Römische Geschichten: Die Taubenlady auf ihrer Terrasse
Im Zentrum gleicht Rom immer mehr einer Kulisse, gefüllt mit Touristen und Statisten. Manchmal aber taucht eine Dame in türkisem Morgenmantel auf.
S eitdem ich meine Wohnung in Parioli verlassen habe und übergangsweise an der Piazza del Popolo wohne, entdecke ich Rom neu. Als eine andere Stadt, mit anderen Gesichtern, einem anderen Lebenstempo.
Als wir vor ein paar Jahren herzogen, hatten Freunde und Bekannte immer wieder, alle paar Monate, diskret zwischen einer Olive und einem Taralli gefragt, ob wir es nun endlich verstanden hatten, wie absurd es sei, da oben in Parioli zu wohnen, ob wir nun endlich ins Zentrum kämen. Woraufhin wir immer wieder sehr überzeugt antworteten, nein, natürlich nicht, im Zentrum wohnt doch keiner. Nur Touristen.
Selbst als ich in die kleine Wohnung in der Via di Ripetta, das Annex einer reizenden älteren Schriftstellerin, zog, dachte ich weiterhin, dass ich mich in den letzten Jahren sicher in vielem getäuscht hatte, darin aber nicht: Rund um die Piazza del Popolo mögen einmal Leute wie Elsa Morante, Alberto Moravia und Ingeborg Bachmann gelebt, geliebt, geschrieben und sich bei „Rosati“ und „La Campana“ gute Geschichten ausgedacht haben, doch nun war hier alles Airbnb. Straßen gefüllt mit Statisten und Besuchern, die vorbeirauschen, bevor sie weiterreisen, nach Neapel und Capri, nach Florenz oder Venedig. Aber niemand, der hier lebt, niemand, der bleibt.
Es hat einen Morgen und viel Sitzen am Fenster gebraucht, bis ich verstand, dass ich vielleicht unrecht habe. Zumindest zum Teil. Natürlich sind die Palazzi der Via di Ripetta, Via del Corso, Via del Babuino voll mit Ferienwohnungen und Luxusapartments, ganz Rom bereitet sich auf das kommende Jahr, das Jubiläum 2025 und die erwarteten 35 Millionen Besucher vor. Die meisten Besitzer vermieten lieber auf Zeit als auf Dauer – dass das schrecklich „incivile“ ist und die Stadt immer mehr in eine Kulisse verwandelt, ist den meisten leider ziemlich egal.
Und doch findet man selbst hier, direkt an einem der berühmtesten Plätze der Stadt, noch ein paar Reliquien des alten Roms. Vereinzelte Figuren, die aus Ugo Moretti’s „Gente al Babuino“ stammen könnten, weil sie skurril sind, ein bisschen komisch und sich mit dem Glanz und der leichten Oberflächlichkeit des Umfelds beissen.
Das Lieblingscafé auf der Terrasse
Eine davon lebt gegenüber von mir. Ich nenne sie die Taubenlady. Die Taubenlady ist etwa 70 Jahre alt, relativ klein, rundlich, sie hat kinnlanges rötliches Haar und besitzt eine der wahrscheinlich größten und schönsten, wenn nicht die größte und schönste Terrasse des Platzes. Mindestens 50 Quadratmeter, die direkt an der Kuppel der Zwillingskirche Santa Maria dei Miracoli kleben.
Das Bemerkenswerte ist nicht die Terrasse, pompöse Terrassen gibt es in Rom viele. Bemerkenswert ist die dazugehörige Dame. Weil sie ungemein einfach wirkt, leicht verschroben, mindestens ein Jahrhundert entfernt vom Treiben im „Dal Bolognese“, dem Restaurant, das schräg gegenüber von ihr liegt und gerne Stars wie Kim Kardashian empfängt.
Sie tritt jeden Morgen pünktlich gegen 8.30 Uhr in ihrem türkisfarbenen Morgenmantel auf die Terrasse, weicht das Brot, das sie in einer Schüssel herausträgt, am Aussenwaschbecken auf und verteilt es an die Tauben, die schon bei der kleinsten Bewegung der Fensterladen anfliegen, als würde ihr Lieblingscafé eröffnen. Die Tiere gurren, picken, die Frau schaut ihnen liebevoll zu und wirkt zufrieden. Wenn sie mich sieht, winkt sie fröhlich und zeigt stolz auf ihre Besucher, dann tritt sie wieder rein.
Ich versuche seit Wochen herauszufinden, wer diese ulkige Dame wohl sein mag, wie es sein kann, dass sie sich in dieser Gegend gehalten hat. Informationen zu ihr hat leider keiner. Sicher hat sie irgendwas mit dem Vatikan zu tun, meinte mein Freund Thomas letztens, schließlich gehören die Hälfte der Immobilien des Zentrums der Kirche, die besonders schönen sowieso.
Mag sein, nur welche Funktion sollte sie dort haben? Tauben-Heilige? Ich habe überlegt, mich mit einem Schild an mein Fenster zu stellen und sie zu einem Kaffee einzuladen, nur schien mir das etwas aufdringlich. Nun meinte meine Vermieterin (der sie ebenfalls täglich zuwinkt), ich solle mir nicht den Kopf zerbrechen, die Sache sei doch ganz einfach. Diese Frau sei wie hier im Zentrum sonst eigentlich nur noch die Steine: seit immer hier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los