Christa Pfafferott
Zwischen Menschen
: Missverständnisim Brillenladen

Es ist ein heißer Tag. Eine Freundin und ich treffen uns in einem Brillenladen. Sie will sich eine Brille sowie eine Sonnenbrille mit Sehstärke kaufen. Schon länger hat sie das vor. Zufällig gefällt ihr sofort das erste Gestell, das sie aufsetzt. Dann suchen wir noch nach einer schönen Sonnenbrille. Die erste Verkäuferin, die uns bedient, wirkt etwas abgelenkt mit einer anderen Kundin. Schließlich kommt eine andere Verkäuferin dazu, die Wärme ausstrahlt. Meine Freundin fühlt sich sofort wohl bei ihr. Manchmal ist es entscheidend, wer einen berät bei größeren Anschaffungen.

Die Verkäuferin macht mit ihr einen Sehtest und zeigt ihr dann Sonnenbrillen, die uns bislang nicht aufgefallen sind. Ein Modell gefällt ihr sofort. „Wenn sie beide Brillen zusammen nehmen, bekommen Sie einen Rabatt“, sagt die Verkäuferin. Doch dann rechnet sie aus, wie viel die Gläser zusätzlich noch zu den Brillengestellen kosten. Meine Freundin entscheidet erst einmal, nur die Sehbrille zu nehmen und die Sonnenbrille noch nicht. Am nächsten Tag entschließt sie sich dann doch noch, die Sonnenbrille dazuzunehmen. Sie hat eine lange Autofahrt in den Urlaub vor sich. Es wäre gut, beim Fahren eine Sonnenbrille mit Sehstärke zu haben.

Etwa zwei Wochen später holt sie schließlich beide Brillen im Brillengeschäft ab und hinterlässt mir kurz darauf eine Sprachnachricht: „Mir ist etwas passiert“, sagt sie. „Ich muss dir eine Geschichte erzählen!“

Ein paar Tage darauf erzählt sie mir im Freibad am Beckenrand, wie sie allein im Brillenladen die beiden Brillen abgeholt hat: „Die nette Verkäuferin vom ersten Mal war nicht da.“ Eine andere Verkäuferin habe ihr die Brillen mit ihren Sehstärken-Gläsern rausgeholt. Während die Verkäuferin hantierte, schaute meine Freundin auf die Rechnung, die auf dem Tisch lag und war erschrocken über den Preis. So günstig waren die beiden Brillen zusammen selbst mit Rabatt dann doch nicht.

Ich würde die Freundin von mir nicht als einen Menschen bezeichnen, der Dinge laut für sich einfordert. Doch der höhere Preis löste in ihr aus, dass sie klar sagte: „Dann möchte ich aber bitte auch ein Case haben.“ Die Verkäuferin schaute sie stumm an. Sie antwortete nicht.

Die Freundin von mir ist als Kind zunächst englischsprachig aufgewachsen. Vielleicht lag es daran, dass sie wie selbstverständlich Case sagte, ausgesprochen etwa „keys“, und nicht beispielweise Etui. „Ich möchte für beide Brillen zwei Case haben“, setzte sie hinzu. Die Verkäuferin schaute sie weiter an, ohne etwas zu sagen.

Foto: privat

Christa Pfafferott ist Autorin und Dokumentar-filmerin. Sie hat über Macht-verhältnisse in einer forensischen Psychiatrie promoviert. Als Autorin beschäftigt sie sich vor allem damit, Unbemerktes mit Worten sichtbar zu machen.

Die Situation war merkwürdig. Warum reagierte sie nicht? Die Freundin von mir wiederholte: „Ich möchte zwei Case haben.“ Die Verkäuferin wirkte etwas verlegen. Fast eingeschüchtert. Wir können Ihnen einen Eis-Gutschein anbieten, sagte sie dann schließlich.

„Einen Eis-Gutschein?“ Meine Freundin war irritiert. „Ich möchte keinen Eis-Gutschein. Ich möchte zwei Case haben.“

„Aber wir haben kein Käs’“, sagte die Brillenverkäuferin. Eine Stille entstand. „Käs’?“, fragte meine Freundin. „Ja, wir sind ein Brillengeschäft. Wir haben keinen Käs’.“

„Ich meine Case. Brillenhüllen“, antwortete meine Freundin. „Ach sooo“, sagte die Verkäuferin. Meine Freundin war perplex: „Sie dachten, ich hätte Käs’gemeint anstatt Case“, sagte sie.

„Einen Eis-Gutschein?“ –„Ich möchte keinen Eis-Gutschein, ich möchte zwei Case haben“

„Ja. Ich dachte schon, sie wollten sich lustig machen“, sagte die Verkäuferin etwas schüchtern. „Nein, natürlich nicht! Das war ein Missverständnis.“ Schließlich bekam meine Freundin ihre zwei Etuis und verließ den Laden. Das Missverständnis war ihr unangenehm.

Im Schwimmbecken lachten wir. Wie absonderlich muss es für die Brillenverkäuferin gewesen sein, dass da eine Frau im Brillengeschäft vor ihr so vehement nach Käse verlangte. Wie sie der Frau dann, um sie beruhigen, sogar einen Eisgutschein anbot. Immerhin hatte sich die Geschichte aufgelöst. Wer weiß, wie oft wir uns sonst zwischen Case und Käs’missverstehen.