piwik no script img

Als Kartoffelschnaps verboten war

Die Ausstellung „Turbo Global“ im ehemaligen Gutshof Schloss Britz erzählt irische Geschichten über Kapitalismus und Widerstand und knüpft dabei auch Fäden nach Deutschland sowie zu Elfen, die Autobahnen umleiten

Von Tom Mustroph

Verschiedene Gründe gibt es, warum sich Irland für eine Kapitalismus-Analyse anbietet. Dass landwirtschaftliche Experimente dort einst zur großen Hungersnot führten etwa oder dass die Insel heute wegen Steuererleichterungen für Unternehmen als liberalkapitalistisches Paradies gilt. Angenommen hat sich diesem Thema jetzt eine Ausstellung im Schloss Britz. „Turbo Global“ spannt den Bogen bis ins 19. Jahrhundert zurück, als die Kartoffelfäule zu Missernten in Irland wie auch im damaligen Preußen führte. Etwa eine Million Menschen starben in deren Folge in Irland, viele der Überlebenden wanderten aus.

In Preußen gab es hingegen nur einige Zehntausend Tote aufgrund der Missernten, fanden die Kuratoren der Ausstellung Martin Steffens und Ulrich Vogl bei ihren Recherchen heraus. „Der Unterschied war: In Irland hatten die englischen Kolonisatoren die landwirtschaftliche Produktion weitgehend auf Kartoffeln umgestellt“, erklärt Steffens. Einerseits habe das dazu geführt, dass die irische Bevölkerung eine Zeitlang besser ernährt war. Die Menschen wurden größer und schwerer und lebten länger. „Aber es handelte sich um eine Monokultur. Und als die Kartoffeln von einem Pilz befallen wurden, verfaulten die Knollen massenhaft. In Preußen ernährten sich die Menschen damals vor allem von Getreide. Die Versorgung war diversifizierter“.

Dennoch starben Menschen aufgrund der Mangelversorgung. Und weil auch die Lebensmittelpreise rasant stiegen, gab es 1847 in Berlin eine mehrtägige Revolte, die als „Kartoffelrevolution“ in die Geschichte einging. Der Gutshof Britz war damals ebenfalls von der Krise betroffen: Die Produktion von Kartoffelschnaps wurde verboten, weil der preußische Staat die Kartoffeln als Nahrungsmittel – und nicht mehr als Betäubungsmittel – brauchte. All das schwingt mit, wenn der Künstler Nevan Lahart in der Ausstellung Kartoffelknollen zum Schriftzug „Pop“ arrangiert.

Mehr mit den Problemen der Jetztzeit beschäftigt sich Michele Horrigan. Sie wuchs nur unweit der riesigen Aluminiumfabrik Rusal Aughinish auf. Die Fabrik entstand in den 1980er Jahren und war Teil eines Industrialisierungsplans für die Insel. Inzwischen gehört sie zum russischen Rusal-Konzern. Der Rohstoff, das Bauxit, kommt allerdings weiter aus Afrika. Mithilfe der Energie, die ein Wasserkraftwerk an Irlands größtem Fluss, dem Shannon, produziert, wird das Bauxit hier zu Aluminium veredelt. Aluminium ist ein wichtiges Material für den Flugzeugbau. Die hierzulande wohl bekannteste Firma mit Sitz in Irland – die Fluggesellschaft Ryanair – dürfte davon profitieren. Der Preis für die Ansiedlung der Aluminiumfabrik ist allerdings hoch. Unmittelbar neben der Fabrik wächst eine Abraumhalde aus giftigen Materialien in die Höhe. Der Wind bläst immer wieder einzelne Partikel durch die Luft. Andere sinken ab ins Grundwasser. Horrigan, die nur wenige Kilometer von der Fabrik entfernt lebt, hat ihre Blutwerte veröffentlicht, aus denen sich eine vergleichsweise hohe Belastung durch Metalle ablesen lässt. In der Ausstellung präsentiert Horrigan zudem einen Grundriss und ein Modell des Fabrikgeländes, inklusive der fürchterlichen Halde, die wie ein großes rotes Auge herausblickt.

Wie man sich mit Rückgriff auf mythische Geschichten gegen den Turbokapitalismus wehren kann, zeigt hingegen Sean Lynch. Er porträtiert in einem Video den Anthropologen Eddie Lenihan. Diesem gelang es, einen Weißdornbusch vor dem Roden für ein Autobahnprojekt zu bewahren, indem er erklärte, dass in dem Busch Elfen wohnten. Hätten diese kein Zuhause mehr, würden sie den Autoverkehr behindern, für Unfälle, Staus und weitere Unannehmlichkeiten sorgen. Die Planungsbehörden gaben nach. Die Autobahn machte einen Bogen. Und Lynch integrierte in seine Installation Altreifen, Getränkedosen und anderen Müll, der an jener Stelle am Rande der Autobahn herumlag – und möglicherweise ein Ärgernis für die Elfen war.

Insgesamt sechs Künst­le­r*in­nen werden präsentiert. Die bekannteste unter ihnen ist die in Dublin geborene, in Berlin lebende Künstlerin Mariechen Danz. Sie stellt einen ihrer menschlichen Torsi aus, einen mit den Dimensionen eines Sumoringers. Darauf appliziert sie Abbildungen von Organen und Knochen sowie Frottagen von Münzen. Körper, Körperteile und Geld gehen eine gespenstische Fusion ein. Das Objekt ist zwischen zwei Plexiglasscheiben gepresst – ganz so wie medizinische Präparate.

„Turbo Global“ blickt aus ungewöhnlicher Perspektive auf den gewöhnlichen Kapitalismus. Und auch die Verknüpfung mit dem Ausstellungsort und dessen besonderer landwirtschaftlichen Geschichte ist geglückt.

„Turbo Global“: Schloss Britz, bis 6. Oktober

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen