Abflug zu den Taliban

Die Frage, was genau die 28 am Freitag überraschend nach Afghanistan Ausgewiesenen verbrochen haben, lässt die Bundesregierung unbeantwortet

Dieses Foto aus dem Jahr 2021 vom Leipziger Flughafen zeigt einen Afghanen, den zwei Polizisten in eine Charterschmaschine bringen Foto: Michael Kappeler/dpa

Von Thomas Ruttig

Nancy Faeser hatte nicht übertrieben. Bei der Wiederaufnahme von Abschiebungen nach Afghanistan „sind wir schon relativ weit“, verkündete die Bundesinnenministerin (SPD) am Donnerstagabend in der Tagesschau. Am frühen Freitag dann hob ein Charterflugzeug der Qatar Airways vom Leipziger Flughafen in Richtung Kabul, wo mittlerweile die Taliban herrschen.

An Bord waren laut Bundesregierung 28 afghanische Staatsbürger, „sämtlich verurteilte Straftäter, gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen“. Sie waren laut Spiegel teils aus der Strafhaft geholt worden, als Faeser noch im Fernsehstudio saß. Unter ihnen könnten auch sogenannte Gefährder sein. Allerdings nur, wenn sie bereits rechtskräftig verurteilt wurden.

Abschiebungen nach Afghanistan hatte die damalige Große Koalition 2021 ausgesetzt. Auch damals wurde der Eindruck erweckt, dass Deutschland ausschließlich „Gefährder“ und „schwere Straftäter“ abschiebe. Eine exakte Gesamtübersicht, für welche Straftaten die Abgeschobenen verurteilt worden waren, gaben Bund und Länder nicht. Oft hieß es lediglich, „unter den Rückgeführten“ – wie die Sprachregelung auch heute wieder lautet – seien „Sexualstraftäter“ und „Mörder“ gewesen. Flücht­lings­un­ter­stüt­ze­r*in­nen wussten aber, dass auch Menschen nach mehrfachen, aber relativ geringen Verstößen gegen Betäubungsmittelgesetze oder mehrmaligem Schwarzfahren abgeschoben wurden.

Dass Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag generell von „Straftätern“, nicht von „schweren Straftätern“ sprach, die nach den tödlichen Messerangriffen von Mannheim und Solingen in der Diskussion standen, lässt wieder die Frage aufkommen, ob manche deutsche Behörden den Straftäterbegriff weit auslegen, um die Abschiebezahlen nach oben zu treiben. Auch jetzt wurde aus Bayern ein Mann abgeschoben, der wegen „einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe“ verurteilt worden war.

Ohnehin ist nicht klar, wie viele afghanische schwere Straftäter es überhaupt gibt. Eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes unter den zuständigen Ministerien ergab, dass es eine Statistik darüber gar nicht gibt.

Hebestreit bestätigte auch die Spiegel-Angabe nicht, dass Katar in Deutschlands Namen mit dem Taliban-Regime die Annahme der Abgeschobenen ausgehandelt habe. Er sagte nur, die Bundesregierung habe „regio­nale Schlüsselpartner um Unterstützung gebeten“. Die geheimen Verhandlungen sollen zwei Monate lang gelaufen sein, und zwar über das Bundeskanzleramt. Das Bundesinnenministerium sei für die Absprache mit den Bundesländern zuständig, das Auswärtige Amt (AA) sei immer eingebunden gewesen, hieß es am Freitag. Faeser hatte zuvor betont, dass „wir mit den Taliban nicht reden“, jedenfalls nicht direkt.

Die Taliban signalisierten nach der Mannheim-Attacke im Mai Bereitschaft, direkt mit der Bundesregierung über Abschiebungen zu verhandeln. Eine Drittstaatenlösung – ohne ihre Zustimmung – lehnten sie ab. Katar hat sie nun wohl überzeugt. Faktisch handelt es sich jetzt um eine indirekte Dreierabmachung.

Katar verfügt über gute Beziehungen zu den Taliban. Schon seit den Zeiten deren Kampfes gegen eine US-geführte Koalition in Afghanistan beherbergte es ein Taliban-Verbindungsbüro. Darüber liefen auch die US-Verhandlungen mit den Taliban, die 2021 zum Abzug aller ausländischen Truppen und Zusammenbruch der westlich gestützten Republik Afghanistan führten.

Ironisch ist, dass die Kontakte, die das AA mit Katar aufbaute, um zu erreichen, dass die USA die afghanische Zivilgesellschaft in eine Verhandlungslösung mit den Taliban einbeziehen – was letztendlich scheiterte –, nun dazu dienen, Abschiebungen zu den Taliban einzutüten.

Wie die Taliban abgeschobene Straftäter behandeln, ist unklar. Die Bundesregierung äußerte sich bisher auch nicht auf die taz-Anfrage, ob die Taliban die Abgeschobenen in Gewahrsam nehmen und ob sie Überprüfungen über ihren Verbleib zugesagt haben. Die Taliban gewähren bestimmten Organisationen, die sich dazu aber nicht äußern, Zugang zu ihren Gefängnissen. Mit Ausnahme denen ihres Geheimdienstes.

Deutschland verhandelt derweil ein Migrationsabkommen mit Usbekistan, das der Kanzler im September besuchen will. Schweden hatte über dieses Nachbarland Afghanistans 2023 fünf Afghanen abgeschoben.