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Volkswagen macht allen Angst

VW lässt offen, welche Werke geschlossen werden könnten. Die Drohung wirkt so auf alle Beschäftigten. Die Politik macht schon Zugeständnisse – dabei hat VW Milliarden an Aktionäre ausgeschüttet

Von Lotta Drügemöller

Könnten VW-Werke in Osnabrück, in Emden oder Braunschweig geschlossen werden? Oder trifft es, jenseits des Volkswagen-Kernlandes Niedersachsen, Standorte in Sachsen, in Zwickau, Chemnitz oder Dresden? Keiner weiß es. Bei der Betriebsversammlung zur VW-Krise am Mittwoch ist der Vorstand nicht mit weiteren Informationen herausgerückt – auch wie viele Beschäftigte abgebaut werden sollen, wurde nicht mitgeteilt.

Eine ungefähre Größenordnung gab es allerdings durch Finanzvorstand Arno Antlitz. „Es fehlen uns die Verkäufe von rund 500.000 Autos, die Verkäufe für rund zwei Werke“, sagte er. Ohne genauere Infos bleiben alle 120.000 VW-Mitarbeitenden von den harten Sparmaßnahmen bedroht, die der Konzern am Montag angekündigt hatte.

Das Problem im Kern: Die Marke VW, (mal ohne Audi, Porsche, MAN und andere Zweige des Konzerns) gebe schon „seit geraumer Zeit mehr Geld aus, als wir einnehmen“, so sagte es Finanzvorstand Antlitz. Die Botschaft blieb gleich: Man müsse sparen, und zwar beim Personal. Bisher gilt beim Konzern aus historischen Gründen, dass Wirtschaftlichkeitserwägungen und Beschäftigungssicherung bei allen Entscheidungen auf gleicher Stufe stehen. So hat noch nie ein VW-Werk in Deutschland schließen müssen.

Der Betriebsrat gab sich kämpferisch: Die Ankündigung der Konzernspitze sei ein „Armutszeugnis“ und eine „Bankrott­erklärung“, schimpfte die Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo. Die VW-Krise sei eine Krise der Führung und kündigte an: „Mit mir, Daniela Cavallo, Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende der Volkswagen AG, wird es hierzulande keine Werksschließungen geben.“

Wie ernst die Drohungen mit Werksschließungen und Entlassungen wirklich gemeint sind, ist tatsächlich gar nicht so klar. Vom Konzern wurden sie bisher nur als „letzte Maßnahme“ angekündigt, wenn man nicht mit anderen Mitteln schnell gegensteuern könne. Das könnte von der Politik und Belegschaft kommen. Die Drohung könnte ein strategisches Druckmittel ihnen gegenüber sein, um Zugeständnisse zu bekommen.

Tatsächlich kündigte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) schon an, die Regierung wolle VW beim Halten aller Standorte unterstützen. „Deutschland muss Autoland bleiben“, gab sich der Arbeitsminister autoaffin solidarisch. Auffällig schnell, schon am Mittwoch, gab es einen konkreten Schritt dazu: Das Kabinett hat eine zusätzliche steuerliche Förderung von Elektroautos in Höhe von rund 500 Millionen Euro pro Jahr beschlossen.

Auch der VW-Betriebsrat spielt diese Karte. Neben vielen Forderungen an die Konzernspitze, die Technologieführerschaft zurückzugewinnen, den „Dokumentationsirrsinn“ abzustellen und „dreifache Prozesse zur Absicherung“ abzuschaffen.

In den anstehenden Tarifverhandlungen wirken Nullrunden als Ergebnis nicht mehr ausgeschlossen

Gewerkschaften und Betriebsräte selbst könnten leichter zu Zugeständnissen bei Tarifverträgen gebracht werden, wenn die Drohkulisse „Werksschließung“ aufgebaut ist. Im November beginnen die Verhandlungen zur nächsten Tarifrunde. Bisher zahlt VW einen Haustarif, der über dem Branchentarif liegt; die IG Metall fordert darauf eine Lohnerhöhung von sieben Prozent, doch der Konzern will offenbar Kürzungen oder zumindest Nullrunden durchsetzen.

Noch Ende 2023 sah sich der Konzern auf einem guten Weg: Bis zu 4 Milliarden Euro in der Gesamtbilanz erwarte man mit den Maßnahmen schon für 2024, hieß es. Offenbar reichen diese Milliarden nun nicht.

Eine wichtige Priorität für die VW AG war in den vergangenen Jahren, die Ak­tio­nä­r*in­nen bei Laune zu halten: Seit 2022 sind die Dividenden stark angewachsen. Bis 2021 lagen sie immer bei unter fünf Euro pro Aktie; seitdem gab es drei reguläre Auszahlungsrunden mit jeweils über 7,50 Euro – 9,06 wurde im Juni dieses Jahres gezahlt. Obendrauf auf die turnusmäßigen Zahlungen kam eine überragend hohe „Sonderdividende“, 2023 nach dem Börsengang von Porsche von 19,06 Euro pro Aktie. Obwohl kommuniziert wurde, dass man mit den Einnahmen des Börsengangs Investitionen in die Zukunft finanzieren wollte – in Digitalisierung, Batterietechnologie und verlässliche Software etwa – wurde die Hälfte an Ak­tio­nä­r*in­nen ausgeschüttet.

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