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Eine Bühne für die Polizei

Ausdrücklich aus der Innenperspektive möchte das Doku-Theaterstück „Hier spricht die Polizei“ in Hannover beleuchten, was los ist unter deutschen Ordnungshüter:innen. Was spektakulär schiefgehen könnte, gelingt dem Kollektiv Werkgruppe 2 – auf diskussionswürdig gute Weise

Von Jens Fischer

Die Zeiten, in denen der nette Kontaktbeamte aus dem Stadtteil als Symbol für eine Freund-und-Helfer-Polizei funktionierte, scheinen vorbei. Die exekutive Staatsgewalt hat ein Imageproblem, seit immer wieder Fälle von Rassismus, Rechtsextremismus sowie fragwürdiger Gewaltanwendung im staatlichen Gewand an die Öffentlichkeit dringen – meist eilig abgetan als Einzel-Untat eines schwarzen Schafs. Da wirkt es erst mal mutig, wenn das Theaterkollektiv Werkgruppe 2 diesen Problemen eine Bühne bietet, und das ausschließlich aus Polizeiperspektive.

Oder ist das fahrlässig? Das Dokumentar-Theaterstück „Hier spricht die Polizei“ soll ein menschenfreundlich differenzierender Versuch sein, sich empathisch auf die Notlagen und Einstellungen von Po­li­zis­t:in­nen einzulassen – aber auch infrage zu stellen, inwieweit sie ihre große Macht mit ebenso großer Verantwortung ausüben. Kann das funktionieren?

Wenn berufliches Handeln im Kontext von Befehl und Gehorsam den persönlichen Überzeugungen widerspricht und die daraus resultierende Überforderung artikuliert wird, dann ist das erst mal prima nachvollziehbar. So beklagt nun auf der Bühne des Ballhof Eins in Hannover ein Polizist, dass er wegen des Grundrechts der freien Meinungsäußerung auch eine AfD-Veranstaltung schützen müsse – als AfD-Gegner. „Da steht man natürlich dann mit einer innerlichen Wut.“ Dass die folgenlos bleibt, wird aber weder aus- noch andiskutiert.

So kommen an diesem Abend viele problematische Haltungen im O-Ton daher, auf dass die Widerstandsgeister im Publikum zu rumoren beginnen. Gerade wenn Pol­izis­t:in­nen deutlich machen, dass Fälle mutmaßlich rechtswidriger Polizeigewalt gern verschwiegen, geduldet, gedeckt werden – respektive gerechtfertigt und relativiert. Oder wenn es heißt, ein Kollege sei „grundsätzlich nach rechts offen“, und dann gesagt wird, man tue so, als ob man das nicht merke. „Die sind ja nicht alle rechtsradikal gewesen“, nur weil sie in entsprechenden Chatgruppen unterwegs waren, sagt eine Polizistin. Und gezielte rassistische Äußerungen habe sie auch noch nie erlebt; klar, manchmal höre sie so was wie „Rotationseuropäer“, „Kanake war auch häufig“, „Schokobohne auch mal“ – aber Rassismus, „eigentlich: Nee …“

Regisseurin Julia Roesler und Dramaturgin Silke Merzhäuser haben echte Po­li­zis­t:in­nen zu ihren Ängsten, Prägungen und dem Arbeitsalltag interviewt. Aus den gesammelten Aussagen wurden Zitate extrahiert und diese auf fünf fiktive Figuren verteilt. Die vertreten nun auf der Bühne sowohl sympathisch selbstkritische als auch unsympathisch selbstgerechte Positionen – und das radikal subjektiv. In sterilem 1980er-Bürotrakt-Ambiente lümmeln sie lässig herum und treten nach vorn zum Monologisieren.

Da ist Bereitschaftspolizist Easy (Sebastian Nakajew), tiefenentspannt dank langjähriger Erfahrung, aber auch seine Ohnmacht betrauernd. Nach all den Einsätzen bei familiärer Gewalt weiß er, die Polizei könne „nur irgendwelche Symptome einer gesellschaftlichen Erkrankung zudecken, die Ursachen müssten eigentlich ganz woanders bekämpft werden“. Ruhpöttlerin Aida (Anja Herden) erzählt anrührend von der Love-Parade-Katastrophe in Duisburg; wie sie beschimpft wurde, nichts verhindert zu haben und dann mit Totenlisten in der Hand den Eltern gegenüberstand.

Da ist auch Wolfi (Alrun Hofer), Traumberuf Wasserwerferfahrerin. Sie fand nach wenigen Wochen im Dienst, es nicht tagein, tagaus ertragen zu können, mit „schwerst traumatisierten Personen, überwiegend Frauen zu tun zu haben, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind“. Nun schiebt sie Frust im Innendienst und empört sich fortgesetzt über „Arschnasen“ aus vermeintlichen Mackerkulturen, die sich weigern, mit einer Frau, einer Polizistin zu sprechen.

Über Demos etwa an der Roten Flora reden sie, als wären sie im Krieg. Beim Stichwort „Molotow-Cocktail“ flutet Nebel die Bühne

Propper (Servan Durmaz) ist ein kerniger Gruppenführer, der „Spannung und Action“ bei der Polizei sucht – und trans* Mann Mango (Fabian Dott), der mit Mobbing bestraft wird, als er Missstände benennt: Er zeigt körperverletzende Po­li­zis­t:in­nen schon mal an, beschwert sich übers Statusdenken, die Selbstidealisierung und aufflackernden Allmachtsfantasien der Kolleg:innen. Ihn nerve zudem, wie sie auf die Tränendrüsen drückten wegen ihrer Arbeitsüberlastung und erlebten Feindseligkeit, obwohl es doch zur Jobbeschreibung gehöre, auch mal was abzubekommen. Andere Bühnengespräche drehen sich um Alkoholkonsum im Dienst und familiären Zusammenhalt. Linke, Fußball-Hooligans, prügelnde Männer, Klimakleber: allesamt etablierte Feindbilder, über Demonstrationen etwa an Hamburgs Roter Flora reden sie, als wären sie im Krieg. Beim Stichwort „Molotow-Cocktail“ flutet Nebel die Bühne.

Aufgelockert werden die Statements von drei Musikern, die im Lindenberg-Duktus lustig sein möchten und Songs raushauen, die den Prot­ago­nis­t:in­nen aus dem Herzen sprechen. Das Trio intoniert zudem schlagerblöde Mucke, wenn die Polizei gerade mal wieder bespuckt, mit Scheiße beworfen, geschlagen wurde, sodass sie den Einsatzstress per Party­exzess ablassen muss.

Dramaturgisch sind die O-Töne geschickt verwoben, so als würden die Figuren einen Selbstverteidigungsabend vor Publikum gestalten. Das Ensemble entwirft die Figuren mit spielfreudig antiironischer Präzision, bringt sie in ihrer Täter-Opfer-Ambivalenz dem Publikum wirklich nahe und lässt gleichzeitig Kritik an der Polizei lebendig werden – aus der Innensicht. Die Inszenierung ist also keineswegs fahrlässig, sondern diskussionswürdig gut.

Weitere Termine: 22. + 29. 9.; 1. + 10. 10., Hannover, Ballhof Eins

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