Die Wahrheit: Olympias Tränen

Tagebuch einer Gefluteten: Der deutsche Sommer lässt es überall sprudeln – aus den Wolken, aus den Augen von Athleten, aus geplatzten Rohren.

Es ist der Sommer der Wechselbäder. Ständig fällt irgendwo Starkregen vom Himmel, in Deutschland sprudeln Fontänen aus Gullis, bei Olympia Tränen aus Athleten und Moderatoren. Nirgendwo wird so heftig gefühlt und gefröstelt wie in den Fernsehstudios und Wettkampfarenen von Paris; Emotionen sind das ganz große Ding, dicht gefolgt vom dauerbeschworenen Gänsehautmoment.

„Reit, du hast ihn vor dir, den Arc de Triomphe der goldenen Emotion!“, flehte der Kommentator des olympischen Springreitens einen tapferen Chevalier an, dessen Pferd auf den schönen Namen Chipmunk hört, zu deutsch Streifenhörnchen. Folgsam galoppierte das Hörnchen durch den „Roi de Versailles der Hippologie“ (O-Ton Kommentator) zu Gold. Gott sei Dank! Man musste ja Angst haben, der arme Kerl hätte sich sonst vielleicht entleibt. Der schluchzende Reporter, nicht der Reiter.

Wie nah ich selbst am Wasser gebaut bin, durfte ich kurz darauf erfahren, als bei mir nicht etwa Tränen der Erleichterung flossen, sondern Wasserfluten aus kaputten Rohren. In meiner Kleiderkammer rauschte ein Wildbach die Wände herab, bildete ein sommerlich erfrischendes Nichtschwimmerbecken und setzte seinen Weg zum unteren Nachbarn fort. Während wir knietief im Nass kneippten, Eimerketten bildeten und mein Schrank mir bedrohlich entgegenquoll, befand ich mich in der emotionalen Eistonne; seitdem kann ich es locker mit jedem olympischen Gänsehautmoment aufnehmen.

Auf diese Shit-Show folgte die allen LWS-Betroffenen vertraute Ursachenforschung, wobei es sich hier nicht um das bekannte Lendenwirbelsyndrom handelt, sondern den im Versicherungssprech so bezeichneten, mindestens ebenso schmerzhaften Leitungswasserschaden.

Ein paar Tage später – die Trocknergebläse brummten, der Ventilator summte „Summerwind“ – quetschte sich eine Betroffenengruppe von der Größe der UN-Vollversammlung in meine miefig-modrige Kammer. Sachverständige tauschten Befunde, die Vertreter der Versicherungen wiegten bedenklich die Köpfe, im Flur Zurückgebliebene versuchten verzweifelt, einen Blick auf die Desasterlandschaft zu erhaschen. „Der Boden muss raus“, beschied einer der Experten. „Die Schüttung auch“, sekundierte sein Kollege. Eine Nacktschnecke glitschte außen über die Fensterscheibe und inspizierte durch das Glas neidisch mein feuchtes Zuhause.

In Vorfreude auf die Zukunft schlich ich davon, schaltete den Fernseher ein und zog mir die Sofadecke über den Kopf, das Stöhnen überließ ich den um Gold kämpfenden Athleten. „Da sehen wir, wie ihm der rechte Daumen zittert, es übermannt ihn regelrecht“, fühlte ein beeindruckter Kommentator mit dem ergriffenen Finalsieger im Tennis, während mich Erschöpfungsschlaf übermannte.

Beim Geräteturnen wachte ich auf. „Sie muss das da oben abhaken. Weiter, immer weiter!“, befahl der Kommentator. Ich werde mein Bestes geben. Danke, Olympia.

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Lebt und arbeitet als Filmregisseurin, Drehbuch- und Romanautorin in Berlin. Schreibt in ihren Kolumnen über alles, was sie anregt, aufregt oder amüsiert

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kari

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