und fühlt Euch noch als Heldinnen und Helden! Glaubt Ihr allen Ernstes, Ihr bringt damit den Klimaschutz voran?!“

Diese Nachricht stammt, unschwer zu erkennen, aus den sozialen Medien. Verfasst hat sie der User Michael Roth. Mit seinem wütenden Post auf der Plattform X kommentierte der SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses eine Aktion der Letzten Generation vom März 2023.

Die Klima-Aktivist:innen hatten das Denkmal „Grundgesetz 49“ in Berlin mit einer Flüssigkeit übergossen, die wie Erdöl aussah. Ihre Botschaft: Ohne eine radikale Wende in der Klimapolitik würde das Grundgesetz ad absurdum geführt. Das anschließende Gerichtsverfahren wegen Sachbeschädigung endete für die Ak­ti­vis­t:in­nen mit einem Freispruch. Die Farbe war leicht abzuwischen, weshalb das Denkmal im juristischen Sinne nicht als „beschädigt“ zu betrachten sei.

Samira Akbarian: „Recht brechen. Eine Theorie des zivilen Ungehorsams“. C.H.Beck München 2024, 172 Seiten, 16 Euro

Wie auch immer man zur Letzten Generation stehen mag – es lässt sich durchaus argumentieren, dass ihre Aktionen an einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021 anknüpfen, der Klimaschutz zu einer Aufgabe von Verfassungsrang erklärt. Auch die Ak­ti­vist:in­nen stellen die Verbindung zum Grundgesetz immer wieder explizit her. So etwa mit der Parole „Art. 20 a GG = Leben schützen“. Roths Wutausbruch wiederum steht beispielhaft für eine erregte Debatte, die vor allem auf emo­tio­nale Abwehr gegenüber der Infragestellung unseres klimaschädlichen Alltags verweist.

Samira Akbarian hat nun ein wichtiges Buch veröffentlicht, das mehr analytische Klarheit in die Debatte bringt. „Recht brechen“ ist sein Titel. Unaufgeregt, differenziert und konstruktiv nähert sich die Frankfurter Rechtswissenschaftlerin Protestaktionen des zivilen Ungehorsams, wie sie etwa von der Letzten Generation ausgeführt werden. Akbarian blickt auf seine rechtsstaatlichen, demokratisierenden und individuell-ethischen Funktionen. Unter zivilem Ungehorsam versteht sie gewaltloses Protesthandeln, das sich, getragen von einer Richtigkeitsüberzeugung, „gegen Gesetze, Institutionen, Unternehmen oder staatliche Maßnahmen richtet und deshalb – zumindest potenziell und auf den ersten Blick – illegal ist“.

Beim Lesen wird deutlich, dass Akbarian Aktionen des zivilen Ungehorsams mit Sympathie gegenübersteht. Vor allem hebt sie sein Potenzial als direktdemokratische Interven­tions­möglichkeit hervor. So können Gerechtigkeitsdefizite sichtbar gemacht werden, die etwa den Ansprüchen des demokratischen Rechtsstaats auf gleiche Teilhabe an Verfahren und Diskursen widersprechen. Dennoch neigt „Recht brechen“ nicht zur Bewegungsromantik, die den zivilen Ungehorsam etwa als Ausdruck eines authentischen Volkswillens oder einer politisch erleuchteten Elite mythologisiert oder gar die Transgression feiert.

Samira Akbarian begreift zivilen Ungehorsam als nicht­revolutionäre Verfassungsinterpretation

Für Akbarian steht der zivile Ungehorsam vor allem auf dem Boden der Verfassung. Formen des Protesthandelns, die sich nicht auf eine Zukunftsvision ausrichten, die auf den Prinzipien Gleichheit und Freiheit basiert, schließt sie explizit aus. Darunter fallen etwa Aktionen von völkischen Reichsbürgern oder Versuche von „Abtreibungsgegnern“, Schwangere vor Arztpraxen einzuschüchtern. Eine von Akbarians analytisch-ethischen Pointen: Ziviler Ungehorsam lässt sich als „Verfassungsinterpretation“ begreifen, entsprechende Handlungen seien daher dezidiert nichtrevolutionär.

„Recht brechen“ geht zurück bis zu Sokrates’Suizid, behandelt die Strategie von Black Lives Matter, die eigene Verletzlichkeit als Protestmittel einzusetzen („Please don’t shoot“), und beruft sich insgesamt stark auf Modelle radikaler Demokratie. Wen Akbarians recht theoretische Argumentation nicht abschreckt, der wird ihr inspirierendes Buch mit Gewinn lesen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen