Lesbisches Wohnprojekt in Berlin-Mitte: Es geht voran
Der lesbische Verein Rad und Tat feiert den Fortschritt auf der Baustelle für das Wohnprojekt in Mitte. Die Nachfrage nach einem Platz ist riesig.
Zwischen Kuchenständen und einem Soli-Flohmarkt sitzt Jutta Brambach, die Geschäftsführerin von RuT, auf einer Holzbank. Mit Blick auf die gelben Kräne, die sich über der Baustelle hin und her bewegen, sagt sie: „Es schreitet voran. Es stehen jetzt schon fünf Etagen.“ Nur noch zwei der geplanten sieben Etagen fehlen also. Insgesamt sollen 72 Wohnungen entstehen, fünf davon rollstuhlgerecht. Zusätzlich sind acht Plätze in einer Wohngemeinschaft für Frauen mit Pflegegrad geplant.
Das Haus entsteht in Kooperation mit der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM), von der RuT es dann mieten wird. Die Hälfte der Wohnungen wird gezielt gefördert, um Einstiegsmieten ab sieben Euro pro Quadratmeter zu ermöglichen.
Den Wunsch nach einem Zentrum für queere und lesbische Frauen hegt der Verein schon lange. Diesen „Ort der Solidarität und Selbstbestimmung“ zu finden, sei aber nicht einfach gewesen, so Brambach. Ursprünglich wollte die Gruppe, die vor allem aus älteren Lesben besteht, selbst ein Grundstück kaufen und bebauen. Dafür habe allerdings das Geld gefehlt. „Als lesbisches Projekt ohne eigenes Kapital ist es extrem schwierig“, berichtet Brambach.
Der Traum schien schon geplatzt
2016 waren sie schon einmal fast am Ziel. Die Gruppe hatte sich auf ein Grundstück in Schöneberg beworben, das vom Bezirk ausgeschrieben worden war, und gewonnen. Doch ausgerechnet die Schwulenberatung Berlin erhob Einspruch und gewann wegen eines Verfahrensfehlers. Auch innerhalb der Community gab es damals viel Widerspruch und Protest. Der Traum vom ersten lesbischen Wohnprojekt schien geplatzt.
Nach Protesten dann ein Erfolg: Der Verein bekam das Angebot, zusammen mit WBM den Neubau in der Berolinastraße zu errichten – gewissermaßen ein Filetgrundstück, gleich am Kino International und Rathaus Mitte.
In dem neuen Haus sollen Wohnen, Pflege und kulturelle Veranstaltungen miteinander verbunden werden. Denn ältere lesbische Frauen und Lesben mit Behinderung seien in „hohem Maße von Isolation und Diskriminierung betroffen“ heißt es im Konzept des Wohnprojekts. Auch ein Teil der RuT-Beratungsstelle wird ins Erdgeschoss direkt neben ein Kiezcafé und Veranstaltungsräume einziehen. Das Ziel ist, ein offener Ort für die ganze Nachbarschaft zu sein.
Die Nachfrage ist riesig
Die Warteliste für das Wohnprojekt zeigt: Die Nachfrage ist riesig. Bereits jetzt haben sich mehrere hundert Frauen auf eine der Wohnungen beworben. Wie genau das Auswahlverfahren ablaufen wird, will RuT in der nächsten Zeit intern erarbeiten.
„Es ist klar, dass ein Wohnprojekt den Bedarf nicht decken kann“, sagt Kerstin Drobick, Gleichstellungsbeauftragte des Bezirks Mitte. „Natürlich würden wir am liebsten gleich das zweite oder dritte Projekt starten“, fügt Brambach hinzu. Doch dafür bräuchten sie vom Senat mehr als die dreieinhalb Teilzeitstellen, die sie momentan haben.
Auch für das aktuelle Projekt fehlen noch über 300.000 Euro. Zwar baut die WBM das Haus, doch das Erdgeschoss, in dem Beratungen und Veranstaltungen stattfinden werden, gestaltet RuT selbst und ruft dafür weiter zu Spenden auf.
Dass es in der Berolinastraße vorangeht, feiern die etwa 70 Besucher*innen des Sommerfests ausgelassen. Zu Livemusik tanzen sie im Nieselregen, der die gute Laune nicht trübt.
Zu Gast ist auch die Rentnerin Ilona Böttcher, die sich schon auf eine der Wohnungen beworben hat. Sie erzählt, dass sie sich besonders auf das gemeinschaftliche Zusammenleben und das Kiezzentrum unten freut. „Wenn ich nicht mehr raus kann in die Welt, dann kommt die Welt zu mir“, sagt sie lächelnd. Kurz unterbricht sie das Gespräch, um energisch auf dem Soli-Flohmarkt um einen Seidenschal zu verhandeln und erklärt dann, warum ihr das Projekt am Herzen liegt: „Ich finde wichtig, dass lesbisches Leben sichtbar ist“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen