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Senatsverwaltungen und BezirkeDie Uhr tickt für die Reform

Der schwarz-rote Senat ist sich angeblich über die Verwaltungsreform einig geworden – und will bis Jahresende einen Gesetzentwurf absegnen.

Die Verwaltungsreform soll den Kreis quadrieren: Der Senatsebene mehr Zuständigkeit geben und gleichzeitig die Bezirke stärken Foto: Imago/Emmamuele Contini

Berlin taz | Die seit Jahrzehnten angestrebte Reform der Berliner Verwaltung scheint einen Schritt weiter zu sein. Laut Regierungschef Kai Wegner (CDU) gab es am Dienstag in der Senatssitzung Einigkeit über Eckpunkte. Zu der 20-seitigen Besprechungsunterlage habe es komplette Übereinstimmung zwischen den Senatsmitgliedern von CDU wie von SPD gegeben. Zuvor war mehrfach von Differenzen zwischen den Koalitionspartnern zu hören gewesen. „Wir sind einen Riesenschritt voran gekommen“, sagte Wegner in der Pressekonferenz nach der Sitzung.

Bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) und bei der Stiftung Zukunft Berlin war in Reaktionen Erleichterung spürbar. Die Stiftung sprach davon, die besprochenen Eckpunkte seien „eine große Chance für Berlin“. Laut IHK-Präsident Sebastian Stietzel war die Stadt „in der unendlichen Geschichte der Modernisierung der Verwaltung noch nie so weit wie jetzt“.

Vorige Woche Dienstag noch hatte sich die IHK mit den Unternehmensverbänden Berlin-Brandenburg und der Handwerkskammer besorgt über das Gelingen gezeigt. „Parteitaktisches Kalkül darf Verwaltungsreform nicht gefährden“, war ihre gemeinsame Stellungnahme überschrieben. Sie fürchteten um das Gelingen einer Verfassungsreform, die den beabsichtigten Änderungen mehr Halt geben soll. Am Donnerstag gab es sogar von einem Bündnis von 20 Organisationen den „dringenden Appell“, das Projekt nicht scheitern zu lassen.

Beschleunigung von Abläufen

Bei der Reform geht es vorrangig darum, Abläufe in der Verwaltung zu beschleunigen. Die haken bislang oft daran, dass in den entsprechenden Gesetzen nicht genau geklärt ist, wer für was zuständig ist. Seit Langem ist deshalb von einem „Verwaltungs-Pingpong“ die Rede, also einem Hin- und Herschieben von Entscheidungen, zwischen Senat und Bezirken oder zwischen einzelnen Senatsverwaltungen. Wirtschaftsverbände sehen darin seit vielen Jahren eines der größten Hemmnisse für die Stadt.

In dem 20-seitigen Papier geht es im Kern um ein neues Landesorganisationsgesetz. Das soll für klare Zuständigkeiten sorgen, mehr „gesamtstädtische Steuerung“ ermöglichen, aber auch die zwölf Bezirke stark machen. Deren vorrangige Aufgabe soll laut Kai Wegner sein, die Vorgaben der jeweiligen Fachverwaltungen vor Ort umzusetzen. Keine Rolle spielen bislang Überlegungen, die Bezirksbürgermeister direkt zu wählen.

Vom Tisch sollen zusätzliche Rechte der Bezirke sein, die vergangene Woche in der Koalition noch für Aufregung sorgen. Dabei war etwa von einem Recht zu Gesetzesinitiativen und einem Rederecht für Bürgermeister im Abgeordnetenhaus zu hören. Noch aktuell ist, dass der Senat prüfen lässt, ob sich Bezirke gerichtlich dagegen wehren können, wenn die Landesregierung Themen an sich zieht.

Hier will sich der Senat offenbar an einem in Kürze erwarteten Urteil des Oberverwaltungsgerichts zu einer Klage des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg orientieren. Der wehrt sich darin gegen den vom Senat gewollten Zaun um den Görlitzer Park. Bislang galt die Rechtsauffassung, dass die Bezirke kein Klagerecht haben, weil sie keine eigenständigen Gemeinden, sondern Teil des Stadtstaates Berlin sind.

Gesetzentwurf bis Dezember

Was bei aller vorgetragenen Begeisterung Wegners über den angeblichen „Riesenschritt“ stutzig machen konnte: Formal hat der Senat die bewussten Eckpunkte der Reform nur beraten und nicht etwa beschlossen, was Wegner nicht schlüssig erklären konnte. Dabei sollen sie die Grundlage für alle weiteren Schritte sein. Münden sollen sie in ein Gesetz, dessen Entwurf der Senat Mitte Dezember beschließen will. Ab Anfang 2025 soll sich dann das Abgeordnetenhaus damit befassen und aus dem Entwurf ein Gesetz machen.

Mehrfach betonte Wegner, wie eng sich die demokratische Opposition – also Grüne und Linkspartei, nicht etwa die AfD – an dem Prozess beteilige und wie dankbar er dafür sei. Nur mit ihrer Hilfe – weil es dafür im Parlament eine Zwei-Drittel-Mehrheit braucht – wäre eine Verfassungsänderung möglich, um die Reform wie von ihm gewünscht fester zu zurren als ein bloßes Gesetz.

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