Ramelow, im Modus der Melancholie

Die thüringische Spitzen­politike­rin­nen*-Runde ist sich beim taz Panter Ostforum einig: Koalitionen mit der AfD soll es nicht geben

Politikerrunde

Die Runde der thüringischen Spit­zen­politike­r*in­nen beim taz Panter Forum Foto: Kyaw Soe

Aus Erfurt Jan Feddersen

Am Ende dieser Runde kam eine Frage aus dem Publikum, eine, die die Politikerinnen und Politiker aus der Reserve locken sollte – was gelang, ein bisschen wenigstens: „Wie stehen Sie zum Antifaschismus?“, fragte ein Zuschauer der Veranstaltung mit dem Titel „Unregierbares Thüringen?“ des taz Panter Forums am Wochenende. Die fünf Spitzenleute antworteten brav, fast als sei es eine Ehre, sich der gemeinsam ausgeloteten Gefahr eines monströsen AfD-Erfolgs bei den Landtagswahlen von Thüringen am 1. September zu erklären.

Mit dabei waren für die Linke Bodo Ramelow, Katja Wolf für das Bündnis Sahra Wagenknecht, außerdem Christian Tischner (CDU), Georg Maier (SPD) und Madeleine Henfling (Grüne).

Und die waren sich einig: Das Panter Forum sei zumindest eine besondere Gelegenheit, so sagte Madeleine Henfling im Laufe der Diskussion lapidar, weil alle, die zusammensäßen, dabei nun die Möglichkeiten der politischen Allianzen nach dem Wahltag und unter Ausschluss jedweder Koalition mit der erstarkten AfD erörtern konnten. So war es denn tatsächlich offenbar für alle ein Gang über ein Feld empfindlichsten Porzellans – und alle waren hör- und protokollierbar bemüht, kein Scherbengericht zu bewirken.

Zur Antifaschismusfrage bekannten sich alle bejahend – CDU-Mann Christian Tischner wollte dies aber hauptsächlich implizit verstanden wissen, er sage vor allem Ja zum Grundgesetz, zu Anstand und Respekt, zur Würde des Menschen, die unteilbar sei. Katja Wolf vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sagte, sie wüsste auch was von locker geschraubten Autorädern und nazistischen Demos vor ihrer Privatadresse. Und Georg Maier (SPD), Innenminister Thüringens, machte einen Unterschied zwischen Antifaschismus und Antifa – zu Ersterem bekenne er sich, mit den Aktivistas, richtig verstanden, habe er seine Schwierigkeiten.

Bodo Ramelow aber war während des Podiums der politisch wie menschlich interessanteste Politiker, amtierender Ministerpräsident dieses Bundeslandes, weithin populär. Ausweislich aller Umfragen ist den Linken-Politiker beliebter als AfD-Björn Höcke oder Mario Voigt von der CDU. Weil er jedoch der Kandidat der Linkspartei war und ist, ist ihm die Demission tragischerweise sicher. Die Regierungspartei, in ihrem Kern die beste Sozialdemokratiemit einem Ministerpräsidenten, den die SPD gewöhnlich nicht aufbieten kann, ­leutselig und klar in den sozialen Botschaften, kann kaum noch stärker als die CDU Mario Voigts werden und die AfD übertrumpfen ohnehin nicht.

Dabei habe die rot-rot-grüne Landesregierung erfolgreich regiert – und niemand auf dem Podium protestierte. Nicht immer perfekt, so Ramelow, mit manchen Mängeln, doch überwiegend nach Kompromisssuchen mit der Union und mit deren Stimmen. Aber, beispielsweise: ein Landesausländeramt, wie es zur Integration von Migrantinnen* zu gründen wichtig wäre, um die legalen Möglichkeiten für die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft auszuloten, dem habe die CDU die Zustimmung verweigert, aus wahltaktischen Gründen: Bloß nicht in den Ruf von Ausländerfreunden kommen! Fachkräftemangel, Einwanderung, Integration von Menschen, die nach Thüringen schon kamen und weiter in Massen benötigt werden: Alles sabotiert. Es sei, stimmten ihm irgendwie alle zu, als sei die Union nicht daran beteiligt, ein Verhetzungsklima in Thüringen entstanden, eines, das der AfD nützt.

Am Ende lasen sich die Ausführungen der drei Politiker und zwei Politikerinnen so, als würden sie sich miteinander und füreinander alle Chancen offenhalten. Und dies auch ausdrücklich wollen. Madeleine Henfling von den Grünen wollte sich beispielsweise nicht auf eine weitere Allianz mit der Linkspartei festlegen, obwohl sie deutlich für eine progressive neue Regierung eintrat. Der Mann von der Union schloss eine koalitionäre Allianz mit der AfD aus. Katja Wolf vom BSW ließ keine besonderen Sympathien für Ramelow und seine Linkspartei erkennen – was nicht erstaunte, weil seitens der Stichwortgeberin ihrer Partei, eben Sahra Wagenknecht, Äquidistanz zu allen politischen Playern außer zur AfD betont wird, so agierte auch Katja Wolf.

Die demokratiefähigste Aussage des Abends machte indes auch Bodo Ramelow, dessen Rhetorik immer eine Spur Melancholie durchschimmern ließ: Warum wird unsere Arbeit nicht belohnt, weshalb haben Union und FDP unsere Arbeit zwar in Hinterzimmern mit ausgehandelt, aber öffentlich madig gemacht?

Ausweislich aller Umfragen ist Bodo Ramelow (Linke) beliebter als AfD-Björn Höcke oder Mario Voigt von der CDU

Viele Konstellationen seien denkbar, so Ramelow, auch eine Minderheitsregierung. Er würde prinzipiell auch einen CDU-Ministerpräsidenten wählen, wenn dies die Einflussnahme der AfD verhindere. Mehr als ein Linkspartei-Politiker von Gnaden beschwor er über alle Grenzen hinweg vor allem: eine Volksfront.

Dafür bekam der Ministerpräsident etwas lärmenderes Lob als alle anderen. Das Publikum, etwa 200 Menschen in den Hallen des alten Bahngeländes, dem Zughafen, applaudierten ihm heftig. Insgesamt war dies an diesem Abend am verblüffendsten: dass sie keine Sprechweise hässlicher Vorwürfe nutzen wollten – und dass der demokratische Comment bewahrt wurde.

Thüringen könnte, so die Ermittlungen dieses Panels, moderiert von den taz-Redakteurinnen Anna Lehmann und Sabine am Orde, auf vermutlich künftige Kompliziertheiten der politischen Aushandlungen hindeuten: Unvereinbarkeitsschlüsse aus der Parteizentrale wie der der CDU nützen in diesem Bundesland niemandem, offenbar.