Alke Wierth
Die Fußgängerin
: Jetzt der Sommer in Berlin: Drinnen und draußen

Foto: privat

Im Sommer erscheint mir Berlin noch spürbarer als sonst zweigeteilt: in einen Gegensatz von Drinnen und Draußen, der sich auf unterschiedliche Art und Weise zeigt. Be­su­che­r:in­nen von anderswo muss ich stets warnen: „Nein, mach bitte bloß nicht die Fenster auf!“ Draußen ist es erheblich heißer als drinnen in meiner kühlen Altbauwohnung im schattigen Hinterhaus. Jeden Morgen trifft mich deshalb die Hitze draußen erneut wie ein Schlag.

Und trotzdem habe ich außerhalb meiner Wohnung gleich wieder das Gefühl, mich in ein anderes Drinnen begeben zu haben, in einen einfach nur größeren Raum, in dem die Luft schon Tausende Male geatmet wurde und warm und schwer ist von Abgasen und jahrhundertealtem Staub. Luft, der jede Frische fehlt: Es fühlt sich an, als läge eine Glasglocke über der Stadt.

Das Berliner Sommerwetter nährt diesen Verdacht, denn es scheint seit Jahren nur noch aus zunehmend schwüler Hitze und schweren Regengüssen zu bestehen. Nach diesen gibt es jedoch manchmal, stets nur kurz, einen Hinweis darauf, dass es nicht bloß verdunstete Körperflüssigkeit ist, die von der Glasglocke herunterregnet. Vor allem nach Regen am frühen Morgen oder an Sonntagen, wenn die Straßen nicht so überfüllt sind, zieht ein frischer Lufthauch in die Stadt und erinnert ihre Be­woh­ne­r:in­nen daran, dass es tatsächlich irgendwo ein Draußen geben muss.

Und noch etwas anderes erinnert daran: Jetzt, mit dem Beginn der Sommerferien hier, werden einige Teile der Stadt leerer. Manche Menschen verlassen Berlin, machen Urlaubsreisen oder haben Ferienhäuser in dem Draußen um die Stadt: Sie können sich das Privileg leisten, zwischen drinnen und draußen zu wechseln.

Die anderen bleiben unter der Glasglocke, teilen sich weiter die verbrauchte Luft, grillen tagsüber oder feiern nachts dort, wo es bisher noch erlaubt ist, auf den von Übernutzung fast kahlen Rasenflächen in den vertrocknenden Parks der Stadt, oder drängeln sich vor den Toren der Freibäder, vor denen lange Schlangen stehen, seit der Zutritt nur nach einer Ausweiskontrolle gestattet ist. Tickets gibt es an der Kasse nur bis 10 Uhr oder online. Auf der Mauer um das Freibad in Kreuzberg rollt sich Stacheldraht, damit die auch wirklich draußen bleiben, die die Zugangsbedingungen nicht erfüllen können.

Ich bleibe lieber gleich drinnen. Auch ich bin privilegiert: Ich habe eine große kühle Wohnung für mich allein. Bei meiner Arbeit treffe ich oft junge Berliner:innen, die in Wohnungen wie meiner mit acht oder mehr Personen leben: mit Eltern und Geschwistern, von denen die ältesten schon verheiratet sind und mit Part­ne­r:in und eigenen Kindern dort wohnen. Diese Jugendlichen fahren nicht in Urlaub, sie verlassen oft nicht mal ihren Stadtteil – weil sie es sich nicht leisten können. Einige von ihnen gehören zu denen, die die Ausweiskontrollen der Freibäder nicht bestehen. Sie verbringen ihre Ferien wie auch sonst ihre Freizeit draußen – auf der Straße –, weil sie drinnen – in der Wohnung – keinen Platz für das haben, was Jugendliche gern tun: einfach ungestört miteinander abhängen.

Die Luft warm und schwer von Abgasen und jahrhunderte­altem Staub

Deutsche Po­li­ti­ke­r:in­nen sprechen gerne von „den Menschen da draußen“, wenn sie von denen reden, für deren Wohl sie Entscheidungen treffen sollen. Diese Jugendlichen sind gleichzeitig eingesperrt und ausgegrenzt; aus der (Mehrheits-)Perspektive von Politik und Gesellschaft sind sie vermutlich eher draußen – und die meisten von ihnen sehen sich wohl auch selber so: Wählen geht jedenfalls kaum ei­ne:r von ihnen. Sie sind gleichzeitig – nicht nur im Sommer – drinnen und draußen. Im Sommer spüren sie es nur noch ein bisschen deutlicher.