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Kafka und der MessiasDas schwache Licht des Heils

Der Messias wird kommen, jedoch – typisch Franz Kafka – erst am allerletzten Tag, wenn er nicht mehr nötig sein wird. Eine Textanalyse.

Zeichnungen von Franz Kafka um 1905 Foto: Archiv K. Wagenbach/AKG

„Erlösung“ ist ein großes Wort. Angesichts der zahllosen Katastrophen unserer Gegenwart nehmen wir es nicht mehr gerne in den Mund. Wir vergessen höchstens für einen Augenblick des Glücks unsere Sorgen. Dann setzt aber wieder der Alltag ein, der uns jede umfassendere Hoffnung auf Erlösung fadenscheinig werden lässt.

Noch deutlicher haben wir uns von einem Messias oder messianischen Figuren verabschiedet, die diese Erlösung versprachen. Zu häufig brachten sie nicht Erlösung, sondern Tod und Vernichtung. Manchmal raffen wir uns noch zur traurigen Klage auf, dass das doch nicht alles gewesen sein kann. Wie es aber anders werden soll, wie wir der scheinbar unendlichen Katastrophe entkommen sollen, wissen wir auch nicht.

In dieser Situation spricht ein Satz von Franz Kafka zu uns, den er am 4. Dezember 1917 in sein sogenanntes „Oktavheft G“ notiert hat: „Der Messias wird erst kommen, wenn er nicht mehr nötig sein wird, er wird erst nach seiner Ankunft kommen, er wird nicht am letzten Tag kommen, sondern am allerletzten.“ Dieser fünfgliedrige Satz ist auf den ersten Blick schwer zu verstehen. Warum kommt für Kafka da noch jemand, wenn er nicht mehr gebraucht wird, obwohl er schon gekommen ist und offensichtlich einen Tag zu spät?

Als Kafka diesen Satz schrieb, dürfte er nicht sonderlich erlöst gewesen sein. Am 11. August 1917 hatte der Schriftsteller einen Blutsturz erlitten, dem im September die Diagnose Lungentuberkulose folgte. Zur Genesung hielt er sich anschließend auf dem böhmischen Gutshof seiner Schwester Ottilie „Ottla“ Davidová auf. Am 25. Dezember 1917 wird Kafka Felice Bauer mitteilen, dass er ihre zweite Verlobung auflösen möchte. Dieses Mal endgültig: Bauer heiratet 1919 Moritz Marasse, den Teilhaber einer Berliner Privatbank.

Exegetische Versuche

Dementsprechend kreist das „Oktavheft G“ um die Frage nach der Ursache und dem Sinn menschlichen Leidens. Neben Gedankensplittern, die seine momentane Situation lakonisch zusammenfassen („im Bett“), stehen kleine Stücke, die sich am ehesten als exegetische Versuche beschreiben lassen. Tag für Tag kehrt Kafka zu den Geschichten der hebräischen Bibel zurück und versucht ihnen Einsichten abzuringen.

Der Messias bricht für Kafka nicht in die Not unserer Welt ein und hebt diese nicht auf

Die Erzählung vom Sündenfall scheint ihn besonders bewegt zu haben. Mehrfach deutet der Schriftsteller diese Urkatastrophe aus. Sie stellt für Kafka jedoch entgegen der landläufigen Auslegung kein teuflisches Geschick dar, sondern ist das Ergebnis menschlicher Schwäche: „Wegen der Ungeduld sind sie ausgewiesen worden und wegen der Ungeduld kehren sie nicht zurück“.

Die Stammeltern Adam und Eva wollten zu viel und zu schnell. Die Vertreibung aus dem Paradies ist laut Kafka für die Menschen „entgiltig [sic!], das Leben in der Welt unausweichlich“. Für ihn gibt es keine messianische Befreiung, keine christliche „Rückgewinnung des Paradieses“, wie sie zum Beispiel der englische Dichter John Milton vor ihm als Triumph Jesu über den Teufel in Aussicht stellte.

Es könnte sich zum Guten wenden

Trotzdem scheint selbst bei Kafka immer wieder die Hoffnung auf, dass sich die Dinge noch zum Guten wenden könnten. So vergleicht er an einer anderen Stelle seines Oktavhefts die Situation der Menschen mit Reisenden, die in einem Eisenbahntunnel verunglückt sind. Von der Unfallstelle aus können sie das Licht des Tunneleingangs nicht mehr sehen.

Währenddessen ist das Licht am Ende des Tunnels aber so schwach, dass sie ihre Augen anstrengen müssen, um es nicht aus dem Blick verlieren: „Rings um uns aber haben wir in der Verwirrung der Sinne oder in der Höchstempfindlichkeit der Sinne lauter Ungeheuer und ein je nach der Laune und Verwundung des Einzelnen entzückendes oder ermüdendes kaleidoskopisches Spiel.“

Das Licht von draußen, das Heil verspricht, ist zwar schwach. Aber wenn die Menschen sich bemühen und nicht täuschen lassen, können sie es sehen. Auch in Kafkas Leben bricht dieses schwache Licht, das so mühsam zu erfassen ist, immer wieder ein.

Noch vor seinen Reflexionen über den Messias schreibt er am 20. Juli 1916 in sein Tagebuch: „Erbarme Dich meiner, ich bin sündig bis in alle Winkel meines Wesens. […] bin jetzt nahe am Ende, gerade zu einer Zeit, wo sich äußerlich alles zum Guten für mich wenden könnte. Schiebe mich nicht zu den Verlorenen“. Der säkulare Jude Kafka wird zum Betenden, der auf Erlösung hofft.

Der Messias kommt nicht

Kafkas fünfgliedriger Satz über den Messias ist damit verständlicher geworden, auch wenn er nicht vollständig auflösbar ist. Im Gegenteil: Seine Widersprüchlichkeit spiegelt seine Aussage wider. Der Messias bricht für Kafka nicht in die Not unserer Welt ein und hebt diese nicht auf.

Wir bleiben Verunglückte, unsere Vertreibung aus dem Paradies dauert auf ewig an. Kafka versteht den Messias vielmehr als schwaches Licht der Hoffnung, das vom Ende des Tunnels in unsere verunglückte Welt hinein scheint. Erst nach dem Ende aller Dinge erfüllt sich sein Versprechen. Ein solcher „schwacher Messias“ kann uns helfen, die menschliche Erlösungsunfähigkeit anzuerkennen und gleichzeitig an der eigenen Erlösungsbedürftigkeit festzuhalten.

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