piwik no script img

„Ein Klumpen Butter, versteckt im Moor“

Mit welchen Schiffen die Hanse den Nordatlantik befuhr, ist noch ungewiss. Aber Unterwasserarchäologe Philipp Grassel hat eine Anleitung erstellt, sie zu finden

Seekarte der Shetland-Inseln mit Bremischer Bucht und Maßstab in „Duitschen“ und „Spanschen Meylen“: Die Wege der Hanse sind weit, aber ergründlich Foto: DSM

Interview Harff-Peter Schönherr

taz: Herr Grassel, man könnte denken, über die Hanse sei schon lange alles gesagt. Aber das täuscht, wie Ihre Dissertation zeigt. Wie lange befassen Sie sich schon mit dem Kaufmannsbund?

Philipp Grassel: Eigentlich noch gar nicht so lange. Ich bin ja Unterwasserarchäologe, beschäftige mich mit Wracks und versunkenen Landschaften. Zum Thema Hanse bin ich eher per Zufall gestoßen, über ein Forschungsprojekt zur Hanse im Nordatlantik. Aber auch für die Hansezeit gibt es ja einige Unterwasserfunde; die Kogge des Deutschen Schifffahrtsmuseums ist das beste Beispiel …

taz: Das 600 Jahre alte Herzstück der Sammlung, 1962 in der Weser entdeckt?

Grassel: Genau. Schiffe dieses Typs haben aber sehr wahrscheinlich nicht den Nordatlantik befahren. Das war eher ein Segler für Nord- und Ostsee. Aber für die nordatlantischen Inseln – Island, die Shetland- und Färöer-Inseln – gab es nur wenig Forschung. Die Frage hat sich mir geradezu aufgedrängt: Mehrere Jahrhunderte hat da ein stetiger Austausch mit vor allem Bremer und Hamburger Händlern stattgefunden, und da kam man nur mit dem Schiff hin. Also muss es maritime Funde geben. Das war für mich als Unterwasserarchäologe der Einstieg.

taz: Ihre Arbeit „Die späthansezeitliche Schifffahrt im Nordatlantik vom 15. bis zum 17. Jahrhundert“ gilt als „wegweisend“. Warum?

Grassel: Sie erarbeitet Grundlagenwissen. Sie fasst den Ist-Zustand der Forschung und die archäologischen und historischen Quellen zum Thema zusammen.

taz: Was lässt sich denn der Quellenlage entnehmen?

Grassel: Es gibt zum Beispiel die Quellensammlungen der Hanserezesse und der Hansischen Urkundenblätter. Diese Sammlungen beinhalten originale Quellen aus der Hansezeit, welche sich unter anderem mit Fragen des Umfangs und der inneren sowie äußeren Organisation des Handels selbst befassen. Weiterhin gibt es in den jeweiligen Staatsarchiven, wie in Bremen und Hamburg, Unmengen zeitgenössischer Dokumente wie Tonnengeldregister, Akzisebücher und Schifferbücher. Die geben einen Überblick über den Handelsverkehr und die ein- sowie ausgeführten Waren in bestimmten Zeiträumen.

taz: Gibt es auch juristische Dokumente?

Ausstellung „Immer weiter – Die Hanse im Nordatlantik“, Deutsches Schifffahrtsmuseum, Bremerhaven. Bis 3. 11.

Sehr häufig finden sich Klageschriften und Stellungnahmen, in die Hansehändler im Auslandshandel involviert waren. Weiterhin finden sich private Dokumente wie Schuldbücher, Tagebücher oder Testamente von Händlern und Schiffern. Andere Dokumente wie die Kassen- und Rechnungsbücher von Händlergesellschaften wie der Hamburger Islandfahrerbruderschaft sind ebenfalls enorm fruchtbare Quellen. Viele dieser Quellen sind bereits wissenschaftlich ausgewertet und publiziert. Das war natürlich klasse für mich, denn so konnte ich sehr gut mit ihnen arbeiten.

taz: Außerdem haben Sie eine Potenzialanalyse für maritime Funde erstellt. Wie sind Sie da vorgegangen?

Grassel: Das ist eine Kategorisierung von I.A. bis II.B., wo Funde am wahrscheinlichsten auf Island, den Shetland- und Färöer-Inseln zu machen sind. Anhand von Quellen, die den Ort erwähnen, anhand schon vorhandener Funde und der Bedingungen für Unterwasseruntersuchungen. Das hilft uns, wenn wir Grabungen und Surveys planen.

„Viele dieser Quellen sind bereits publiziert. Das war natürlich klasse für mich“

taz: Haben Sie so schon Funde gemacht?

Grassel: Noch nicht. Aber es gibt potenzielle Fundorte, die wir im Auge haben. Gerade arbeite ich an einem Projektantrag für die Färöer-Inseln.

taz: Worin liegt die Relevanz Ihrer Forschung?

Foto: DSM

Philipp Grassel

Jahrgang 1983, ist Unterwasserarchäologe, Forschungstaucher und Ausstellungskurator.

Grassel: Spannend ist zum Beispiel die Frage, was, wo und in welchen Mengen zur damaligen Zeit gehandelt und konsumiert wurde. Oder wie die Verbindungen zwischen den Inseln und dem Festland waren. Interessant ist auch, welche Schiffe dabei zum Einsatz kamen und wie viele. Zusammenhängendes gibt es dazu bisher wenig.

taz: Sie haben an der Ausstellung „Immer weiter – Die Hanse im Nordatlantik“ mitgearbeitet. Was könnte mich da faszinieren?

Grassel:Von einer Grabung auf den Orkney-Inseln wurde ein sehr schönes Luftbild gemacht. In der Ausstellung befinden sich darin Klappen, und unter ihnen sind die Funde zu sehen. Witzig ist das Bild eines Fundes von den Shetland-Inseln, das den Butterhandel thematisiert: Da wurde mal ein kniehoher Klumpen Butter entdeckt, im Moor versteckt. Die Ausstellung befasst sich zudem mit dem monetären System der damaligen Zeit. Da ist auch eine Goldmünze zu sehen, die ich mit Erlaubnis der shetländischen Kol­le­g:in­nen für die Ausstellung nach Deutschland ausführen durfte. Ich habe mir ausgemalt, was ich bei der Ausreise antworte, wenn jemand nach ihr fragt: Das ist eine deutsche Münze, und die repatriiere ich jetzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen