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: Stillen und gestanden?

Das „Konzept neuer Wehrdienst“ von Verteidigungsmister Pistorius sieht vor, dass junge Männer künftig einen Fragebogen ausfüllen und ihn verpflichtend zurücksenden. Auch Frauen erhalten den Fragebogen, müssen aber nicht antworten. Ist das gerecht?

Schülerin beim Girls’ Day im Verteidigungsministerium, Berlin, 25. April 2024 Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

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Frauenrechte müssen gern mal dafür herhalten, irgendwelche Absurditäten zu begründen, 2001 zum Beispiel den Krieg in Afghanistan. Und auch jetzt in der Debatte über den neuen Wehrdienst wird die Gleichheit der Geschlechter zum Argument, die Pflicht scheinbar gerecht für alle durchzusetzen. „In der heutigen Zeit“, so Unionsfraktionsvize Johann Wadepuhl, könnten zwischen Frauen und Männern „keine Unterscheidungen“ mehr gemacht werden. Das passiere in anderen Bereichen ja auch nicht.

Ach nein? Ein paar Zahlen: Sechs Monate soll künftig der Grundwehrdienst in Deutschland dauern, in dem junge Männer nicht vollständig über sich selbst verfügen könnten. Neun Monate allein dauert eine Schwangerschaft, in der Schwangere hierzulande einer staatlich auferlegten Austragungspflicht unterstehen. Der Abbruch von Schwangerschaften ist nach wie vor illegal.

Vier Monate nehmen Männer durchschnittlich Elternzeit, 15 Monate Frauen – obwohl sie Einkommen, Karriereoptionen und oft auch spätere Rente damit einbüßen. Häufig geschieht das, weil die Kinderbetreuung nicht flächendeckend ausgebaut ist. Neun Stunden unbezahlte Arbeit mehr als Männer leisten Frauen derzeit pro Woche, das sind rund 20 Tage im Jahr, unabhängig davon, ob ­Kinder im Spiel sind oder nicht.

Oh doch also: Ganz sicher werden Unterschiede zwischen den Geschlechtern gemacht.

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, steht im Grundgesetz. Das heißt jedoch nicht, dass Gleichheit im Alltag annähernd verwirklicht wäre. Die Unterschiede verlaufen entlang verschiedener Trennlinien, zwischen Arm und Reich zum Beispiel oder eben zwischen Menschen, die schwanger werden können, und denen, die es nicht können. Frau zu sein bedeutet im Alltag bis heute Benachteiligung und Reglementierung.

Und das nicht nur in Bezug auf das Recht auf den eigenen Körper, sondern auch auf Arbeit, Geld, Steuern oder den Schutz vor Gewalt. Der Gender Pay Gap liegt bei 18 Prozent: Für gleiche Arbeit wird kein gleicher Lohn gezahlt. Das Ehegattensplitting zementiert Ungleichheit. Und 331 Menschen starben 2023 durch Partnerschaftsgewalt, in der deutlichen Mehrzahl Frauen.

Diese Missverhältnisse auszugleichen ist Aufgabe des Staats. Solange sie bestehen, liegt Gerechtigkeit nicht nur in einer Gleichbehandlung, sondern vor allem im Bekämpfen elementarer Ungerechtigkeit. Frauen müssen Zugang zu ihren im Grundgesetz gewährten Rechten bekommen. Wenn sie also Pistorius’ Fragebogen freiwillig ausfüllen, sich freiwillig verpflichten wollen – bitte. Aber Kinder, Küche und Krieg als Pflichtprogramm, das ist keine Option. Patricia Hecht

nein

Wenn schon Wehrpflicht, dann für alle. Alles andere ist ­unangenehmes Rausreden, das an die Debatte über die Lieferung von 5.000 Helmen an die Ukraine erinnert: Wir stehen fest an eurer Seite, aber …

Wenn die Bundesregierung ihre Bür­ger*in­nen zu Aussagen über ihre Militärtauglichkeit verpflichtet, dann sollte diese Pflicht selbstverständlich für je­de*n gelten. Sollten nur Männer antworten müssen, ist das eine Form von Diskriminierung. In einem Staat, der von sich behauptet, die rechtliche Gleichberechtigung der Geschlechter erreicht zu haben, könnte es Männer geben, die sich angesichts dieses Fragebogens ungerecht behandelt fühlen. Und noch viel krasser: Wenn das Verteidigungsministerium Frauen und andere Nichtmänner nur so halb ernst nimmt, wenn es um Wehrtüchtigkeit geht – wird damit nicht auch der gesellschaftliche Blick auf Frauen zementiert, die nur so halb ernst genommen werden, wenn es ums Ganze geht?

Wer argumentiert, dass Frauen nicht in den Schützengraben gezwungen werden sollten, solange es ansonsten keine Gleichberechtigung gibt, der steckt argumentativ in der Schlammgrube fest. Genauso gut könnte auch gesagt werden: Solange wir nicht gleich bezahlt werden, werden wir keine Kranführerin, keine Vorstandsvorsitzende, keine Schöffin, kehren wir keine Straße, kriegen wir keine Kinder, putzen wir keine Hintern ab, zahlen wir keine Steuern.

Den professionellen Waffengebrauch exklusiv Männerhänden zu überlassen ist ein schwerer Fehler. Warum sollten Männer bevorzugt behandelt werden, wenn es um militärische Posten geht? Jahrzehntelang wurde dafür gekämpft, dass auch Frauen in die Bundeswehr dürfen. Wieso sollte man sie jetzt so behandeln, als wären sie nur im Ausnahmefall echte Kerle?

Früher entzogen sich Männer der Haus- und Pflegearbeit mit dem Argument, dass sie ja das Geld nach Hause brächten. Dieses Verhältnis hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark geändert. Heute können Männer ihre vermeintliche Überlegenheit nur noch damit begründen, dass sie halt diejenigen sind, die im Kriegsfall die Rübe hinhalten müssen.

Freilich kann man für die Abschaffung jeglicher Militärpflicht – egal für welches Geschlecht – plädieren. Aber Gleichberechtigung für alle endet nicht beim Militär. Früher endete sie am Baustellenzaun, vor dem Polizeiauto und der Managementetage. Wer dafür plädiert, für Frauen eine Ausnahme bei der Musterung zu machen, muss sich von Männern vorhalten lassen: Dann auch eine Ausnahme von der Hausarbeit! Doris Akrap