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Neuer Roman von Mareike FallwicklDer ultimative Streik der Frauen

Das Patriarchat beruht auf weiblicher Verfügbarkeit. In ihrem neuen Roman will Mareike Fallwickl zum Widerstand dagegen aufrütteln.

Schreibt hochpolitische Bücher: die österreichische Autorin Mareike Fallwickl Foto: Barbara Gindl/picture/alliance

Es gibt diese Instagram-Sharepics, die einem die Welt erklären oder zu mehr Selbstliebe aufrufen. „Jeder Körper ist schön“, steht darauf, oder: „Konsens ist sexy.“ Das alles stimmt ja auch, nur wurden diese Bilder so oft geteilt, und man findet deshalb immer noch nicht jeden Körper schön, erst recht nicht den eigenen.

Ein wenig wie solche Sharepics lesen sich die Gespräche zwischen den Figuren in Mareike Fallwickls neuem Roman „Und alle so still“. „Wir fordern den Raum ein, der uns zusteht“, sagen sie zueinander und fragen: „Wie sehen wir uns, wenn uns keiner bewertet?“ Oder: „Warum muss ich ein Label haben?“ Das mag man liebenswert finden oder plakativ, aber es führt gut hinein in diesen Roman, der dort beginnt, wo auch wir uns befinden – im Patriarchat –, und auf eine Weise daraus hinausführen will, die gleichermaßen utopisch wie dystopisch bleibt.

Elin ist Influencerin, Ruth ist Pflegekraft, und Nuri putzt Clubs, liefert Essen aus, schiebt Krankenhausbetten und hat trotzdem nie genug zu essen. Alle drei Prot­ago­nist*in­nen sehnen sich nach Verbundenheit, auch an jenem Tag, an dem auf einmal Frauen auf dem Boden liegen und schweigen.

Der Roman

Mareike Fallwickl: „Und alle so still“. Rowohlt, Hamburg 2024. 368 ­Seiten, 23 Euro

Was das soll? Niemand weiß es so recht, immer mehr Frauen legen sich dazu, und alles bricht zusammen: „Weil sie keine Mails beantworten, keine Pakete ausliefern, keinen Chef an seine Termine erinnern, weil sie nicht in Wohnzimmern unter der Couch staubsaugen, keine Kinderpyjamas an Wäscheleinen hängen, keine Schnitzel in der heimischen Küche klopfen.“

Der ultimative Streik, aber nicht mit politischen Forderungen, sondern aus Erschöpfung. Die Frauen kümmern sich nicht mehr um Kinder, Küche und Kranke, sondern nur noch umeinander. Sie ziehen in leer stehende Häuser und halten zusammen.

Von Care-Arbeit überlastet

Die österreichische Autorin Fallwickl schreibt hochpolitische Bücher. Ihr Roman „Das Licht ist hier viel heller“ verhandelte bereits 2019 #MeToo im Kulturbetrieb (ja, vier Jahre vor Benjamin von Stuckrad-Barre), und ihr Roman „Die Wut, die bleibt“ begann damit, dass eine von Care-Arbeit überlastete Frau aus dem Fenster springt. Deren Tochter stellt sich anschließend vor, was passieren würde, wenn Frauen einfach nichts mehr tun würden. Aus dieser Idee ist nun „Und alle so still“ entstanden.

Entlarven will der Text, aufrütteln, und während das gelingt, bleibt wenig Platz, eine Sprache zu entwickeln, die eben nicht nach Sharepic oder Polit­essay klingt, sondern nach Menschen, die miteinander sprechen. „Das ganze System beruht auf unserer Verfügbarkeit. Unserer Körper, unserer Kraft, unserer Zeit“, sagen die Frauen und bestätigen sich gegenseitig, „wie eng Weiblichkeit und Sorgearbeit verknüpft sind“.

Umso schöner sind die Passagen, in denen Fallwickl Sätze findet, die erzählen, statt politisch informiert von einem ­Gender Care Gap zu sprechen: „Wann immer irgendwo ein Kind oder eine alte Person umfällt, kommt eine Frau und hebt es auf.“ Auch für das alte Argument #­NotAllMen (nicht alle Männer seien gewalttätig) – und warum das stimmt, aber trotzdem kaum hilft – findet die Autorin ein treffendes Bild: zehn Donuts, von denen fünf vergiftet sind, „nur fünf, jetzt beiß rein, du weißt nicht, welcher von denen dich umbringen wird, aber ich bitte dich, stell dich nicht so an!“.

Mit klugen Details markiert Fallwickl ihre Figuren als durchdrungen vom Patriarchat. Die Influencerin Elin kommt am besten zum Orgasmus, wenn sie jemand „dünn“ nennt. Ruth arbeitet, bis sie umkippt, weil sie ja gebraucht wird. Und Nuris Mutter wurde vom Vater als Haushaltshilfe angestellt, bevor der sie heiratete und aufhörte, sie zu bezahlen, „obwohl sie immer noch dieselbe Arbeit machte“.

Plötzlich knallt ein anderer Ton rein

Es erfrischt, wenn in Fallwickls gefühlvolle Sprache ein anderer Tonfall reinknallt, den man von ihr auch kennt: der klare, plötzliche. „Den ersten fickt sie gegen dreizehn Uhr“, heißt es nach den ersten paar Seiten unvermittelt. Ständig ist irgendwo Kotze, das kontrastiert den Kitsch.

Die stärksten Szenen spielen im Krankenhaus, man merkt ihnen eine gründliche Recherche an. Präzise werden die Körperflüssigkeiten beschrieben, die Ruth aufwischt, ihre automatisierten Handgriffe: Vitalparameter ablesen, Patienten lagern, Medizinschränke kontrollieren, Sterilgüter prüfen. Es ist so viel, dass man schon beim Lesen Herzrasen bekommt. Und dann muss Ruth einen Patienten auf dem Boden liegen lassen, der aus dem Bett gefallen ist und sich eingenässt hat, weil sie ihn einfach nicht hochheben kann. Die Station darf sie nicht verlassen, um Hilfe zu holen, denn sie ist ganz allein zuständig.

In „Und alle so still“ geht es um die Privatisierung des Gesundheitswesens, um sexualisierte Gewalt, Viertagewoche, Konsum- und Polizeikritik, Abtreibungsrecht, Armut, Rassismus und Periodenscham. Überladen, ja, aber ein Versuch, die Zusammenhänge zu denken – mal als Schlagwortfeminismus, mal als drastische Nahaufnahme männlicher Gewalt.

Bloß was mit den reichen Frauen ist, fragt man sich. Sie werden ausgespart, wohl auch, um zu umgehen, was Frauen alles trennt. Als ob wir alle zusammenhalten und die Männer uns Carepakete schnüren würden, wenn wir jetzt eine Revolution begännen! Aber wer träumen könne, sollte es auch tun, heißt es an einer Stelle, und so ist der Roman wohl gemeint.

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1 Kommentar

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  • Das Beispiel mit den zehn Donuts ist ziemlich schlecht:

    a) Als ob man gar keine Chance hätte vorher zu erkennen welche vergiftet sind?

    Naja, obwohl, vielleicht ist das Beispiel auch gar nicht so schlecht:

    b) Donuts sind insgesamt ziemlich ungesund.

    c) Und wenn man Lebenspartner*innen oder Freund*innen anderen Geschlechts als stumme, fettige Konsumobjekte wahrnimmt, ist vielleicht tatsächlich schon etwas schief gelaufen. Die Bedingungen unter denen eine Partner*innenwahl metaphorisch als Griff nach einem undurchschaubaren Donut erscheint, den man sich dann einverleiben muss, sind eben vielleicht auch immer schon potentiell vergiftet.