Demos mit Nahost-Bezug in Berlin: Videos von rennenden Po­li­zis­ten

Bei einer Demo setzt die Polizei ein Kind fest. Der Senat sollte solche Vorkommnisse mehr auswerten um Eskalationen zu verhindern, fordern die Grünen.

Menschen nehmen im August an einem propalästinensischen Auto-Korso auf der Tauentzienstraße teil

Was genau auf den zahlreichen Demos mit Bezug zum Nahost-Konflikt passiert, weiß der Senat gar nicht Foto: Fabian Sommer/dpa

BERLIN taz | Wie viele Po­li­zis­t*in­nen braucht es, um einen 11-jährigen Jungen einzufangen, der mit eingerollter Palästina-Flagge über den Breitscheidplatz rennt? Wer für die Antwort auf diese Frage ein Video hinzuzieht, das seit Samstag im Netz kursiert, sieht, dass die Polizei Berlin mit mindestens fünf Be­am­t*in­nen hinter ihm herläuft. In einem Kreis stehen sie um den Jungen herum, mehr Po­li­zis­t*in­nen kommen dazu und schirmen ihn von De­mo­teil­neh­me­r*in­nen ab.

Der Junge wiederum steht mit dem Rücken zur Wand und guckt mit großen Augen in die Kamera. Nach einem Schnitt ist zu sehen, wie der Pulk von Po­li­zis­t*in­nen den Jungen wegführt. „Sie nehmen einen Minderjährigen mit“, ist zu hören. Noch ein Schnitt, und zwei Beamte bugsieren das Kind in ein Polizeiauto.

Gefilmt ist das 51 Sekunden lange Video am Samstagabend auf einer Demonstration „mit Bezug zum Nahostkonflikt“. Die Polizei teilte mit, die Einsatzkräfte seien auf den Jungen aufmerksam geworden, weil er offenbar „ohne Begleitung“ an der Demo teilgenommen habe. Zu „seinem eigenen Schutz“ habe die Polizei ihn „in Obhut“ genommen und seinen Vater benachrichtigt, der ihn 90 Minuten später abholte. Es gebe keinen Verdacht einer Straftat. „Eine Festnahme fand nicht statt.“

Szenen wie diese seien es, die der Senat viel systematischer als bisher erfassen und auswerten sollte, fordert der Abgeordnete Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Grünen. Er hatte in einer Kleinen Anfrage den Senat nach „Straftaten und Versammlungsverboten im Zusammenhang mit Versammlungen mit Bezug zur Situation in Israel und Gaza“ gefragt.

Fehlender Überblick schadet allen Seiten

Das Ergebnis: Der Senat habe offensichtlich nicht mal einen Überblick über die Zahl der Demo-Teilnehmer*innen, die Anzahl von Verletzten auf Demos, über Disziplinarverfahren gegen Po­li­zis­t*in­nen, über tatsächliche antisemitische Vorfälle, über Personen, die die Situation nutzen, um zu eskalieren, oder darüber, welche Versammlungen besonders problematisch waren.

„Seit knapp einem Jahr sind die Folgen des Terroranschlags der Hamas und des Leids in Gaza auch auf Berlins Straßen und durch zahlreiche Versammlungen präsent“, sagt Franco. „Obwohl Eskalationen bei Versammlungen bis hin zu Vorwürfen von Polizeigewalt wiederholt ein riesiges Echo hervorrufen, gibt es keine fundierte Analyse über das Versammlungsgeschehen über das letzte Jahr.“ Die Innenverwaltung sollte ein Lagebild erstellen – wie sie das etwa bei der Letzten Generation oder der Fußball-EM auch getan habe.

Denn: Während Berlin aus Sicht des Grünen-Innenpolitikers wegschaut, guckt die sogenannte Welt durch das Social-Media-Fenster umso genauer hin. Das Video von dem Jungen haben auf X reichweitenstarke Accounts geteilt und kommentiert – meist mit dem Take, dass Berlins Polizei nun schon Kinder verhafte.

„Solche Videos sollen oft bewusst eine Eskalation befeuern“, sagt Franco. Teils würden auf Demos auch Kinder angestiftet, zu provozieren. Die Polizei würde sich oft nicht äußern oder einfach damit argumentieren, dass sie wegen antisemitischer Straftaten hart durchgreifen musste.

„Das schadet allen: Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in Berlin, die sich von niemandem mehr repräsentiert fühlen. Aber auch der Polizei selbst, wenn keine Auseinandersetzung darüber erfolgt, welches Vorgehen rechtmäßig war“, sagt er. Das wüssten Extremisten für sich zu nutzen – die ebenjenes internationale Publikum im Blick hätten. „Der Senat lässt Bilder für sich stehen“, kritisiert Franco. Und fördere damit die Eskalation.

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