Sächsischer Beton und Thüringer Zungenschlag

Das BSW hat in Sachsen und Thüringen zweistellige Ergebnisse geholt und will nun mitregieren. Doch die beiden Landesvorsitzenden schlagen unterschiedliche Töne an

Hat klare Bedingungen für Koalitionen in Sachsen und Thüringen: Sahra Wagenknecht in Berlin bei der Pressekonferenz am Montag Foto: Christoph Soeder/dpa

Aus Berlin, Dresden und Erfurt Stefan Reinecke
und David Muschenich

Montagvormittag nach der Wahl. Das BSW spielt aus dem Stand eine Schlüsselrolle bei den komplexen Regierungsbildungen im Sachsen und Thüringen. In Dresden kann es nur eine Regierung ohne die rechtsextreme AfD geben, wenn BSW mit im Boot ist, eine Partei, die ein paar Monate alt ist und 71 Mitglieder hat. Aber passt zusammen, was zusammenpassen muss? Will das BSW überhaupt regieren?

In Berlin sagt die sächsische Parteichefin Sabine Zimmermann als Allererstes: Frieden. Das Thema brenne „den Menschen unter den Nägeln“. Wenn das BSW mitspielen solle, dann müssten CDU und SPD „grundsätzlich ihre Politik verändern“. Das klingt auftrumpfend. Es ist Tag eins nach der Wahl. Noch hat Sachsens CDU-Chef und bisheriger Ministerpräsident Michael Kretschmer das BSW noch nicht zu Sondierungen eingeladen. Niemand erwartet, dass man jetzt schon Kompromisslinien skizziert. Aber wenn nicht alles täuscht, rührt Zimmermann schon mal Beton an.

Mit der „Friedensfrage“ meint das BSW, dass jede Landesregierung, an der sich die junge Partei beteiligt würde, die für 2026 geplante Stationierung von US-Raketen ablehnen müsse. Weniger Waffen für die Ukraine, mehr Diplomatie. Das sagt Parteichefin Sahra Wagenknecht, die neben Zimmermann in die Kameras schaut. Das müssten dann auch Michael Kretschmer und Mario Voigt, der CDU-Landesvorsitzende in Thüringen. „Das Friedensthema ist für uns unverhandelbar“, so Wagenknecht. Das klingt nicht nach Beton, sondern nach Granit.

Man muss solche Sätze am Tag danach immer in Anführungszeichen setzen. Aber in der gemeinsamen Pressekonferenz ist unüberhörbar: Wagenknecht und Zimmermann benutzen andere Worte als Katja Wolf. Die Thüringer BSW-Chefin und selbstbewusste Ex-Oberbürgermeisterin von ­Eisenach klingt anders. Sie betont, dass, wenn BSW mitregiert, es für die Thüringer „spürbar besser werden“ müsse. Beim öffentlichen Nahverkehr, bei der Infrastruktur im ländlichen Raum und bei der Schulpolitik. Dass Mario Voigt Appelle gegen Raketen und gegen Waffen für die Ukraine unterschreiben und vertreten muss, hört man von Wolf nicht. Genau genommen nennt sie Raketen oder Waffenlieferungen an die Ukraine gar nicht. Diese Wortwahl deutet schon mal die Richtung an: Wolf, die ja aus der Linkspartei ausgetreten ist, um eine Regierung ohne AfD in Erfurt zu ermöglichen, zieht keine Mauern hoch. Wagenknecht und an ihrer Seite Zimmermann sehr wohl.

Allerdings steht das BSW Sachsen auch vor einer ziemlich herausfordernden Situation. Die neue Fraktion will sich am Dienstag treffen. Sonntagabend bei der BSW-Wahlparty in einem Dresdner Hotel weiß Parteichefin Zimmermann noch nicht, wo. Man hat ja keine eigenen Räume. Alles ist frisch, neu, improvisiert. Nur drei der BSWler haben Erfahrung mit Parlamenten. Zimmermann war lange für die Linkspartei im Bundestag. Lutz Richter und Janina Pfau waren beide bis 2019 für die Linkspartei im Dresdner Landtag. Aber die meisten sind neu dabei.

Diese zusammengewürfelte Truppe – ein Viertel der Partei sitzt jetzt im Landtag – bekommt es bei Sondierungen mit der CDU zu tun, die seit 34 Jahren regiert. Keine einfache Situation. Auch jene, die ein paar raketenkritische Sätze eher für Spielmaterial bei den Deals um Kompromisse und nicht für „unverhandelbar“ halten, sehen das Risiko, dem geölten Machtapparat der CDU und auch der SPD nicht auf Augenhöhe zu begegnen.

Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.

In Thüringen ist die Situation ein bisschen anders. Zwar sah es am Sonntag in den ersten Prognosen so aus, als könnten CDU, BSW und SPD ebenfalls koalieren, doch das änderte sich bis zum vorläufigen Endergebnis. Nun ist klar: Es fehlt eine Stimme für die Mehrheit. Um die AfD zu umgehen, braucht es doch die alte Linke um den bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Vielleicht entwickelte sich deshalb keine ausgelassene Stimmung auf der BSW-Wahlparty im Erfurter Dompalais. Und so gaben auch manche Mitglieder zu: Das BSW-Ergebnis von 16 Prozent sei gut, aber 20 Prozent, wie in den Umfragen, wäre schöner gewesen.

Vielleicht drückten auch die bevorstehenden Aufgaben die Stimmung. Vor allem Landesgeschäftsführer Tilo Kummer muss viel organisieren. Er saß 20 Jahre für die Linke im Thüringer Landtag. Weil er die meiste Fraktionserfahrung hat, soll er die neue aufbauen: Geschäftsordnung festlegen, Vorstand wählen und Mitarbeitende einstellen. Parallel dazu stehen der weitere Parteiaufbau an – und Sondierungsgespräche.

Dafür hat das BSW Thüringen schon ein Sondierungsteam aufgestellt. Wer dabei ist, will die Partei noch nicht sagen. Aber: Alle seien aus Thüringen. Anders als in Sachsen war die CDU seit zehn Jahren zwar nicht mehr in der Landesregierung – hat aber trotzdem einige Erfahrung in Sondierungsgesprächen. Zudem ist über CDU-Chef Voigt bekannt, wie gerne er Ministerpräsident werden möchte.

„Das Friedensthema ist für uns unverhandelbar“

Sahra Wagenknecht, Vorsitzende des Bündnisses Sahra Wagenknecht, über mögliche Koalitionen

Wer die Macht im BSW Sachsen haben wird, ist weiter hundertprozentig klar. Allerdings gibt es eine Fünfer-Gruppe, die die Sondierungen mit der CDU vorbereiten und die Haltelinien fixieren wird. Zimmermann und ihr Co-Chef, der Unternehmer Jörg Scheibe, werden in dem Team sein. Zudem jemand vom BSW aus Berlin und laut Gerüchten auch Oskar Lafontaine, Ex-SPD-Chef, Ex-Linkspartei-Chef und Wagenknechts Ehemann. Wagenknecht, so kann man deuten, will den Daumen drauf haben. Die SPD in Sachsen dürfte darüber, wenn es stimmt, nicht erbaut sein.

Am Montag in Berlin bekräftigt sie, dass sie bei Verhandlungen natürlich eine Rolle spielen will. Nicht in Expertengruppen, aber bei den „großen Linien“ wie Waffen und Raketen. „Wer mit uns koalieren will, muss mit mir sprechen“, sagt Wagenknecht.

meinung + diskussion